OLG Karlsruhe: Verwendung des Plurals im Patentanspruch als Gattungsbezeichnung

Das OLG Karlsruhe hat sich in einem Patentverletzungsverfahren, das ein europäisches Patent betraf, zu den Voraussetzungen geäußert, unter denen die Verwendung des Plurals im Patentanspruch in Bezug auf einen räumlich-körperlichen Bestandteil einer beanspruchten Vorrichtung als Gattungsbezeichnung zu verstehen ist. Zugleich hat es die Anwendung des EPGÜ abgelehnt (OLG Karlsruhe, Urteil v. 28.02.2024, Az. 6 U 161/22 – Magnetsteuerventil).

1. Der Schutzbereich des Patents wird durch die Patentansprüche in der Fassung der maßgeblichen Verfahrenssprache bestimmt (Art. 69 Abs. 1, Art. 70 Abs. 1 EPÜ). Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch nach Art. 69 Abs. 1 Satz 2 EPÜ zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Nach der Rechtsprechung des BGH sind bei der für die Beurteilung der Patentverletzung erforderlichen Auslegung des Patentanspruchs der Sinngehalt des Anspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag jedes einzelnen Merkmals zu dem gesamten Leistungsergebnis der Erfindung zu ermitteln. Dabei ist zunächst unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen der technische Sinngehalt zu ermitteln, der dem Wortlaut des Patentanspruchs aus fachmännischer Sicht beizumessen ist, wobei allerdings ein buchstäbliches Verständnis der Patentansprüche nicht zur Erfassung des geschützten Gegenstands geeignet ist. Entscheidend ist zumindest im Zweifel die Funktion, die das einzelne technische Merkmal für sich und im Zusammenwirken mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat.

Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt das OLG Karlsruhe zu dem Schluss, dass das Merkmal „Der Gummiring weist […] verbindende Wasserleitungen (521) in einem Bereich auf, der dem Auslassenden (411) des Wasserzuflussabschnitts (41) entspricht“ entgegen der Auffassung des Erstgerichts auch die Verwendung nur einer verbindenden Wasserleitung umfasst.

2. Das EPGÜ findet auf Einheitspatente und europäische Patente Anwendung, vgl. Art. 1 Abs. 1 EPGÜ. Das Einheitliche Patentgericht (EPG) entscheidet daher unter Anwendung des EPGÜ auch über Streitigkeiten, die europäische Patente betreffen. Dafür ist es nach Art. 32 EPGÜ grundsätzlich ausschließlich zuständig. Allerdings eröffnet Art. 83 Abs. 1 EPGÜ die Möglichkeit, während einer Übergangszeit von sieben Jahren nach Inkrafttreten des EPGÜ, Klagen wegen Verletzung oder auf Nichtigerklärung europäischer Patente weiterhin bei nationalen Gerichten oder anderen zuständigen nationalen Behörden zu erheben. Zudem kann nach Art. 83 Abs. 3 EPGÜ die ausschließliche Zuständigkeit des EPG für u. a. ein europäisches Patent durch sogenanntes Opt-out ausgeschlossen werden.

Das OLG Karlsruhe griff auf das nationale Patentrecht zurück und lehnte die Anwendung des EPGÜ ab. Dies ergebe sich zunächst aus dem Wortlaut der Art. 56 ff. EPGÜ. Diese Bestimmungen beträfen nur Befugnisse für „das Gericht“, also das EPG (Art. 2 lit. a EPGÜ). Soweit das EPGÜ darüber hinaus in Art. 25 ff. „materielles Recht“ kodifiziere, ergebe sich aus dem systematischen Zusammenhang, dass dieses „materielle Recht“ aus Art. 25 ff. EPGÜ nur im Fall einer Anrufung des EPG anzuwenden sei. Im Übrigen – so das OLG Karlsruhe weiter – würde eine Anwendung der Art. 25 ff. EPGÜ zu keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung des Streitfalls führen.

Amtlicher Leitsatz des OLG Karlsruhe

Die Verwendung des Plurals im Patentanspruch in Bezug auf einen räumlich-körperlichen Bestandteil einer beanspruchten Vorrichtung ist jedenfalls dann als Gattungsbezeichnung zu verstehen, die dem Fachmann ohne die Vorgabe einer zu verwendenden Mehrzahl deutlich machen soll, welche Art von Ausgestaltung der beanspruchte Gegenstand aufweisen muss, wenn sich weder aus dem Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs noch aus den sonstigen Eigenschaften der beanspruchten Vorrichtung ergibt, dass mindestens zwei dieser räumlich-körperlichen Bestandteile vorhanden sein müssen und in der Beschreibung des Patents auch Ausführungsformen mit nur einem solchen Bestandteil als erfindungsgemäß erläutert werden.

(OLG Karlsruhe, Urteil v. 28.02.2024, Az. 6 U 161/22 – Magnetsteuerventil)

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Franziska Anneken

Franziska Anneken

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