Entscheidung des Monats | Einstellung eines leitenden Mitarbeiters eines Mitbewerbers als unzulässiger Wettbewerbsvorteil?

Kann in einem Vergabeverfahren nicht ausgeschlossen werden, dass die durch die Einstellung eines ehemaligen leitenden Mitarbeiters eines Mitbewerbers gewonnenen Informationen dem Bieter, der die Einstellung vorgenommen hat, einen ungerechtfertigten Vorteil verschafft haben, muss der öffentliche Auftraggeber alle relevanten Umstände prüfen, die zur Einreichung dieses Angebots geführt haben. Das hat der EuGH mit Urteil vom 13.06.2025 (C-415/23) entschieden.

Der Entscheidung lag ein Vergabeverfahren der im Namen und Auftrag der EU-Kommission handelnden Europäischen Weltraumorganisation (ESA) (folgend: „Auftraggeber“) zur Beschaffung von Satelliten im wettbewerblichen Dialog zugrunde. Nach Angebotslegung zweier Bieter (A und B) wandte sich Bieter A an den Auftraggeber mit der Bitte um Aussetzung des Verfahrens zwecks Untersuchung und Ausschlusses von Bieter B aus dem Verfahren. Bieter A trug dazu vor, ein bislang bei ihr tätiger und an der Erstellung des eigenen Angebotes beteiligter leitender Mitarbeiter sei vor Angebotslegung von Bieter B eingestellt worden und dort ebenfalls für die Angebotserstellung verantwortlich gewesen. Folglich verfüge der Mitarbeiter über sensible Informationen, die dem Bieter B einen unzulässigen Vorteil verschaffen würden. Der Auftraggeber untersuchte den Sachverhalt nicht weiter und teilte dem Bieter A mit, es liege kein hinreichender Grund für eine Aussetzung oder gar einen Ausschluss vor, stattdessen wolle man den Zuschlag an den Bieter B erteilen. Die Rüge des Bieters A gegen die Mitteilung der Zuschlagsabsicht blieb erfolglos, daher klagte er. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) wies die Klage jedoch mit der Begründung ab, das Vorbringen von A habe keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen etwaigen Ausschluss nach Art. 136 Abs. 1 Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 über die Haushaltsordnung („HO“) oder eine diesbezügliche Untersuchungspflicht seitens des Auftraggebers geboten.

Das anschließend von A eingelegte Rechtsmittel hatte Erfolg: Der EuGH verwies die Sache an das EuG zurück. Denn nach dem in Art. 160 Abs. 1 HO geregelten Gleichbehandlungsgrundsatz habe der Auftraggeber für die Einhaltung des Grundsatzes der Chancengleichheit zu sorgen. Deshalb sei der Auftraggeber verpflichtet, bei Vorliegen von objektiven Anhaltspunkten, die Zweifel an der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit eines Angebots aufkommen lassen, alle relevanten Umstände zu prüfen, die zur Einreichung des Angebots geführt haben – hierfür seien auch Indizien ausreichend. Das EuG habe diese Grundsätze rechtsfehlerhaft verkannt und hätte deren Beachtung durch den Auftraggeber prüfen müssen. Nach dem vorliegenden Sachverhalt sei nicht ausgeschlossen, dass der Bieter B über den eingestellten Mitarbeiter vertrauliche Informationen über das Angebot des Bieters A und folglich den Wettbewerb beeinträchtigende Vorteile erlangt habe. Die Entscheidung des EuGH ist auch vor dem Hintergrund von Vergabeverfahren nach dem allgemeinen GWB-Vergaberecht zu beachten; Auftraggeber sollten also konkrete Hinweise zu Wettbewerbsvorteilen von Bietern aufklären.

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Sarah Beard

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