In seinem Urteil vom 22.10.2024 hat sich das OLG Brandenburg mit der Frage befasst, welche Aspekte bei einer Interessenabwägung zwischen den Nutzungs- und Änderungswünschen eines Hauseigentümers einerseits und den Urheberinteressen der Architekten andererseits eine besondere Rolle spielen (OLG Brandenburg, Urteil vom 22.10.2024 - 6 U 58/22).
Die Klägerin beabsichtigte als Eigentümerin den Abriss des baumangelbehafteten und seit mehreren Jahren leerstehenden Gebäudes. Dieses sei in seinem jetzigen Zustand nicht nutzbar und stelle sich als unwirtschaftlich dar. Mit dem geplanten Neubau würde demgegenüber allen aktuellen Vorgaben der Ökonomie, der Energetik und der Nachhaltigkeit entsprochen. Sie forderte die Architekten daher unter Fristsetzung auf, sich zu verpflichten, wegen der geplanten Abriss- und Neubaumaßnahmen keine Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche gegen sie geltend zu machen.
Gegenüberstehende Interessen und Ensembleschutz
Zentraler Streitpunkt war somit die Frage, ob in einem solchen Fall die Interessen des Eigentümers das Interesse der Beklagten am Schutz ihres Urheberrechts überwiegen.
Eine weitere Besonderheit des Falles war, dass nicht nur das infrage stehende Gebäude von den beklagten Architekten entworfen und geplant worden war, sondern auch die gesamte Wohnanlage als solche, in der sich das Gebäude befindet. Diese Gesamtanlage stelle als Ensemble nach Auffassung der Architekten ebenfalls ein mit künstlerischen Mitteln geschaffenes Werk dar, wobei gerade das infrage stehende Gebäude als dessen Kopfbau ein zentraler Bestandteil sei.
Nach Ansicht der Klägerin weise das Gebäude hingegen nur eine geringe schöpferische Gestaltungshöhe auf und sei isoliert von den übrigen Gebäuden der Wohnanlage zu betrachten.
Besonderheiten der Interessenabwägung im Architektenurheberrecht
Nach § 14 Urhebergesetz (UrhG) hat der Urheber das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden. Wann eine solche Gefährdung vorliegt, ist dabei im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln. Bei dieser Abwägung kommt das OLG Brandenburg vorliegend zu dem Ergebnis, dass dem Abriss des streitgegenständlichen Gebäudes die Urheberrechte der Architekten nicht entgegenstehen.
Zu dem Kreis der urheberrechtlich geschützten Werke zählen nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG auch Werke der Baukunst, soweit sie persönlich geistige Schöpfungen (§ 2 Abs. 2 UrhG) sind.
Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des Gerichtes zwar sowohl für das infrage stehende Gebäude bei isolierter Betrachtung als auch für die Gesamtanlage als Ensemble erfüllt. Das Gebäude könne im vorliegenden Fall nicht als reiner Zweckbau in der dafür typischen rechteckigen Form eines Kastens angesehen werden, sondern gehe wegen der trapezförmigen Gestalt – bekannt geworden auch als sog. „Trapezhaus“ – und den damit beabsichtigen Funktionen über die bloße Bewältigung einer fachgebundenen technischen Aufgabe durch Anwendung einschlägiger, durch den Gebrauchszweck vorgegebener Gestaltungen hinaus. Dasselbe gelte auch für die Gesamtanlage als solche, welche wegen ihrer harmonischen Einfügung in die Umgebung und ihrer einen Eindruck von Einheitlichkeit vermittelnden Gestaltung, ein urheberrechtsschutzfähiges (Bau-)Werk darstelle.
Auch sei der beabsichtigte Abriss des Gebäudes als „Entstellung bzw. andere Beeinträchtigung“ dieses urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne des § 14 UrhG zu bewerten.
Dennoch überwiegen nach Ansicht des OLG Brandenburg im vorliegenden Fall die Interessen der Eigentümerin. Ihr Interesse, das streitbefangene Gebäude abzureißen und einen Neubau zu errichten, der mehr Wohnungen aufnehme, deren Zuschnitt an die Bedürfnisse der Einwohner angepasst werde und den heutigen Anforderungen an einen sozialen Wohnungsbau und den Bedürfnissen des Wohnungsmarktes entspreche, gehe den Interessen der Beklagten vor. Entscheidend sei dabei, dass das Gebäude im jetzigen Zustand wirtschaftlich nicht mehr nutzbar sei und ein Abriss notwendig erscheinen lasse.
Ebenso stelle der geplante Abriss eine hinzunehmende Beeinträchtigung des Urheberrechts im Hinblick auf die Gesamtanlage dar. Da die Beklagten als Architekten ihr Werk gegen ein Entgelt für die Klägerin geschaffen haben, müssten sie damit rechnen, dass ihnen in der Ausübung ihres Urheberrechts die Interessen der Klägerin als Eigentümerin auch in Form von Änderungswünschen entgegentreten. Da die Klägerin sachliche Gründe wie die Sanierungsbedürftigkeit und den Leerstand des Gebäudes aufgrund von Baumängeln für ihre Entscheidung, das Gebäude abreißen zu wollen, dargelegt habe, müsse im Ergebnis dem Wunsch der Klägerin Vorrang eingeräumt werden. Bei einer solchen Fallkonstellation könne im Rahmen einer Gesamtabwägung eine unzumutbare Beeinträchtigung der Urheberinteressen der Beklagten durch den Abriss und den geplanten Neubau nicht festgestellt werden.
Fazit
Die vorliegende Entscheidung fügt sich in eine Reihe interessanter Urteile zu Thema des Architektenurheberrechts ein, die gerade in jüngerer Zeit mit Blick auf Nutzungsänderungen und Modernisierungsmaßnahmen erlassen worden sind.
Für die Praxis gilt, dass Eigentümer bei beabsichtigten Veränderungen ihres Gebäudes, soweit diesem Schutz als Bauwerk zukommen kann, vorab prüfen sollten, ob urheberrechtliche Interessen der jeweiligen Architekten entgegenstehen können. Dies gilt nicht nur bei einem beabsichtigten Abriss in Gänze, sondern auch bei geplanten Veränderungen von Teilen des Gebäudes, wie der Fassade, bei Anbauten etc.