BGH zum Wissen des Fachmanns für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit

In seinem Urteil „Leuchtdiode“ (v. 21.07.2022, X ZR 82/20) hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Art. 56 Satz 1 EPÜ bzw. § 4 PatG das Wissen und Können des Fachmanns auf seinem Spezialgebiet Maßstab ist.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hat die Klägerin geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents, welches hoch effiziente Leuchtdioden auf Galliumnitrid-Basis mit Oberflächenaufrauung betrifft, sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Die Beklagten haben das Streitpatent in der erteilten und zuletzt hilfsweise in zwölf geänderten Fassungen verteidigt.

Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass die Berufung teilweise Erfolg hat und zur Abweisung der Nichtigkeitsklage hinsichtlich des mit einem Hilfsantrag verteidigten Gegenstandes führt, wonach der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht nahegelegt sei.

Maßgeblicher Fachmann für diesen Sachverhalt sei ein Physiker oder Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Universitätsabschluss sowie mehreren Jahren Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Leuchtdioden, insbesondere auf GaN-Basis.

Der BGH führt aus, dass die maßgebliche Veröffentlichung FROH14 lediglich auf ein zum Patent angemeldetes Oberflächenverfahren verweise. Einziger konkreter Anhaltspunkt sei die Bezeichnung der Oberfläche als „Laser Etched Surface“, was der Fachmann dahin gehend verstand, dass es möglich sei, die Oberflächenstruktur durch Laserätzen zu erzeugen.

Ausgehend hiervon bestünde für den Fachmann Anlass, Laserätzverfahren in Betracht zu ziehen, bei denen er davon ausgehen konnte, dass sie eine ausreichende Ätzwirkung für eine Strukturierung der freiliegenden GaN-Oberfläche haben und geeignet sind, die entsprechenden Strukturen zu erzeugen. Hingegen sei keine Anregung ersichtlich, weshalb der Fachmann unabhängig von dem Einsatz eines Lasers auf allgemein aus dem Stand der Technik bekannte Ätzverfahren zurückgegriffen hätte. Der Veröffentlichung FROH14 entnahm er bereits als eines der zu bewältigenden Probleme, das GaN-Ätzmitteln gegenüber sehr beständig sei und sich auch nur sehr schwer trockenätzen lasse, sodass Technologien wie die natürliche Lithografie nicht verwendet werden könnten. Herkömmliches Ätzen, was Nassätzen einschließt, stelle im Kontakt von FROH14 also gerade keinen Erfolg versprechenden Ausgangspunkt für die Herstellung der dort offenbarten Oberflächenstruktur dar.

Darüber hinaus hatte der Fachmann keinen Anlass, eine andere Veröffentlichung heranzuziehen, die sich allgemein auf das Nassätzen von durch Molekularstrahlepitaxie auf Si(111) gezüchteten GaN bezieht und insoweit ein auf wässrigen KOH-Lösungen basierendem Nassätzverfahren vorstellt.

In diesem Zusammenhang verweist der BGH auf seine bisherige Rechtsprechung und betont, dass der Umstand, dass die Kenntnis eines technischen Sachverhaltes zum allgemeinen Fachwissen gehört, noch nicht belege, dass es für den Fachmann nahegelegen hat, sich bei der Lösung eines bestimmten Problems dieser Kenntnis zu bedienen (BGH, GRUR 2018, 716 – Kinderbett; GRUR 2009, 743 – Airbag-Auslösesteuerung).

Weiter stellt der BGH nochmals klar, dass das Auffinden einer neuen Lehre zum technischen Handeln nicht schon dann als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend bewertet werden könne, wenn lediglich keine Hinderungsgründe zutage treten, von im Stand der Technik Bekanntem zum Gegenstand dieser Lehre zu gelangen, sondern diese Wertung setze voraus, dass das Bekannte dem Fachmann Anlass oder Anregung gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelangen (BGH, GRUR 2010, 407 – Einteilige Öse).

Der Umstand, dass die Kenntnis eines technischen Sachverhalts zum allgemeinen Fachwissen gehört, belegt noch nicht, dass es für den Fachmann nahelag, sich bei der Lösung eines bestimmten Problems dieser Kenntnis zu bedienen (Bestätigung von BGH, Urt. v. 27.03.2018 – X ZR 59/16, GRUR 2018, 716 Rn. 28 – Kinderbett; Urt. v. 30.04.2009 – Xa ZR 56/05, GRUR 2009, 743 Rn. 37 – Airbag-Auslösesteuerung) (2. Amtlicher Leitsatz des BGH)

Quelle: BGH v. 21.07.2022, X ZR 82/20

Zurück
Dr. Anja Bartenbach, LL.M.

Dr. Anja Bartenbach, LL.M.

T: +49 221 95 190-83
ZUM PROFIL