OLG München zum FRAND-Einwand

Das OLG München hat in seinem mit Spannung erwarteten Urteil vom 20.03.2025 (6 U 3824/22 Kart) zu offenen Fragen im Zusammenhang mit der Geltendmachung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes Stellung genommen.

Hintergrund

Die Durchsetzung standardessenzieller Patente gegen mutmaßliche Patentverletzer weist einige Besonderheiten auf. Hat sich der Patentinhaber gegenüber einer Standardisierungsorganisation dazu verpflichtet, Lizenzsuchern Lizenzen zu FRAND-Bedingungen einzuräumen, kann die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs unter Umständen als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu qualifizieren sein.

In der Grundlagenentscheidung „Huawei/ZTE“ (Urt. v. 16.07.2015 – C-170/13, GRUR 2015, 764) hat sich der EuGH mit den Voraussetzungen befasst, unter denen die Geltendmachung von Verletzungsansprüchen als Missbrauch zu qualifizieren sein kann. In diesem Zusammenhang hat der EuGH Anforderungen an die Verhaltenspflichten von Inhabern standardessenzieller Patente und Lizenzsuchern entwickelt, die für die Beurteilung des FRAND-Einwands maßgebend sind.

Der BGH hat die Kriterien des EuGH in den Entscheidungen FRAND-Einwand I (Urt. v. 05.05.2020 – KZR 36/17, GRUR 2020, 961) und FRAND-Einwand II (Urt. v. 14.11.2020 – KZR 35/17, GRUR 2021, 585) weiter konkretisiert. Gleichwohl sind weiterhin zahlreiche Detailfragen im Zusammenhang mit der Geltendmachung des FRAND-Einwands offen.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens vor dem OLG München war die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des LG München I, das in einem langjährigen Rechtsstreit über die Nutzung des EVS-Standards zur Verbesserung der Audioqualität von VoLTE-Diensten ergangen ist.

Parallel zu dem Münchener Verfahren war ein weiteres Verletzungsverfahren in Mannheim anhängig. Das LG München I und das LG Mannheim haben unterschiedliche Rechtsauffassungen in Bezug auf den geltend gemachten FRAND-Einwand vertreten.

Umstritten war u. a., ob die Einladung zu Lizenzgesprächen als Verletzungshinweis ausreichte oder jedenfalls die Erhebung der Verletzungsklage als Verletzungshinweis im Sinne der „Huawei/ZTE“-Rechtsprechung gelten kann.

Das LG München I hatte die Beklagte wegen Patentverletzung verurteilt und den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand zurückgewiesen.

In dem Berufungsverfahren vor dem OLG München hat die EU-Kommission auf Grundlage der Kartellverfahrensordnung eine Stellungnahme als Amicus Curiae abgegeben.

Entscheidung des OLG München

Das OLG München weist die Berufung zurück.

In Bezug auf den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand bildet das OLG München folgende Amtliche Leitsätze:

  1. Da die kartellrechtliche Überprüfung eines dem beklagten Patentverletzers vom klagenden SEP-Inhaber unterbreiteten Lizenzangebots zumeist sehr zeitaufwendig ist und unter Umständen im Rahmen eines Rechtsstreits auch der Hinzuziehung sachverständiger Hilfe bedarf, der Kläger sich aber andererseits gegen eine unberechtigte Nutzung seines Patents effektiv und schnell wehren können muss, ist sicherzustellen, dass die Erhebung des FRAND-Einwands nicht zu einer faktischen Verkürzung der Rechtsposition des Patentinhabers führt, sondern lediglich ein Korrektiv gegen ein (kartellrechtlich) missbräuchliches Verhalten des Unterlassungsklägers darstellt. In diesem Licht sind die vom EuGH in der Entscheidung „Huawei“ (GRUR 2015, 764) genannten Verhandlungsschritte zu sehen.
  2. Die – nur auf Einrede des Beklagten zu prüfende – Frage des Missbrauchs der Marktmacht durch den Kläger stellt sich grundsätzlich im Rahmen der Begründetheit, da der FRAND-Einwand letztlich die Einrede des Beklagten beinhaltet, einen Anspruch gegen den Kläger auf Erteilung einer Lizenz (die als FRAND anzusehen ist) zu haben (vgl. BGH GRUR 2021, 585 Rn. 83 – FRAND-Einwand II), sodass es sich in der Sache um einen Dolo-agit-Einwand (§ 242 BGB) handelt.
  3. Die vom EuGH in der Entscheidung „Huawei“ (GRUR 2015, 764) genannten Verhandlungsschritte sind von den Parteien zwar grundsätzlich einzuhalten. Die strikte Einhaltung dieser Schritte soll aber keinem reinen Selbstzweck dienen. Deshalb ist im Unterlassungsklageverfahren, bei dem es „nur“ darum geht, ob dem in seinen Rechten verletzten Patentinhaber auch die prozessuale Möglichkeit zusteht, seinen Patentanspruch gegen den in Anspruch genommenen Verletzer durchzusetzen, in Bezug auf jeden der vom EuGH aufgeführten Schritte auch nach deren Sinn und Zweck zu fragen und danach, ob sich eine Partei zu einem späteren Zeitpunkt im gerichtlichen Verfahren nach Treu und Glauben auf rein formale „Fehler“ bei einem Schritt in einem früheren Verhandlungsstadium (noch) berufen kann, insbesondere beispielsweise, wenn sie sich in der Folge trotz des „fehlerhaften Schritts“ der Gegenseite gleichwohl auf Lizenzverhandlungen eingelassen hat.
  4. Liegen die Voraussetzungen für die Pflicht zur Leistung einer Sicherheit durch den den FRAND-Einwand erhebenden Beklagten vor, muss sich diese der Höhe nach grundsätzlich nach dem (letzten) Angebot des Unterlassungsklägers richten (denn allein auf dieses kommt es für den Erfolg des FRAND-Einwands als Dolo-agit-Einwand an). Beinhaltet dieses letzte Angebot eine (weltweite) Portfoliolizenz, muss die Sicherheit die dafür anfallende Lizenzgebühr abdecken und darf nicht auf das Klagepatent isoliert und das Gebiet der Bundesrepublik „heruntergerechnet“ werden. Zudem bedarf es einer qualifizierten Sicherheitsleistung dergestalt, dass durch eine verbindliche Erklärung des Beklagten sichergestellt werden muss, dass der Kläger die Sicherheit erhält, wenn sich sein Angebot am Ende als FRAND-gemäß erweist und auch die geltend gemachte Patentverletzung rechtskräftig bejaht wird.
  5. Leistet der Patentverletzer keine Sicherheit im vorgenannten Sinne, ist der FRAND-Einwand nicht erfolgreich, ohne dass das klägerische Angebot auf seine FRAND-Gemäßheit hin zu überprüfen ist.

Praxishinweis

Das OLG München schlägt mit seiner Rechtsprechung eine neue Linie ein und hat dementsprechend in Bezug auf den FRAND-Einwand die Revision zugelassen. Die anhängige Revision wird beim BGH unter dem Aktenzeichen KZR 10/25 geführt.

Quelle: OLG München, Endurteil vom 20.03.2025 – 6 U 3824/22 Kart, GRUR-RS 2025, 5771 – Sprachsignalcodierer

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Niklas Kinting

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