Präventionsverfahren auch während der Probezeit

Auch innerhalb der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG ist ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Das entschied nun auch das Landesarbeitsgericht Köln (Urteil vom 12.09.2024 – 6 SLa 76/24, bisher nur als Pressemitteilung) – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Es soll jedoch eine Beweiserleichterung für Arbeitgeber gelten, um eine Wartezeitkündigung gegenüber schwerbehinderten Menschen nicht faktisch vollständig auszuschließen.

Der Fall

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristgerechten Arbeitgeberkündigung in der Wartezeit. Der schwerbehinderte Kläger war seit dem 01.01.2023 bei der beklagten Kommune im Bauhof beschäftigt. Dort wurde er in verschiedenen Kolonnen eingesetzt. Ende Mai 2023 erlitt der Kläger einen Kreuzbandriss und war über den Ausspruch der Kündigung hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Im Juni hörte die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung, den Personalrat und die Gleichstellungsbeauftragte zur beabsichtigten Kündigung in der Probezeit an. Nachdem keine der Stellen Einwände geäußert hatte, sprach die Beklagte am 22.06.2023 zum 31.07.2023 die ordentliche und fristgerechte Kündigung aus. Gegen diese Probezeitkündigung in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses wehrte sich der Kläger im Wege der Kündigungsschutzklage.

Die Entscheidung

Wir berichteten bereits in der Juli-Ausgabe unseres Newsletters (https://www.cbh.de/news/arbeitsrecht/ohne-praevention-keine-wirksame-probezeitkuendigung/) ausführlich über diesen Fall, als das Arbeitsgericht Köln (Urteil v. 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23) in erster Instanz von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung abwich und zumindest die Einleitung des Präventionsverfahrens nach § 167 Abs. 1 SGB IX auch innerhalb der Wartezeit für erforderlich hielt. Dem ist nun auch das Landesarbeitsgericht gefolgt und entschied, dass ein Präventionsverfahren auch bereits innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses durchzuführen ist, wenn Schwierigkeiten den Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Arbeitnehmers gefährden. Die seinerzeit zur Vorgängernorm des § 84 SGB IX vom BAG vorgenommene zeitliche Begrenzung ergebe sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift, noch stütze eine Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen dieses Ergebnis. Allerdings soll eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers eingreifen, um die Wartezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht faktisch vollständig auszuschließen.

Das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX dient der Konfliktprävention und soll möglichst frühzeitige Hilfe bei Problemen im Arbeitsverhältnis bereitstellen, um dieses dauerhaft zu erhalten. Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, die in § 176 SGB IX genannten Vertretungen, also Betriebs- oder Personalrat, sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des Präventionsverfahrens wird vermutet, dass der Arbeitgeber den schwerbehinderten Arbeitnehmer wegen des nicht durchgeführten Präventionsverfahren diskriminiert hat und das wiederum kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.

Im vorliegenden Einzelfall ließ das LAG Köln eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers zu. Wegen unstreitiger Tatsachen im konkreten Fall kam das Gericht zu der Auffassung, dass die Kündigung in der Probezeit nicht die Schwerbehinderung des Klägers als Grund hatte, so dass das fehlende Präventionsverfahren nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führte. Hinsichtlich der Einzelheiten der Beweiserleichterung bleibt die Veröffentlichung des vollständigen Urteils abzuwarten.

Das Fazit

Trotz einer möglichen Beweiserleichterung ist es Arbeitgebern bei Kenntnis von der Schwerbehinderung oder Gleichstellung eines Arbeitnehmers dringend angeraten, bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten, die zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen können, auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG von sechs Monaten ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX zumindest einzuleiten.

Hierzu gehört auch die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebs- oder Personalrat und das Integrationsamt möglichst frühzeitig einzuschalten, um nach Maßnahmen zu suchen, die den Verbleib im Arbeitsverhältnis gewährleisten könnten. Das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX muss nicht bis zum Ende der sechsmonatigen Wartezeit vor Ausspruch der Probezeitkündigung abgeschlossen werden. Zumindest nach Auffassung des Arbeitsgerichtes Köln in der ersten Instanz besteht die Kündigungsmöglichkeit in der Probezeit ohne das Erfordernis der sozialen Rechtfertigung auch bei nur begonnenem Präventionsverfahren (eine behinderungsbedingte Benachteiligung ist dann gerade nicht durch eine Verletzung der Pflichten nach § 167 Abs. 1 SGB IX indiziert).

Hinzu kommt, dass nicht allen Arbeitgebern bekannt sein dürfte, dass die in § 167 Abs. 1 SGB IX angesprochenen „finanziellen Hilfen des Integrationsamtes“ auch als direkte Geldleistungen an Arbeitgeber eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers erfolgen können, etwa als Beschäftigungssicherungszuschuss zu den Lohnkosten oder für personelle Unterstützung anderer Mitarbeiter. Ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX kann daher auch für Arbeitgeber die Chance bieten, die im begonnenen Präventionsverfahren gewonnenen Erkenntnisse – einschließlich möglicher finanzieller Leistungen des Integrationsamtes – bei der Erwägung einer Kündigung mitberücksichtigen zu können. Dies gilt insbesondere in Zeiten von Fach- und Arbeitskräftemangel. Sollte die Zeit bis zum Ablauf der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG hierfür nicht ausreichen, haben Arbeitgeber die Möglichkeit einer Verlängerung der Einarbeitungs- und Erprobungsphase im Wege einer Erprobungsbefristung gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG ohne dabei ein dauerhaftes Bindungsrisiko einzugehen. Nach der Rechtsprechung des BAG darf eine längere Probezeit über eine solche Erprobungsbefristung vereinbart werden, ggf. durch nachträglich befristete Verlängerung der Probezeit, wenn die Eignung und Leistung eines Arbeitnehmers wegen krankheitsbedingter Leistungsdefizite oder besonderer Anforderungen des Arbeitsplatzes innerhalb von sechs Monaten nicht genügend zu beurteilen ist.

Das Präventionsverfahren kann zudem durch Abschluss von Inklusionsvereinbarungen im Sinne von § 166 SGB IX ausgestaltet und auch schon in der Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG einem geregelten Verfahrensablauf zugeführt werden.

Für Handlungsempfehlungen im Hinblick auf die neue Rechtsprechung stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Friederike Schmidt
Rechtsanwältin
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Bettina Schmidt
Rechtsanwältin | Of Counsel
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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