BGH zur Neuheit bei Einsatz eines Wirkstoffes zur Prävention einer Krankheit

In der Entscheidung „Präventive Antibiotikabehandlung“ (v. 14.12.2021, Az. X ZR 107/19) hat der BGH seine Rechtsprechung aus seiner Entscheidung „Memantin“ (v. 09.06.2011, X ZR 68/08) zur Neuheit bei Einsatz eines Wirkstoffes zur Prävention einer Krankheit fortgeführt.

Streitfrage war die Neuheit des Streitpatents, das ein Antibiotikum zur Behandlung einer lokalen Infektion betrifft. Das Patentgericht hatte diese Frage bejaht. Der BGH betont demgegenüber, dass diese Beurteilung der Überprüfung im Berufungsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht standhalte, da der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht neu sei.

Zu dem hier problematischen Merkmal in Patentanspruch 1 „zur Prävention einer weiteren Erkrankung oder weiterer medizinischer Beschwerden, welche bisher noch nicht manifestiert sind“, führt der BGH aus, dass sich in diesem Stand der Technik zwar keine Hinweise auf eine Präventionswirkung im Sinne dieses Merkmals fänden. Dies könne die Neuheit des Streitpatents aber nicht begründen, weil der Einsatz von Antibiotika in dem zum Stand der Technik gehörenden Dokument von denselben Kriterien abhängig gemacht wird und damit dieselbe zweckgerichtete Vorgehensweise offenbart ist wie beim Streitpatent.

In diesem Zusammenhang verweist der BGH auf seine Rechtsprechung in der Entscheidung „Memantin“. Nach dieser Rechtsprechung könne die Entdeckung, dass ein bestimmter Wirkstoff einem bei einer bestimmten Krankheit auftretenden pathologischen Zustand entgegenwirkt, keine neue technische Lehre zum Handeln begründen, wenn es im Stand der Technik bekannt war, an dieser Krankheit leidende Patienten zur Linderung der Krankheitssymptome mit dem Wirkstoff zu behandeln und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist.

Für den Einsatz eines Wirkstoffes zu präventiven Zwecken könne nichts anderes gelten. Der Einsatz eines Wirkstoffes zur Prävention einer Krankheit, die sich noch nicht manifestiert hat, sei danach nicht neu, wenn die Kriterien, an deren Vorliegen das Patent die erfindungsgemäße Präventionswirkung knüpft, bereits im Stand der Technik als Kriterien für die Verabreichung des Wirkstoffes herangezogen worden sind und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist.

Die Erkenntnis, dass eine vorbekannte Verwendung eines Wirkstoffes zugleich einen weitergehenden (präventiven) Behandlungszweck erfüllen kann, stelle für sich gesehen keine neue technische Lehre zum Handeln dar. Eine Verwendung setze zwar den zielgerichteten Einsatz zur Erzielung der geschützten Wirkung voraus. Ein zielgerichtetes Handeln in diesem Sinne habe aber nicht zur Voraussetzung, dass die Wirkungsweise des verabreichten Stoffes im Einzelnen bekannt ist. Vielmehr genüge ein Vorgehen, das objektiv darauf gerichtet ist, die geschützte Wirkung herbeizuführen.

Im vorliegenden Fall führt der BGH aus, dass der in dem hier maßgeblichen Merkmal angegebene Behandlungszweck im Vergleich zum Stand der Technik keine neue Art der Wirkstoffgabe zum Gegenstand habe und auch nicht zur Erschließung einer neuen Patientengruppe führe.

Amtlicher Leitsatz des BGH:

Der Einsatz eines Wirkstoffes zur Prävention einer Krankheit, die sich noch nicht manifestiert hat, ist nicht neu, wenn die Kriterien, an deren Vorliegen das Patent die erfindungsgemäße Präventionswirkung knüpft, bereits im Stand der Technik als Kriterien für die Verabreichung des Wirkstoffes herangezogen worden sind und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist (Fortführung von BGH, Urt. v. 09.06.2011 – X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 – Memantin).

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Dr. Anja Bartenbach, LL.M.

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