Der EuGH soll klären, ob die Transparenzvorschriften für Medienintermediäre im Medienstaatsvertrag (MStV) auf Plattformen mit Sitz im EU-Ausland anwendbar sind. Bis dahin ist eine Beanstandung von Spotify durch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) nicht vollziehbar.
Auslöser der Vorlage an den EuGH ist die Vorschrift des § 93 MStV als Bestandteil der seit 2020 in Deutschland geltenden Regulierung von Medienintermediären. Als Medienintermediäre gelten Telemedien, die auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregieren, selektieren und allgemein zugänglich präsentieren, ohne diese Inhalte zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen (§ 2 Abs. 2 Nr. 16 MStV). Gemeint sind damit insbesondere Soziale Netzwerke und Suchmaschinen.
§ 93 MStV verpflichtet Anbieter von Medienintermediären unter anderem dazu, die Zugangs- und wesentlichen Aggregations-, Selektions- und Präsentationskriterien leicht wahrnehmbar und verständlich darzustellen. Damit sollen die Nutzer die Funktionsweise des Algorithmus nachvollziehen können. Zudem bilden die Transparenzkriterien die Grundlage für die Beurteilung, ob ein Anbieter journalistische Inhalte entgegen § 94 MStV diskriminiert, weil er unbillige Kriterien gewählt hat oder systematisch von an sich zulässigen Kriterien abweicht.
Sachverhalt
Im Juli 2024 beanstandete die mabb, dass der schwedische Audio-Streamingdienst Spotify die Transparenzvorgaben nicht erfülle. Spotify sei aufgrund der dort abrufbaren Podcasts von Drittanbietern ein Medienintermediär. Die Transparenzhinweise entsprächen jedoch nicht den Anforderungen des § 93 MStV. Zusätzlich verlangte die mabb die Zahlung einer Verwaltungsgebühr in Höhe von 30.000,00 €.
Gegen diese Maßnahmen erhob Spotify Anfechtungsklage in der Hauptsache und beantragte zugleich die Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Spotify berief sich insbesondere darauf, dass § 93 MStV gegen das Herkunftslandprinzip der europäischen E-Commerce-Richtlinie (ECRL) verstoße und daher nicht auf einen in Schweden ansässigen Anbieter anwendbar sei. Das Herkunftslandprinzip der ECRL besagt, dass im koordinierten Bereich der Richtlinie grundsätzlich der Sitzstaat für die Regulierung zuständig ist und die anderen Mitgliedstaaten die Weiterverbreitung nur in Ausnahmefällen und auch nur durch Einzelfallmaßnahmen beschränken dürfen (vgl. Art. 3 Abs.2 – 6 ECRL).
Entscheidung
Mit Beschluss vom 17.12.2024 (32 L 221/24) ordnete das VG Berlin die aufschiebende Wirkung der Hauptsacheklage von Spotify an. Damit ist der Bescheid der mabb vorläufig nicht vollziehbar. Zur Begründung führte das Gericht aus, im Eilverfahren lasse sich nicht abschließend prüfen, ob die Rechtsgrundlage im MStV europarechtskonform ist. Die Kammer beabsichtige daher, dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob das Unionsrecht, insbesondere das in Art. 3 Abs. 1 und 2 ECRL festgeschriebene Herkunftslandprinzip, der Anwendbarkeit nationaler Vorschriften wie den deutschen Bestimmungen des MStV entgegenstehe.
Zwar handele es sich bei Spotify aller Voraussicht nach um einen Medienintermediär im Sinne des MStV. Uneinigkeit bestehe aber darüber, ob § 93 MStV wegen seines auf Anbieter mit Sitz im EU-Ausland erstreckten Geltungsbereichs gegen das Herkunftslandprinzip verstoße. Im Kern gehe es dabei um die Frage, ob das Herkunftslandprinzip im vorliegenden Kontext eine zwingende Vorgabe des Unionsrechts darstelle oder ob dem nationalen Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum verbleibe, innerhalb dessen er eigene medienpolitische Vorstellungen verfolgen kann.
Das Gericht tendiert in seinem Beschluss zur Unanwendbarkeit des § 93 MStV auf EU-ausländische Anbieter: Spotify stelle einen Dienst der Informationsgesellschaft im Sinne der ECRL dar, sodass das Herkunftslandprinzip greife. Eine Ausnahme, welche Deutschland eine zusätzliche Regulierung von in Deutschland tätigen Medienintermediären mit Sitz im EU-Ausland erlaube, komme nicht in Betracht. Dies sei nur bei Einzelfallmaßnahmen denkbar, nicht jedoch bei abstrakt-generellen Regelungen in einem Gesetz. Dabei beruft sich das VG Berlin auf die EuGH-Entscheidung in der Rs. C-376/22 vom 09.11.2023, welche Teile des österreichischen Kommunikationsplattformen-Gesetzes (KoPl-G) für unvereinbar mit dem Herkunftslandprinzip der ECRL erklärt hatte.
Ausblick
Angesichts der EuGH-Entscheidung zum österreichischen KoPl-G ist es nicht überraschend, dass das VG Berlin eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage zum EuGH beabsichtigt. Allerdings wird der EuGH auch zu klären haben, ob die deutsche Medienintermediärsregulierung dem Meinungspluralismus im Netz dient; in diesem Fall müssten die Regelungen gemäß Art. 1 Abs. 6 ECRL unberührt bleiben. Hierfür könnte sprechen, dass die Transparenzregelungen in § 93 MStV die Grundlage für das Diskriminierungsverbot des § 94 MStV bilden und daher nicht isoliert zu betrachten sind.
Im Kern wird es also um die Frage gehen, die auch schon die Gesetzgebung zum Digital Services Act (DSA) und jüngst zum European Media Freedom Act (EMFA) begleitet hat: Wer reguliert die Onlineplattformen und wer ist für die Sicherung der Meinungsvielfalt zuständig? Die EU, gestützt auf ihre Kompetenzen zur Harmonisierung des Binnenmarktes (Art. 114 AEUV)? Oder doch (zumindest zusätzlich) die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Kulturhoheit gemäß Art. 167 AEUV sowie ihrer durch Art. 4 Abs. 2 EUV gestützten verfassungsmäßigen Grundstrukturen, zu denen immerhin das Bundesverfassungsgericht auch die Medienordnung zählt (BVerfGE 123, 267, 363)?
Die medienpolitische und -rechtliche Bedeutung der Vorlage des VG Berlin kann daher nicht hoch genug eingeschätzt werden.