OLG Karlsruhe – FRAND-Lizenzen

Das OLG Karlsruhe hat mit Urteil vom 30.10.2019 (Az. 6 U 183/16) die Rahmenbedingungen konkretisiert, unter denen die Geltendmachung von Verletzungsansprüchen aus einem SEP nicht als Verstoß gegen Art. 102 AEUV zu qualifizieren sind.

Hintergrund

Die aktuelle Entscheidung knüpft an das Urteil des EuGH vom 16.07.2015 (C-170/13) in der Sache „Huawei ./. ZTE“ an. In jener Grundsatzentscheidung hatte der EuGH zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die Geltendmachung von Verletzungsansprüchen durch den Inhaber eines standardessentiellen Patents (SEP) als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu qualifizieren ist, wenn sich der Patentinhaber zuvor gegenüber einer Standardisierungsorganisation unwiderruflich zur Lizenzerteilung zu FRAND-Bedingungen verpflichtet hat. Nach den vom EUGH herausgearbeiteten Grundsätzen liegt ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung nicht vor, wenn der Patentinhaber den Verletzer vor Klageerhebung auf die Patentverletzung konkret hingewiesen und ihm, sofern dieser seinen Willen zum Abschluss eines Lizenzvertrages zum Ausdruck gebracht hat, ein schriftliches Angebot zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen unterbreitet hat. Das Angebot muss die Höhe der Lizenzgebühr sowie die Art und Weise der Berechnung angeben. Weiterhin ist erforderlich, dass der Patentverletzer auf das Angebot nicht mit der den anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und einer dem Grundsatz von Treu und Glauben entsprechenden Sorgfalt reagiert hat.

In einer aktuellen Entscheidung hatte das OLG Karlsruhe Gelegenheit, die Grundsätze der „Huawei ./. ZTE“-Entscheidung weiter zu konkretisieren.

Sachverhalt

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit nahm die Klägerin die Beklagte aus einem SEP wegen einer behaupteten Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung sowie Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen in Anspruch und begehrte die Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz.

Die Beklagte hat sich u. a. mit dem FRAND-Einwand verteidigt. Zwischen den Parteien war neben weiteren Punkten umstritten, ob ein von der Klägerin unterbreitetes Angebot FRAND-Bedingungen entsprach und die Beklagte rechtzeitig auf das Angebot reagiert hat.

Die Patentverletzungsklage hatte erstinstanzlich Erfolg. Hiergegen richtete sich die Berufung der Beklagten.

Entscheidung des OLG Karlsruhe

Nach Auffassung des OLG Karlsruhe waren die Verletzungsansprüche wegen des von der Beklagten erhobenen FRAND-Einwandes im Zeitpunkt der Entscheidung nicht durchsetzbar. Der Durchsetzbarkeit dieser Ansprüche stehe als dilatorische Einwendung das unionsrechtliche Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV entgegen.

Das OLG Karlsruhe formuliert folgende Leitsätze:

  1.  Der Inhaber eines standardessentiellen Patents (SEP) genügt seinen Verhandlungspflichten gegenüber dem Patentbenutzer grundsätzlich, wenn er an die Konzerngesellschaft herantritt, die für Lizenzverhandlungen und Lizenznahme im Konzern, dem der Patentbenutzer angehört, zuständig ist.
  2. Der Verletzungshinweis genügt inhaltlich, wenn er den Patentbenutzer in die Lage versetzt, sich (gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe oder unter Einholung von Rechtsrat) ein Bild von der Qualität des Verletzungsvorwurfs zu machen und Klarheit über das Interesse an einer Lizenz zu gewinnen.
  3. Die dem Patentbenutzer für die Lizenzierungsbitte einzuräumende Prüfungs- und Erwägungsfrist wird regelmäßig zwei Monate nicht überschreiten.
  4. Verhandlungspflichten des SEP-Inhabers und Obliegenheiten des Patentbenutzers können während eines anhängigen Verletzungsrechtsstreits „nachgeholt“ werden. Die (erstmalige) Erfüllung der Verhandlungspflichten nach Klageerhebung setzt voraus, dass die klagende Partei eine druckfreie Verhandlungssituation durch eine entsprechende Prozesslage sicherstellt.
  5. Der Patentbenutzer kann durch eine Erfüllung seiner Obliegenheiten nach Klageerhebung erst kurz vor Schluss der mündlichen Verhandlung das Verletzungsverfahren nicht verzögern; er trägt vielmehr das Risiko, dass dann im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung eine Verletzung der Pflichten des SEP-Inhabers nicht feststeht.
  6. Die Erläuterungs- und Informationspflichten des SEP-Inhabers zum Lizenzangebot umfassen auch Darlegungen zu den objektiven Umständen, warum das unterbreitete Angebot FRAND-Kriterien entspricht. Sind bereits Lizenzverträge mit dritten Unternehmen zu unterschiedlichen Bedingungen abgeschlossen, wird der SEP-Inhaber regelmäßig zumindest den Inhalt der wesentlichen Lizenzvertragsbedingungen jener Verträge so darzulegen und zu erläutern haben, dass der Lizenzsucher entnehmen kann, ob, ggf. inwieweit und ggf. aus welchen Sachgründen er wirtschaftlich ungleichen Konditionen ausgesetzt ist.
  7. Einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Vorlage der vom SEP-Inhaber abgeschlossenen Lizenzverträge mit Dritten hat der Lizenzsucher aus Art. 102 AEUV unmittelbar oder sonst nach deutschem Sachrecht grundsätzlich nicht.
  8. Verletzt der SEP-Inhaber Verhandlungspflichten beschränkt dies den der Bezifferung des Schadenersatzanspruchs dienenden Rechnungslegungsanspruch nicht, insbesondere können auch Angaben zu Gewinn und Kosten verlangt werden.

Quelle: OLG Karlsruhe, Urt. v. 30.10.2019,  6 U 183/16

Hinweis: Eine ausführliche Darstellung der Entscheidung wird abgedruckt in Heft 1/2020 der im Bundesanzeiger erscheinenden Zeitschrift IPkompakt.

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Niklas Kinting

Niklas Kinting

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