Wirecard Insolvenz – Ein Überblick über denkbare Ansprüche

Die Wirecard AG gab am 25. Juni 2020 ad hoc-die Mitteilung bekannt, dass Insolvenzantrag gestellt wird und hat einen Insolvenzantrag am selben Tag beim Amtsgericht München eingereicht. Die Wirecard Bank AG hat – soweit ersichtlich - noch keinen Insolvenzantrag gestellt. Es sieht danach aus, dass die Organe der Wirecard AG sich in mehrfacher Hinsicht gesetzeswidrig verhalten haben.

Es haben sich neben der BaFin die deutsche Bundesregierung und die EU-Kommission sowie die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) in die Prüfungen eingeschaltet. Die BaFin steht aber auch selbst unter Druck. Ihr wird vorgeworfen, ihre Aufsichtspflichten verletzt zu haben. Zahlreiche Klagen auch gegen die BaFin sind bereits angekündigt und zum Teil wohl auch schon anhängig gemacht worden.

Welche Verfahren und Ansprüche sind zu betrachten?

1. Insolvenzverfahren
Im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard AG und in einem etwaigen zukünftigen Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard Bank AG können deren jeweilige Kunden ihre gegenüber den Gesellschaften bestehenden Forderungen anmelden. Unabhängig davon, ob die Insolvenzverfahren zu Ausschüttungen an die Gläubiger führen werden, sollte diese Anmeldung unbedingt erfolgen. Nur so ist gewährleistet, dass man Einblick in den Lauf und den Inhalt des Verfahrens erhält. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass die Verfahren Jahre in Anspruch nehmen werden.

2. Ansprüche gegen die Gesellschaften
Die Wirecard AG ist als DAX-Unternehmen zur regelmäßigen Berichterstattung und Information des Kapitalmarktes verpflichtet. Den Anlegern können deshalb Fehlinformationen bzw. verschwiegene Tatsachen über die Anspruchsgrundlagen der §§ 97, 98 WpHG, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 331 HGB sowie nach § 826 BGB wegen Kursbetrugs zu Schadenersatzansprüche zustehen. Solange ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard Bank AG noch nicht eröffnet ist, können Ansprüche noch direkt gegenüber der Gesellschaft verfolgt werden. Allerdings ist mit der Eröffnung des Verfahrens zu rechnen. Im Falle der Eröffnung wäre ein eingeleitetes Gerichtsverfahren jedoch nach § 240 ZPO unterbrochen. Deshalb erscheint es derzeit wenig sinnvoll, eine Klage gegen die Wirecard AG einzuleiten.

3. Ansprüche gegen die handelnden Organe
Nach der Haftungssystematik des Aktiengesetzes und den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Organhaftung soll grundsätzlich die Aktiengesellschaft als juristische Person und nicht der Vorstand oder der Aufsichtsrat der Gesellschaft haften.
Eine unmittelbare Haftung der Organe, also von Vorstand und Aufsichtsrat neben der Gesellschaft, erkennt der BGH (NJW 2004, 2971) z.B. für den Fall der vorsätzlichen Veröffentlichung der bewusst unwahren ad-hoc-Mitteilung als sittenwidrig i. S. d § 826 BGB, d. h. als „gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstoßend an.

Für die Bejahung der Sittenwidrigkeit soll dabei im Allgemeinen die bloße Tatsache, dass der AG-Vorstand oder der AG-Aufsichtsrat gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen hat ebenso wenig genügen wie der Umstand, dass sein Handeln bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr müsse sich die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen, ergeben.

Ein Teil der Vorstände hat sich nach dem derzeitigen Stand ins Ausland „abgesetzt“ und will sich nicht den Strafbehörden stellen. Zudem ist nach derzeitigem Stand damit zu rechnen, dass keine Versicherung für das Verhalten der Geschäftsleitung der Wirecard AG Deckung geben wird. So misslich dies ist werden aber wirtschaftlich derartige Verfahren wahrscheinlich wenig Aussicht auf Erfolg bieten. Selbst wenn eine gerichtliche Bestätigung des Anspruchs erfolgte, dürfte eine wirtschaftlich erfolgreiche Durchsetzung zweifelhaft bleiben.

Möglich ist aber in jedem Fall, sich an die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Geschäftsleiter in einem sog. Adhäsionsverfahren „anzuhängen“. Das Adhäsionsverfahren kommt den Opfern von Straftaten zugute, die einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch ausgelöst haben. Die Adhäsion ermöglicht es dem Strafgericht, über diesen Anspruch im Strafverfahren mit zu entscheiden. Ein weiteres zivilrechtliches Verfahren ist dann nicht mehr erforderlich. Zudem kann das Opfer von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft „profitieren“, die für das Strafverfahren den Sachverhalt aufklären muss.

4. Ansprüche gegen Wirtschaftsprüfer
Nach den vorliegenden Informationen hat die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zwar 2019 das Testat verweigert aber 2018 noch ausgestellt und erteilt. Ob dies mit den Pflichten der Wirtschaftsprüfer vereinbar war, erscheint zumindest fraglich. Das Kammergericht Berlin hat klargestellt, dass der Abschlussprüfer und die bei der Prüfung mitwirkenden gesetzlichen Vertreter einer Prüfungsgesellschaft gemäß § 323 Abs. 1 HBG zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung und zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und dass diese im Falle vorsätzlicher oder fahrlässiger Pflichtverletzung auf Schadensersatz haften (Kammergericht Berlin 22.05.2017 – 12 U 16/14). Dies allerdings im Grundsatz nur gegenüber der Kapitalgesellschaft selber. Der BGH hat aber in einer Entscheidung vom 02.04.1998 – III ZR 245/96 auch festgestellt, dass in den Schutzbereich des Prüfvertrages zwischen einer Kapitalgesellschaft und einem Abschlussprüfer über eine Pflichtprüfung nach §§ HGB § 316 ff. HGB auch ein Dritter und damit auch ein Anleger einbezogen sein kann. Dem Dritten können dann vertragliche Ersatzansprüche gegen den seine Prüfungspflicht verletzenden Prüfer zustehen.

5. Staatshaftung; Ansprüche gegen BaFin
Schließlich könnten auch Ansprüche gegen die BaFin wegen der Verletzung ihrer Überwachungs- und Prüfungspflichten bestehen.

In der deutschen Rechtsprechung wird allerdings unter Bezug auf § 4 Abs. 4 FinDAG angenommen, dass die BaFin ihre Aufgaben und Befugnisse ausschließlich im öffentlichen Interesse wahrnimmt und dass durch diese Vorschrift Ansprüche einzelner Anleger aus Amtshaftung wegen behaupteter Pflichtverletzung der BaFin ausgeschlossen sind (OLG Frankfurt 06.02.2020 – 1 U 83/19). Zudem geht das OLG Frankfurt davon aus, dass auch die Bestimmungen des europäischen Bankenaufsichtsrechts keine subjektiven Rechtspositionen des einzelnen Kunden schaffen würden, die im Falle eines Verstoßes durch mitgliedstaatliche Behörden einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch auslösen würden. Ob der Europäische Gerichtshof allerdings tatsächlich die Nachfolgeregelungen der RL 77/780/EWG, 89/299/EWG und 89/646/EWG so auslegen wird wie das OLG Frankfurt, ist ungeklärt.

Weiteres Vorgehen
Nach alledem sollte mit Blick auf den Umstand, dass die Wirecard Bank AG bisher keinen Insolvenzantrag gestellt hat, von Bankkunden, Aktionären und Anlegern baldmöglichst geprüft werden, ob ein Anspruch gegen diese Gesellschaft in Betracht kommt und dieser gegenüber auch geltend gemacht werden soll.

Dabei muss bei außergerichtlicher Anspruchsstellung und gerichtlicher Geltendmachung genau geprüft werden, wer von den oben Genannten – die Gesellschaft, der Vorstand, der Aufsichtsrat, der Wirtschaftsprüfer oder die BaFin – überhaupt als Anspruchsgegner und weiteres Haftungssubjekt in Betracht kommt und als Anspruchsgegner, bei dem z.B. aufgrund einer dahinterstehenden Versicherung, eine Realisierung des vom Kunden der – insolventen – Bank geltend gemachten Anspruchs erfolgversprechend erscheint.

Zudem ist zu prüfen, in welchem Zeitraum vom Bankkunden Aktien, Anleihen und Optionsscheine oder sonstige Derivate im Lichte welcher ad hoc-Mitteilung erworben wurden. Soweit es um die Geltendmachung von Kursverlusten geht, kann der Anleger nach dem BGH (NJW 2012, 1800) als Mindestschaden auch den Kursdifferenzschaden ersetzt verlangen. Allerdings hat der Anleger darzulegen und zu beweisen, dass, wäre eine – richtige oder unterbliebene – ad-hoc-Mitteilung rechtzeitig erfolgt, der Kurs zum Zeitpunkt seines Kaufs niedriger gewesen wäre als er tatsächlich war.

Sollten Sie zu den betroffenen Anlegern gehören, können Sie sich gerne an einen der nachfolgenden Ansprechpartner wenden. Wir beraten Sie gern.

CBH-Rechtsanwalt Johannes Ristelhuber
Autor im Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung (Organhaftung), Handbuch des Fachanwalts für Bank- und Kapitalmarktrecht (Organhaftung und Insolvenzanfechtung) sowie weiterer Veröffentlichungen zum Gesellschaftsrecht und den Organpflichten in Kapitalgesellschaften

CBH-Rechtsanwalt Dr. Thomas Ritter
Autor im Standardwerk Anwaltshandbuch Aktienrecht, C.H. Beck, 3. Auflage, 2018, § 24 „Privatrechtliche Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat der AG“

Zurück
Johannes Ristelhuber

Johannes Ristelhuber

T: +49 221 95 190-68
ZUM PROFIL
Dr. Thomas Ritter

Dr. Thomas Ritter

T: +49 30 88 67 25-80
ZUM PROFIL