Update zum Urteil des EuGH vom 26.03.2020, Rs. C-66/19 zur sog. „Kaskadenverweisung“

Die ersten Oberlandesgerichte (OLG München, Beschl. v. 30.03.2020, 32 U 5462/19 und OLG Düsseldorf, Hinweisbeschl. v. 31.03.2020, 6 U 160/19) geben zu verstehen, dass die Entscheidung des EuGH zur sog. „Kaskadenverweisung“ keine Auswirkungen auf die Widerruflichkeit betroffener Verbraucherverträge mit Widerrufsinformationen unter Anwendung deutschen Rechts hat und eine richtlinienkonforme Auslegung nicht zur Anwendung kommen kann.

Vorbemerkung

Der EuGH hat bekanntlich mit Urteil vom 26.03.2020, Rs. C-66/19, entschieden, dass Art. 10 Abs. 2 lit. p der Richtlinie 2008/48 (im Folgenden Richtlinie 2008/48 EG) einer Regelung in Widerrufsinformationen zu Verbraucherdarlehensverträgen dann entgegenstehe und auch dementsprechend auszulegen sei, wenn diese Regelung hinsichtlich der in Art. 10 dieser Richtlinie genannten und geforderten Angaben auf eine nationale Vorschrift verweise, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats Bezug nehme (sog. „Kaskadenverweisung“). Damit stellt der EuGH auch gleichzeitig klar, dass der seit 30.07.2010 im deutschen Belehrungsmuster nach Anlage 6 EGBGB (ab 13.06.2014: Anlage 7 EGBGB) verankerte sog. „Kaskadenverweis“ den Anforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie (Art. 10 Abs. 2 lit. p der Richtlinie 2008/48/EG) nicht gerecht wird.

Dieses Urteil haben Medien und Verbraucheranwälte intensiv aufgegriffen und sprechen plakativ vom neuen „Widerrufsjoker“ für sämtliche mit Widerrufsinformationen versehene Verbraucherverträge, gleich, ob Autokredite, Leasingverträge oder Immobiliardarlehen. Bereits in unserem Newsletterbeitrag vom 27. März haben wir eine andere Einordnung vorgenommen. Jetzt liegen also die ersten, unsere Auffassung teilende, Entscheidungen von Oberlandesgerichten vor, die das Urteil des EuGH und dessen Entscheidungsinhalt explizit behandeln.

Oberlandesgerichte sehen keinen Änderungsbedarf der deutschen Rechtsprechung in Ansehung des EuGH-Urteils

Wie wir bereits in unserem ersten Beitrag zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils ausführlich dargestellt haben, gilt für deutsche Gerichte zuvörderst das nationale Recht unter Beachtung des Willens des deutschen Gesetzgebers. Dieser hat sein Verständnis von der Belehrung über die maßgeblichen Modalitäten für den Fristbeginn in Anlage 6 EGBGB a. F. (ab 13.06.2014: Anlage 7 EGBGB) aber explizit dargelegt und umgesetzt. An den in dieser Form geäußerten Willen des deutschen Gesetzgebers sind die deutschen Gerichte in konsequenter Anwendung des Rechtsstaatsprinzips gebunden. Über dieses gesetzgeberische Gesamtkonzept dürfen sich die Gerichte, die ihrerseits der Gesetzesbindung unterliegen, auch bei der Auslegung des gleichrangigen übrigen nationalen Rechts zur Umsetzung der Richtlinie 2008/48/EG nicht hinwegsetzen. Jegliche andere Auslegung erfolgt contra legem.

Unsere Einschätzung wurde nun vom OLG München und dem OLG Düsseldorf in den oben zitierten Entscheidungen bestätigt. Auch sie sehen mit Verweis auf ergangene Rechtsprechung des BGH und trotz des Urteils des EuGH keine Möglichkeit, die gewählten Widerrufsinformationen, die lediglich das gesetzgeberische Belehrungsmuster abbilden, als unwirksam einzustufen.

So führt das Oberlandesgericht Düsseldorf zutreffend aus:

„In der Entscheidung, der Verweis auf § 492 Abs.2 BGB sei unzureichend klar und verständlich, läge eine Missachtung der gesetzlichen Anordnung, die dazu    führte, dass das Regelungsziel des Gesetzgebers in einem wesentlichen Punkt verfehlt und verfälscht und einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben wird. Dazu sind die Gerichte nicht befugt. Das deutsche Gesetz und der Wille des deutschen Gesetzgebers sind derart eindeutig, dass auch eine entgegenstehende richtlinienkonforme Auslegung ausscheidet […]“

Zusammenfassung und Ausblick

Wir hatten bereits erläutert, dass eine gerichtliche Entscheidung in Umsetzung des EuGH-Urteils und gegen den eindeutigen Willen des Gesetzgebers, welcher sein Verständnis von der Belehrung über den Fristbeginn in der Anlage 6 EGBGB a.F. mit Kaskadenverweisungen dargelegt hat, wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatprinzip unzulässig sein dürfte und eine andere, richtlinienkonforme Auslegung deutscher Gerichte nicht contra legem des nationalen Rechts erfolgen kann. Die bislang ergangene obergerichtliche Rechtsprechung teilt unsere Einschätzung und sieht trotz des EuGH-Urteils keinen Anlass, einen etwaigen Widerruf betroffener Verbraucherverträge mit Widerrufsinformationen gemäß dem Belehrungsmuster unter Anwendung des maßgeblichen deutschen Rechts als wirksam zu erachten. Endgültige Klarheit wird indes nur eine Entscheidung des BGH verschaffen, der sich sicherlich in naher Zukunft noch einmal mit dem Urteil des EuGH auseinanderzusetzen haben wird. Es dürfte aber davon auszugehen sein, dass der BGH an seiner bisherigen Senatsrechtsprechung (Beschlüsse vom 19.03.2019, XI ZR 44/18 und 02.04.2019, XI ZR 488/17) festhalten wird. Jedenfalls stellen die geäußerten Rechtsansichten der zitierten Oberlandesgerichte einen ersten Fingerzeig dar, wie es um die Widerruflichkeit der von der EuGH-Entscheidung betroffenen Verbraucherverträge im nationalen Recht tatsächlich bestellt ist.

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Paul H. Assies

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Dr. Maik Kirchner

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