BVerwG: Führt eine Bebauungsplanänderung zu einer Nutzungsänderung, sind Nachbarinteressen abwägungsrelevant

Städtebauliche Interessen können sich mit der Zeit verändern. Damit einher geht auch der Bedarf, bestehende Bebauungspläne mittels einer Änderungssatzung anzupassen. Das Bundesverwaltungsgericht (4 BN 17/21) hat jüngst Klarheit darüber geschaffen, dass bei einer Änderung, die zu einer Nutzungsänderung von Flächen innerhalb des B-Plans führt, auch die Nachbarinteressen in die erforderliche Abwägung einzubeziehen sind.

Hintergrund

Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts befasst sich mit der Änderung eines am 22.04.2002 als Satzung beschlossenen Bebauungsplans einer Gemeinde in Rheinland-Pfalz. Am 10.09.2008 beschloss die Gemeinde die erste Änderung des Bebauungsplans. In dieser Änderung wurde u. a. eine in unmittelbarer Nachbarschaft der Antragstellerin liegende Fläche mit der bisherigen öffentlichen Grünflächenfestsetzung „Parkanlage“ zum Teil in eine „öffentliche Verkehrsfläche“ geändert. Die Antragstellerin stellte am 03.01.2020 einen Normenkontrollantrag vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Sie rügte diverse Verfahrensfehler und trug vor, dass ihr Interesse ins Gewicht falle, von zusätzlichen Lärmemissionen u. a. durch den hinzukommenden Busverkehr verschont zu bleiben.

Das OVG Rheinland-Pfalz hat den Normenkontrollantrag mit Beschluss vom 27.09.2021 mit der Begründung abgelehnt, der Antragstellerin fehle schon die gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis. Das OVG schloss sich dabei der Argumentation der Antragsgegnerin an und war der Ansicht, dass der angegriffene Änderungsbebauungsplan im Verhältnis zum Ursprungsplan keine Beschränkungen enthalte, sondern der Antragstellerin ein Mehr an Baufreiheit gewähre. Die neuen Festsetzungen würden ihr eine größere Flexibilität bei der Grundstücksbebauung einräumen, weswegen eine planbedingte Verletzung ihrer Eigentumsposition nicht gegeben sei. Außerdem stelle die geringe Zusatzbelastung durch den Busverkehr keine abwägungsbeachtliche Belastung dar, deren eventuelle Fehlgewichtung eine Antragsbefugnis begründe.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde zugunsten der Antragstellerin entschieden und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung

Das Bundesverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an die Geltendmachung aus § 41 Abs. 2 Satz 1 VwGO mit seiner Entscheidung überspannt hat.

Erforderlich und damit auch ausreichend sei für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Es bestehe zunächst die Möglichkeit, dass die Antragstellerin in ihren Eigentumsrechten verletzt sei, da ihr Grundstück im Plangebiet liegt und die Änderung potenziell unmittelbar ihr Grundstück betreffen kann. Anders als beim Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) komme es nicht darauf an, dass diese Betroffenheit mehr als geringfügig, schutzwürdig oder für die Gemeinde erkennbar sei. Es genüge die Eigentumsbetroffenheit als solche. Das gelte auch dann, wenn der Bebauungsplan eine für den Eigentümer im Vergleich zur bisherigen Rechtslage an sich günstige Festsetzung trifft, denn auch diese kann ihn zugleich in der baulichen Nutzung seines Grundstücks beschränken und für ihn nachteilig sein.

Daneben besteht nach Ansicht des BVerwG aber auch die Möglichkeit der Verletzung des Abwägungsgebots aus § 1 Abs. 7 BauGB. Abwägungsrelevant seien zunächst nur solche privaten Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben. Nicht abwägungserheblich seien dabei geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren.

Das Baugesetzbuch gewähre zwar keinen Anspruch auf den Fortbestand eines Bebauungsplans, der Änderungen des Plans gar ausschließt, führt die Änderung aber wie in diesem Fall dazu, dass Nachbargrundstücke in anderer Weise als bisher genutzt werden dürfen, so gehöre das Interesse der Nachbarn an der Beibehaltung der geltenden Festsetzungen grundsätzlich zum notwendigen Abwägungsmaterial. Die ortsrechtlichen Festsetzungen begründen regelmäßig ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass Veränderungen, die sich für die Nachbarn nachteilig auswirken können, nur unter Berücksichtigung ihrer Interessen vorgenommen werden. Abwägungsrelevant sei jedes mehr als geringfügige private Interesse am Fortbestehen des Bebauungsplans in seiner früheren Fassung, auch wenn es auf einer einen Nachbarn nur tatsächlich begünstigenden Festsetzung beruht. Abweichendes ergebe sich lediglich bei nur geringfügigen Änderungen sowie bei solchen Änderungen, die sich nur unwesentlich auf das Nachbargrundstück auswirken können.

Da sich in diesem Fall die Änderung der bisherigen Grünflächenfestsetzung besonders im Bereich zum Grundstück der Antragstellerin auswirkte, bedurfte es für die Antragsbefugnis keiner weiteren Darlegung zur Erheblichkeit der Beeinträchtigung.

Folgen für die Praxis

Schon jetzt lässt sich für Plangeber aus der Entscheidung einmal mehr die Erkenntnis ziehen, dass eine gesteigerte Sorgfalt bei der Ermittlung des Abwägungsmaterials zur Vermeidung langwieriger Normenkontrollverfahren erforderlich ist. Es bleibt abzuwarten, ob das vorliegende Normenkontrollverfahren auch im Rahmen der Begründetheit Erfolg haben wird.

Quelle: https://www.juris.de/perma?d=WBRE202100614

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Alexander Fritz

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