Wenn die Justiz die Berichterstattung im Gerichtsgebäude einschränkt

Gerichtsverfahren können von hohem medialen Interesse sein, allerdings kann die mediale Begleitung von Prozessen die Funktion der Rechtspflege stören oder die Rechte der Beteiligten verletzen. Immer wieder erlassen deshalb Gerichte Beschränkungen für die Arbeit von Journalisten im Gerichtsgebäude. Bisweilen schießen sie dabei über das rechtlich Zulässige hinaus und verletzen die Medien in ihren Grundrechten.

Der „Schwachkopf“-Fall am Amtsgericht Haßfurth

Ein hochaktuelles Beispiel für Beschränkungen der medialen Berichterstattung über einen Prozess bietet das Amtsgericht (AG) Haßfurth: Dort findet am 18.06.2025 die Hauptverhandlung in einem Strafverfahren gegen einen 64-jährigen Mann statt, der bundesweite Bekanntschaft durch die Verbreitung des „Schwachkopf“-Memes über Robert Habeck erlangt hat. In dem Verfahren geht es zwar nicht um diesen Fall, sondern um die Anklage wegen Verbreitens nationalsozialistischer Symbole und Volksverhetzung. Dennoch dürfte die Verhandlung ein großes Medienecho erzeugen.

Aus diesem Grund hat das AG Haßfurth umfassende Beschränkungen der journalistischen Betätigung im Gerichtsgebäude erlassen. Unter anderem sind für die gesamte Dauer der Hauptverhandlungen Ton-, Bild- und Filmaufnahmen sowie Interviews und „interviewähnliche Gespräche“ untersagt.

Zum Erlass sitzungspolizeilicher Maßnahmen sind die Gerichte gemäß den Landesjustizgesetzen berechtigt, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Gerichtsgebäuden aufrechtzuerhalten. Dazu müssen die Gerichte aber darlegen, dass überhaupt eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung droht und die ergriffenen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich und angemessen sind. Dass den Gerichten die Rechtfertigung von Beschränkungen der journalistischen Betätigung nicht immer gelingt, beweist ein jüngeres Beispiel einer sitzungspolizeilichen Maßnahme des Landgerichts (LG) Kiel:

Das Fotografieverbot am LG Kiel

Das Gericht untersagte im Januar 2025 sämtlichen Angestellten und Mitarbeitern der Axel Springer AG für einen Zeitraum von zwei Monaten das Fotografieren in den Räumlichkeiten des Gerichts. Hierbei stützte es auf § 14 Abs. 1 Landesjustizgesetz, demgemäß die Gerichtsleiterin oder der Gerichtsleiter die erforderlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Gerichtsgebäuden ergreifen können (Hausrecht). Hintergrund des von der Präsidentin des LG verhängten Fotografieverbots war, dass Mitarbeiter der BILD-Zeitung zweimal – 2022 und 2025 – gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen verstoßen hatten: In beiden Fällen wurden Aufnahmen von Beteiligten in Verfahren zu Tötungsdelikten nicht ausreichend verpixelt und konnten daher identifiziert werden.

Gegen das Fotografieverbot wehrte sich Axel Springer zunächst erfolgreich mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zum Verwaltungsgericht Schleswig. Gegen diesen Beschluss legte das LG Kiel Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig-Holstein ein.

Entscheidung des OVG Schleswig-Holstein

Mit Beschluss vom 27.03.2025 (Az. 4 MB 8/25) wies das OVG Schleswig-Holstein die Beschwerde als unbegründet zurück. Zwar könne § 14 Abs. 1 Landesjustizgesetz grundsätzlich auch als Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen zur Wahrung der Rechte der Verfahrensbeteiligten herangezogen werden. Da aber eine hausrechtliche Anordnung präventiven Charakter habe, müsse sie auch zur (künftigen) Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in einem Gerichtsgebäude erforderlich seien. Daher seien mit der Anordnung Tatsachen zu benennen, die den Hausfrieden in der Vergangenheit gestört haben und darauf schließen lassen, dass in Zukunft wieder mit Störungen zur rechnen sei und zu deren Verhinderung die Anordnung ergehen müsse.

Eine solche Gefahrenprognose vermochte das Gericht nicht zu erkennen. Zwar stelle eine unzulässige, identifizierende Berichterstattung einen gravierenden Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht – insbesondere von Angeklagten in strafrechtlichen Prozessen – dar. Das LG Kiel habe allerdings nicht dargetan, dass innerhalb des Geltungszeitraums des Verbots strafrechtliche Hauptverhandlungen anstehen, bei denen aufgrund ihrer Medienrelevanz mit dem Erscheinen von Vertretern von Axel Springer zu rechnen sei.

Der Umstand, dass Mitarbeiter der BILD-Zeitung innerhalb von drei Jahren zweimal gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen verstoßen haben, lasse noch kein systematisches Vorgehen dergestalt erkennen, dass jederzeit mit weiteren Verstößen zu rechnen wäre. Nichts anderes folge aus den vom Presserat im Zeitraum von 2022 bis 2024 ausgesprochenen Rügen des Presserates gegenüber der BILD-Zeitung.

Fazit

Das OVG Schleswig-Holstein bestätigt, dass sitzungspolizeiliche Anordnungen grundsätzlich auch gegenüber Medien(-vertretern) ergehen können, um Gefahren für Rechtsgüter durch die Berichterstattung abzuwehren. Allerdings ist hierfür eine Gefahrenprognose anzustellen. Und angesichts der „Vorgeschichte“ im vorliegenden Fall muss konstatiert werden, dass das Gericht durchaus hohe Anforderungen an die Annahme erneuter Rechtsverletzungen stellt. Denn selbst wiederholte Verstöße eines Mediums sollen nicht ausreichen, um ein Fotografieverbot zu rechtfertigen. „Im Zweifel für die Pressefreiheit“, könnte man die Entscheidung zusammenfassen. 

Vor diesem Hintergrund erscheint fraglich, ob die weitgehenden Maßnahmen des AG Haßfurth einer rechtlichen Überprüfung standhielten: Ein großes Medieninteresse begründet allein noch keine Beeinträchtigung der Sicherheit und Ordnung. Hierfür bedarf es einer substantiierten Gefahrenprognose. Und dass die weitreichenden Beschränkungen für journalistische Betätigungen im gesamten Gerichtsgebäude zur Gefahrenabwehr erforderlich und angemessen sind, ist keineswegs gesichert – zumal unbestimmte Begriffe wie „interviewähnliche Gespräche“ bei Adressaten der Maßnahmen mehr Verwirrung stiften als für Klarheit sorgen dürften.

Der Schutz der Rechtspflege und der Rechte von Beteiligten in Gerichtsprozessen ist zweifelhaft ein hohes Gut. Umgekehrt gilt das aber auch für die Gerichtsöffentlichkeit als Ausprägung sowohl des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Und im Zeitalter der Massenmedien bedeutet Gerichtsöffentlichkeit „Gerichtsmedienöffentlichkeit“. Dies haben die Gerichte bei sitzungspolizeilichen Maßnahmen gegen die journalistische Betätigung zu beachten. 

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Dr. Jörg Frederik Ferreau

Dr. Jörg Frederik Ferreau

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