EuGH schränkt Anwendungsbereich der VO 1370/2007 für Personenbeförderungsdienste mit Straßenbahnen und Bussen auf Dienstleistungskonzessionen ein.

Für Direktvergaben im ÖSPV gilt jetzt im Übrigen das allgemeine Vergaberecht! Am 21.03.2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil betreffend die Direktvergaben von Busverkehrsleistungen an den Regionalverkehr Köln (Rs. C 266/17) und West-Verkehr in Heinsberg (Rs. C 267/17) verkündet.

Für Direktvergaben im ÖSPV gilt jetzt im Übrigen das allgemeine Vergaberecht!

Am 21.03.2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil betreffend die Direktvergaben von Busverkehrsleistungen an den Regionalverkehr Köln (Rs. C 266/17) und West-Verkehr in Heinsberg (Rs. C 267/17) verkündet. Danach ist …

… Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 … auf die Direktvergabe von Verträgen über öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen, die nicht die Form von Dienstleistungskonzessionen im Sinne der Richtlinie 2004/17/EG und der Richtlinie 2004/18/EG annehmen, nicht anwendbar.

Damit ist der EuGH in dem Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf zur Auslegung der VO (EG) Nr. 1370/2007 überraschenderweise nicht den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 13. September 2018 gefolgt.

Die Rechtsfolgen dieses Urteils für die Praxis, wollen wir für Sie in dieser Sondermitteilung erörtern:

Gründe

Nach der Urteilsbegründung hatte der Unionsgesetzgeber mit der VO 1370/2007 ausschließlich ein spezifisches Regelwerk für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Eisenbahnen und U-Bahnen schaffen wollen, insbesondere auch für die Direktvergabe solcher Beförderungsdienste.

Für Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen, die nicht als Konzessionen vergeben werden, galten hingegen bereits vor dem Erlass der VO 1370/2007 die Vergabevorschriften der Richtlinien 2004/17 und 2004/18. Insofern bestand keine Notwendigkeit einer neuen Regelung für die Vergabe von Aufträgen mit Beschaffungscharakter. Folglich unterliegen echte Auftragsverhältnisse weiterhin den Richtlinien 2004/17 oder der Richtlinie 2004/18 bzw. deren Nachfolgeregelungen, den aktuellen Vergaberichtlinien 2014/24 und 2014/25, die im deutschen Recht u.a. in § 108 I GWB (Ausnahmen für Inhouse-Vergabe) umgesetzt sind. Nur wenn das Vertragsverhältnis Konzessionsmerkmale aufweise, ist der Anwendungsbereich der VO 1370/2007 eröffnet.

Die Eingliederung der Regelung über Direktvergaben in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien bedeutet für die Praxis, dass jeder öffentliche Dienstleistungsauftrag mit Auftragscharakter die Anwendung der Vergaberichtlinien einschließlich der dort geregelten Ausnahmen für Inhouse-Vergaben voraussetzt. Daraus folgt, dass Art. 5 II VO 1370/2007 auf die Direktvergabe von Verträgen über öffentliche Personenverkehrsdienste mit Straßenbahnen und Bussen, die nicht die Form von Dienstleistungskonzessionen annehmen, nicht anwendbar ist.

Da damit die erste Frage verneint wurde, waren die anderen Vorlagefragen des OLG Düsseldorfs nicht zu beantworten.

Konsequenzen für die Praxis:

Was bedeutet das Urteil für Inhouse- bzw. Direktvergaben an das eigene kommunale Unternehmen?

Direktvergaben bzw. Inhouse-Vergaben an einen internen Betreiber bleiben weiterhin zulässig, und zwar entweder nach Art. 5 II VO 1370/2007 oder gemäß § 108 I GWB. Entscheidend für die Wahl des richtigen Rechtsregimes ist die Rechtsnatur des konkreten öffentlichen Dienstleistungsauftrages – dieser Begriff kann sowohl echte Aufträge als auch Konzessionen umfassen:

  • Soll das Betriebsrisiko, welches sowohl das Nachfrage- bzw. Erlösrisiko als auch das Angebots- bzw. Kostenrisiko umfasst, bei dem Betreiber liegen und bleibt dieser den Unwägbarkeiten des Marktes tatsächlich ausgesetzt, so liegt mit Übernahme der Erlösverantwortung regelmäßig eine Konzession nach dem Netto-Prinzip vor, die weiterhin nach Art. 5 II Nr. 1370/2007 direkt vergeben werden kann.
  • Sollen dem Betreiber hingegen seine vorab prognostizierten Betriebskosten über die Laufzeit des Vertrages ausgeglichen werden, so ist mangels Übernahme der Erlösverantwortung von einem öffentlichen Auftrag nach dem Brutto-Prinzip auszugehen der gemäß § 108 I GWB direkt an einen internen Betreiber vergeben werden kann.
    In Folge dessen müssen insbesondere Unternehmen, deren Betriebsverluste aus steuerlichen Gründen stets vollumfänglich über den kommunalen Querverbund ausgeglichen werden, jetzt regelmäßig von einem vergaberechtlichen Auftragsverhältnis ausgehen. Andernfalls müssen Vorkehrungen getroffen werden, die den Konzessionscharakter erhalten. Dazu bedarf es in jedem Fall der Übernahme des Betriebsrisikos. Allein ein Verzicht auf das Rechtsinstrumentes eines zivilrechtlichen Vertrages reicht nicht, um den Beschaffungscharakter eines Auftrages zu vermeiden.

In welchen Voraussetzungen unterscheiden sich die beiden Vergaberegime?

Die Inhouse-Voraussetzungen nach § 108 I GWB und die einer Direktvergabe nach Art. 5 II VO 1370/2007 weisen erhebliche Unterschiede auf; je nach Rechtsregime muss daher die Frage der „Inhouse- bzw. Direktvergabe-Fähigkeit“ eines internen Betreibers durchaus unterschiedlich beantwortet werden:

  • Identisch ist in beiden Regimen allein das Beherrschungserfordernis, wie über eine eigene Dienststelle – das gilt sowohl für juristische Personen in der Rechtsform einer GmbH als auch einer AG.
  • Wesentliche Unterschiede zeigen sich jedoch bereits beim Wesentlichkeitskriterium:Während nach Art. 5 Abs. 2 lit. b) VO 1370/2007 der Betreiber und jede Einheit, auf die der Betreiber nur geringfügigen Einfluss nehmen kann, mit Ausnahme abgehender Linien keine Personenbeförderungsdienste außerhalb des Zuständigkeitsgebiets der beauftragenden Behörde ausführen darf, müssen gem. § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB mehr als 80 % der Tätigkeiten der Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen der Betreiber direkt betraut worden ist;Damit geraten insbesondere kommunale Einheitsunternehmen mit mehreren Sparten unter Druck, weil in dieser Struktur zumindest keine Inhouse-Vergabe nach allg. Vergaberecht möglich ist. Andere Betreiber profitieren hingegen, wenn sie nach allg. Vergaberecht nicht mehr an das strenge Gebietskriterium gebunden sind.
  • Schließlich besteht ein erheblicher Unterschied hinsichtlich des Umfangs privater Kapitalbeteiligungen:Nach § 8 Abs. 1 lit. c) GWB darf an dem internen Betreiber gar keine direkte private Beteiligung bestehen; Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO 1370/2007 lässt hingegen solche Beteiligungen zu, sofern eine beherrschende öffentliche Kontrolle besteht oder aufgrund anderer Kriterien festgestellt werden kann. Da mit Privaten auch öffentlich beherrschte, aber rein privatwirtschaftlich handelnde Unternehmen, wie etwa Energieversorger, gemeint sind, müssen im Falle von Inhouse-Vergaben daher die Beteiligungsverhältnisse auf ihre Inhouse-Schädlichkeit untersucht werden.Im Ergebnis muss also in jedem Einzelfall geprüft werden, in welchem Regime die Vor- bzw. Nachteile für den jeweiligen internen Betreiber überwiegen. Eine pauschale Empfehlung für eine vorrangige Anwendung eines der Vergaberechtsregime ist insoweit nicht zielführend.

Was gilt bei einer Auftragsvergabe durch eine Gruppe von Behörden?

Ebenfalls zu völlig unterschiedlichen Voraussetzungen kommt es für Direktvergaben durch eine Gruppe von zuständigen Behörden:

Während es nach Art. 5 II VO 1370/2007 ausreicht, wenn bei einer Gruppe von zuständigen Behörden wenigstens eine zuständige Behörde die erforderliche Kontrolle über den internen Betreiber ausüben kann, setzt § 108 IV GWB für eine gemeinsame Inhouse-Vergabe auch eine entsprechende gemeinsame Kontrolle voraus. Eine solche besteht gemäß § 108 V GWB nur dann, wenn sich u.a. die „beschlussfassenden Organe des Betreibers aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber zusammensetzen“. Das allg. Vergaberecht setzt somit regelmäßig ein Gemeinschaftsunternehmen voraus!

Bedarf es auch bei Inhouse-Vergaben einer Vorabbekanntmachung im EU-Amtsblatt gemäß Art. 7 II VO 1370/2007?

Ja! Öffentliche Dienstleistungsaufträge werden gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz. 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 weiterhin unabhängig von dem einschlägigen Vergaberechtsregime nach Maßgabe dieser Verordnung vergeben. Demnach gilt in jedem Fall das Erfordernis einer vorherigen Ankündigung des Verfahrens im EU-Amtsblatt.

Außerdem ist die Vorabbekanntmachung auch gemäß § 8a Abs. 2 Satz 2 PBefG weiterhin Voraussetzung für das Verfahren zur Erteilung einer gemeinwirtschaftlichen Liniengenehmigung.
Soll also eine Inhouse-Vergabe nach allg. Vergaberecht durchgeführt werden, ist darauf zu achten, dass in der Vorabbekanntmachung das richtige Vergaberechtsregime genannt wird, damit Wettbewerber ihre Informationsrechte nach Art. 7 Abs. 4 und § 8a Abs. 5 PBefG richtig wahrnehmen und die Direktvergabevoraussetzungen prüfen können. Bereits veröffentlichte Verfahren sollten daher über eine Änderungsbekanntmachung berichtigt werden, um sich nicht dem Vorwurf mangelnder Transparenz auszusetzen.

Welche Änderungen folgen aus der Anwendung des allg. Vergaberechts noch? Umfang der Eigenerbringungsquote!

Jeder öffentliche Dienstleistungsauftrag über öffentliche Personenbeförderungsdienste muss weiterhin sämtlichen obligatorischen Voraussetzungen des Art. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 genügen. Ein wesentlicher Unterschied gilt jedoch für den zulässigen Umfang von Subunternehmerleistungen:

Öffentliche Dienstleistungsaufträge, die gemäß § 108 I GWB vergeben werden, müssen gemäß Art. 4 Abs. 7 VO 1370/2007 nur eine Eigenerbringungsquote für den bedeutenden Teil der Beförderungsleistung vorsehen; Konzessionen hingegen müssen gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. e) VO 1370/2007 mindestens eine verpflichtende Eigenerbringungsquote für den überwiegenden Teil der Leistung enthalten.

Die Möglichkeit, in ein anderes Vergaberechtsregime zu wechseln, hat also Vorteile für Betreiber, deren Verkehre bislang einen hohen Anteil an Subunternehmerleistungen aufweisen und die diesen Anteil aufrechterhalten wollen. In beiden Fällen bedarf es weiterhin einer ausdrücklichen Befreiung von der strengen Eigenerbringungspflicht in Art. 4 VII S. 1 VO 1370/2007.

Was bedeutet das Urteil für das Überkompensationsregime gemäß dem Anhang zur VO 1370/2007?

Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VO 1370/2007 muss jede Ausgleichsleistung unabhängig von den Vergabemodalitäten den Voraussetzungen des Art. 4 VO 1370/2007 entsprechen. und unterliegt – spätestens seit der Novelle der VO 1370/007 durch die Änderungsverordnung (EU) 2016/2338 v. 14.12.2016 – darüber hinaus auch den Bestimmungen des Anhangs, sofern der Auftrag nicht gemäß Art. 5 I, III oder III b VO 1370/2007 im Wettbewerb vergeben wird.

Mit der Novelle der VO 1370/2007 wurde somit bereits ausdrücklich klargestellt, dass die Bestimmungen des Anhangs zur VO 1370/2007 für alle direkt vergebenen öffentlichen Dienstleistungsaufträge gelten, also auch für Inhouse-Vergaben nach allg. Vergaberecht.

Was gilt bei Änderungen eines bestehenden öffentlichen Dienstleistungsauftrages während seiner Laufzeit?

Wesentliche Änderungen eines bestehenden öffentlichen Dienstleistungsauftrags sind vergaberechtlich genau so zu beurteilen, wie eine neue Auftragsvergabe, vgl. § 132 GWB. Solche Änderungen müssen daher auch über eine Vorabbekanntmachung gemäß Art. 7 II VO 1370/2007 vorangekündigt werden, damit Wettbewerber darauf reagieren können – das gilt sowohl für Aufträge als auch Konzessionen.

Im Falle einer Auftragsänderung stellt sich somit erneut die Frage des anzuwendenden Rechtsregimes. Es muss geprüft werden, ob entweder die Direktvergabe- oder die Inhouse-Voraussetzungen für eine nicht-ausschreibungspflichtige Änderung des Auftragsverhältnisses vorliegen.

Fazit

Es wird deutlich, dass jetzt im Nachgang der EuGH Entscheidung die Frage, welches Betriebsrisiko der interne Betreiber tatsächlich trägt oder tragen soll, von ganz entscheidender Bedeutung für die anzuwendenden Direktvergabe- bzw. Inhouse-Kriterien sind. Dieses Erfordernis hat einschneidende Bedeutung für Unternehmen im kommunalen Querverbund, die aus steuerlichen Gründen kein Betriebsrisiko tragen können.

Die Inhouse-Voraussetzungen des allg. Vergaberechts unterscheiden sich nämlich erheblich von denen der VO 1370/2007. Das kann Vor- aber auch Nachteile für die Möglichkeit der Inhouse- bzw. Direktvergabe an den internen Betreiber haben.

Aufgabenträger, denen die Gestaltung des öffentlichen Auftrages alternativ sowohl als Auftrag oder als Konzession möglich ist, müssen prüfen, in welchem Rechtsregime die Vorteile überwiegen.

So hat die Möglichkeit, in das allgemeine Vergaberecht zu wechseln, den Vorteil, dass Betreiber, die bislang einen hohen Anteil an Subunternehmerleistungen aufweisen, diesen Anteil ggf. in Zukunft aufrechterhalten können. Sie sind auch nicht mehr strikt auf eine ÖSPV-Betätigung ausschließlich im Gebiet der zuständigen Behörde angewiesen.

In Anwendungsbereich der VO 1370/2007 hingegen lässt sich eine Direktvergabe durch eine Gruppe von zuständigen Behörden leichter organisieren; nicht beherrschende Formen privater Beteiligungen bleiben hier ebenfalls zulässig.

In beiden Vergaberegimen bleibt es jedoch bei den Erfordernissen einer vorherigen Bekanntmachung der Vergabeabsicht im EU-Amtsblatt und dem sog. Überkompensationsverbot, also einem Nachweis, dass kein Ausgleich über den finanziellen Nettoeffekt hinaus – berechnet nach den Vorgaben des Anhangs – stattgefunden hat.

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Dr. Jan Deuster

Dr. Jan Deuster

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