BGH zur Frage der öffentlichen Zugänglichkeit von entgegenstehendem Stand der Technik

In der Entscheidung „Oberflächenbeschichtung“ (Urteil vom 12.04.2022, X ZR 73/20) beschäftigt sich der BGH bei der Prüfung der Neuheit mit der Frage der öffentlichen Zugänglichkeit von Informationen bei gewerblicher Entwicklungstätigkeit.

Die Beklagte ist Inhaberin des Streitpatents, welches ein Werkzeug zur Herstellung eines beschichteten Produkts sowie ein solches Produkt betrifft. Die Klägerin hat das Streitpatent wegen fehlender Patentfähigkeit angegriffen. Einer der streitigen Punkte in diesem Verfahren war die Frage, ob sich aus einer Entgegenhaltung (D 7) eine neuheitsschädliche Offenbarung ergibt oder nicht.

Das Patentgericht hat das Streitpatent unter Abweisung der weitergehenden Klage für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die Fassung nach Hilfsantrag 1 hinausgeht. Dagegen wenden sich die Berufungen beider Parteien, die ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen.

Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass sich aus dem Dokument D 7 keine neuheitsschädliche Offenbarung ergibt. Dieses Dokument sei vor dem Prioritätszeitpunkt der Öffentlichkeit nicht zugänglich gewesen.

Nach dem Vorbringen der Klägerin habe einer der Erfinder des Streitpatents im Rahmen eines Forschungsprojekts die Zeichnungen gemäß D 7 vor dem Prioritätstag an eine mit der Herstellung von Werkzeugen befasste Tochtergesellschaft der Klägerin übersandt.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Vorbenutzung offenkundig, wenn die nicht nur theoretische und nicht nur entfernt liegende Möglichkeit eröffnet ist, dass beliebige Dritte und damit auch Fachkundige zuverlässige und ausreichende Kenntnis von der Erfindung erlangen (BGH, GRUR 2020, 833 – Konditionierverfahren; BGH, GRUR 2015, 463 – Presszange).

Bei gewerblicher Entwicklungs- oder Erprobungstätigkeit, bei der ein betriebliches Interesse daran besteht, die dabei entstehenden Kenntnisse nicht nach außen dringen zu lassen, ist im Regelfall und ohne Hinzutreten besonderer Umstände die öffentliche Zugänglichkeit der gewonnenen Kenntnisse zu verneinen. Dies gilt jedenfalls solange, wie die Kenntnisse nur solchen Personen zugänglich sind, die an dieser Entwicklungs- und Erprobungstätigkeit beteiligt sind, aber auch dann, wenn die Herstellung oder einzelne Herstellungsschritte auf Dritte übertragen werden (Bestätigung von BGH, Urteil vom 14.05.2019 – X ZR 93/17 – Rn. 34; Urteil vom 10.11.1998 – X ZR 137/94, Mitt. 1999, 362, juris Rn. 35 – Herzklappenprothese).

In einer solchen Situation komme es nicht darauf an, ob eine besondere Abrede zur Verschwiegenheit getroffen wird, ob der Dritte selbst kein eigenes Interesse an der Geheimhaltung hat und ob sein Beitrag zu den Entwicklungstätigkeiten eine eigene Mitberechtigung an infrage kommenden Schutzrechten nicht erwarten lässt (BGH, GRUR 2020, 833 – Konditionierverfahren).

Der BGH betont weiter, dass eine Modifikation dieser Grundsätze nicht aufgrund des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) veranlasst sei. Dem Gesetz sei nicht zu entnehmen, dass Informationen, die nicht unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses im Sinne von § 2 Nr. 1 GeschGehG fallen, ohne Weiteres als der Öffentlichkeit zugänglich im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG anzusehen sind.

Der Schutz als Geschäftsgeheimnis setze nach § 2 Nr. 1 Buchst. b und c GeschGehG voraus, dass angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen wurden und dass ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht. Das Fehlen dieser Voraussetzungen führe aber nicht ohne Weiteres dazu, dass eine Information der Öffentlichkeit zugänglich im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG ist. Solange der Zugang zu einer bestimmten Information auf einen engen Personenkreis beschränkt bleibt und keine Anhaltspunkte für eine Weitergabe an eine unbestimmte Vielzahl Dritter bestehen, sei diese Information der Öffentlichkeit auch dann nicht zugänglich, wenn keine Maßnahmen getroffen wurden, um einer Weiterverbreitung entgegenzuwirken, oder wenn kein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht.

Quelle: BGH, Urteil vom 12.04.2022, X ZR 73/20

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Dr. Anja Bartenbach, LL.M.

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