Vergaberecht in Zeiten der Corona-Krise: Flexible EU-Regeln erlauben Kauf binnen Stunden

Mit Mitteilung vom 01.04.2020 (2020/C 108 I/01) veröffentlichte die Europäische Kommission Leitlinien, welche Auftraggebern Optionen und Flexibilitätsmöglichkeiten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge für die Beschaffung der zur Bewältigung der Krise erforderlichen Waren und Dienstleistungen an die Hand geben.

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton betont ausdrücklich, dass das europäische Vergaberecht die notwendige Flexibilität biete, um in einer Notsituation wie der COVID-19-Pandemie benötigte Güter innerhalb weniger Tage oder sogar binnen Stunden zu beschaffen. Er ermuntert dabei alle öffentlichen Auftraggeber der Mitgliedstaaten, diese Flexibilität voll auszuschöpfen, um persönliche Schutzausrüstungen wie Gesichtsmasken und Schutzhandschuhe, aber auch medizinische Ausrüstung so schnell wie möglich zu beschaffen.

Was Sie als öffentlicher Auftraggeber nun wissen sollten:

In Fällen von Dringlichkeit: Verkürzung der Fristen

Öffentliche Auftraggeber können in Fällen von Dringlichkeit von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Fristen für die Beschleunigung offener oder nichtoffener Verfahren erheblich zu verkürzen. Konkret gesprochen kann im offenen Verfahren die Frist für die Einreichung von Angeboten in Fällen einer hinreichend begründeten Dringlichkeit von 35 auf 15 Tage verkürzt werden; im nichtoffenen Verfahren kann die Frist für die Einreichung eines Teilnahmeantrags von 30 auf 15 Tage und für die Einreichung eines Angebots von 30 auf 10 Tage verkürzt werden. Fälle von Dringlichkeit liegen nach den Leitlinien dann vor, wenn die Anwendung der unter normalen Umständen geltenden Fristen eine Beschaffung unmöglich macht.

In Fällen von äußerster Dringlichkeit: Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung

Sollte diese Flexibilität nicht ausreichen, kann ein Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung – wobei hier aus nationaler Sicht das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemeint ist – in Betracht gezogen werden. Öffentliche Aufraggeber sind aufgrund des absoluten Ausnahmecharakters dieser Verfahrensart jedoch zu einer sorgfältigen Prüfung angehalten, ob die Vergabe im Rahmen des Verhandlungsverfahrens ohne Veröffentlichung unbedingt erforderlich ist, weil „dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die die betreffenden öffentlichen Auftraggeber nicht voraussehen konnten, es nicht zulassen, die Fristen einzuhalten, die für die offenen, die nichtoffenen Verfahren oder für die Vergabeverfahren mit Verhandlung vorgeschrieben sind“ (vgl. Art. 32 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie EU/2014/24/EU). Die Erwägungsgründe für die Auswahl des genannten Verfahrens sind dabei in einem Vergabevermerk zu begründen.

Darüber hinaus könnte sogar eine Direktvergabe an einen vorab ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer zulässig sein, sofern dieser als einziger in der Lage ist, die erforderlichen Lieferungen innerhalb der durch die äußerste Dringlichkeit bedingten technischen und zeitlichen Zwänge durchzuführen. Auch dieser Ausnahmetatbestand ist eng auszulegen.

Alternative Lösungsansätze

Darüber hinaus ermutigt die Kommission öffentliche Auftraggeber zur Prüfung alternativer Lösungen, um sich proaktiv am Markt zu beteiligen. Beispielhaft führen die Leitlinien der Kommission die Durchführung von Hackathons für neue Konzepte, welche z. B. die Wiederverwendung von Schutzmasken nach der Reinigung ermöglichen oder aber eine engere Zusammenarbeit mit Unternehmensnetzwerken, an.

Fazit

Auch wenn die Leitlinien der Europäischen Kommission insgesamt eine flexiblere Gestaltung des europäischen Vergaberechts in Zeiten der Corona-Krise ermöglichen, so räumt das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 19.03.2020 öffentlichen Auftraggebern in der Anwendung des Vergaberechts deutlich mehr Handlungsspielraum ein. Danach liegen die Voraussetzungen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV bzw. § 13 Abs. 2 Nr. 4 SektVO zweifelsfrei bei einem Einkauf von Leistungen, die der Eindämmung und kurzfristigen Bewältigung der Corona-Epidemie und/oder der Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs der öffentlichen Verwaltung dienen, vor. Zudem ist – entgegen den Ausführung der Europäischen Kommission – sogar eine Fristverkürzung auf bis zu 0 Tage denkbar.

Die Mitteilung der Kommission finden Sie im Wortlaut hier.

Eine Sammlung aller bisher ergangenen Gerichtsentscheidungen zum Thema Corona finden Sie unter cbh.de/corona/.