Wer die Herbstferien in Italien am Strand verbringt, wird bemerken, dass die Betreiber der Strandbäder („Bagni“) dort häufig schon seit Generationen in den Händen von Familienbetrieben liegen, viele Pachtverträge verlängern sich automatisch. Doch was hat das mit dem Vergaberecht zu tun?
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 20.04.2023 (C-348/22) entschieden, dass die Konzessionen für die Nutzung der italienischen Strände nicht automatisch verlängert werden dürfen, sondern in einem neutralen und transparenten Auswahlverfahren vergeben werden müssen: Nach dem Unionsrecht müssten die Mitgliedstaaten bei der Vergabe von Konzessionen für die Nutzung im öffentlichen Eigentum stehender Liegenschaften am Meer ein Verfahren zur Auswahl der Bewerber durchführen, wenn die Zahl der für eine bestimmte Tätigkeit verfügbaren (zeitlich zu befristenden) Genehmigungen aufgrund der Knappheit der natürlichen Ressourcen begrenzt ist. Obwohl diese Regeln in die italienische Rechtsordnung umgesetzt wurden, ordnete ein Gesetz von 2018 die Verlängerung der laufenden Konzessionen bis zum 31. Dezember 2033 an, um über die Zeit zu verfügen, die für die Durchführung aller für die Reform der Konzessionen unbedingt erforderlichen Vorgänge erforderlich sei.
Diesem Gesetz nach hatte die Gemeinde Ginosa auf ihrem Gebiet die Konzessionen für die Nutzung im öffentlichen Eigentum stehender Liegenschaften am Meer verlängert. Dagegen erhob die Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde Klage vor dem regionalen Verwaltungsgericht Apulien. Dieses hielt zwar die nationalen Bestimmungen für mit der maßgeblichen Richtlinie 2006/123/EG (Dienstleistungen im Binnenmarkt) unvereinbar, legte jedoch dem EuGH Fragen zur Auslegung der genannten Richtlinie vor.
Der EuGH entschied daraufhin u. a., dass die Richtlinie auf alle Konzessionen für die Nutzung im öffentlichen Eigentum stehender Liegenschaften am Meer anwendbar sei und es insoweit unerheblich sei, ob sie ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse aufweist. Auch stellt der EuGH klar, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, ein neutrales und transparentes Verfahren zur Auswahl der Bewerber anzuwenden, sowie das Verbot, eine für eine bestimmte Tätigkeit erteilte Genehmigung automatisch zu verlängern, von der Richtlinie unbedingt und hinreichend genau definiert sei. Da diese Regeln unmittelbar anwendbar seien, müssten die nationalen Gerichte und die Verwaltungsbehörden – auch die kommunalen – diese auch anwenden. Entgegenstehende nationale Vorschriften müssten dagegen unangewendet bleiben.
Im Sommer gab es daraufhin Proteste an den Stränden Italiens – die Betreiber waren auf die EU sauer, dass das Geschäft mit Sonnenschirm und Liege nicht mehr weitervererbt werden darf, sondern im Wettbewerb vergeben werden soll. Es wurde ein Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit von mehr Wettbewerb und gleichzeitig dem Schutz der derzeitigen Pächter gefordert. Nun hat die italienische Regierung eigenen Angaben zufolge eine Einigung mit der EU-Kommission erzielt. Die vereinbarte Reform sieht vor, dass die derzeitigen Strandbad-Konzessionen noch bis September 2027 gültig sind, spätestens im Juni 2027 neu ausgeschrieben werden müssen und dann eine Laufzeit von fünf bis 20 Jahren haben sollen. Besonders interessant an der Entscheidung – auch für die Vergabepraxis hierzulande – ist, dass Art. 12 Abs. 1 und 2 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG, also die Regelungen, die ein neutrales transparentes Auswahlverfahren vorschreiben und eine automatische Konzessionsverlängerung verbieten, dem EuGH nach unmittelbar anwendbar sind. Vor dem Hintergrund von Genehmigungen auch in anderen Bereichen, z. B. von Sondernutzungsgenehmigungen für das Aufstellen von E-Ladesäulen im öffentlichen Straßenverkehr nach dem Straßenrecht der Länder, ist dies zu beachten.
