BGH: Bestimmung des technischen Problems einer Erfindung

Das Streitpatent betrifft ein Mittel („Mirabegron“) zur Behandlung von Blasenhyperaktivität. Auf der Grundlage des Streitpatents ist zugunsten der Beklagten ein ergänzendes Schutzzertifikat für das Erzeugnis Mirabegron erteilt worden. Die Klägerin hatte das Streitpatent wegen fehlender Patentfähigkeit und das Streitzertifikat wegen Schutzunfähigkeit des Streitpatents angegriffen. Der Nichtigkeitssenat des BPatG kam zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe und erklärte das Streitpatent und das ergänzende Schutzzertifikat für nichtig. Das BPatG erkannte dabei die objektive Aufgabe des Streitpatents darin, für den bekannten Wirkstoff Mirabegron weitere Indikationen aufzufinden.

Der BGH kam insoweit zu einem anderen Ergebnis. Ausgehend von der Beschreibung des Streitpatents sei das technische Problem darin zu sehen, ein wirksames Heilmittel für die Behandlung einer überaktiven Blase bereitzustellen.

Nach der Rechtsprechung des BGH sei das technische Problem so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik insoweit erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stelle. Deshalb dürften Elemente, die zur patentgemäßen Lösung gehören, grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insbesondere dürfe nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Befassung mit einer bestimmten Aufgabenstellung im Stand der Technik nahegelegen habe. Soweit diesbezüglich begründete Zweifel bestünden, sei das technische Problem abstrakter zu formulieren.

Nach diesen Maßstäben dürfe das technische Problem im Streitfall nicht schon vor der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit dahin formuliert werden, neue Anwendungsgebiete oder Indikationen für Mirabegron zu finden. Entgegen der Auffassung des BPatG könne diese Aufgabenstellung nicht schon deshalb als naheliegend angesehen werden, weil das Streitpatent eine zusätzliche Indikation für einen bekannten Wirkstoff betreffe. Zwar sei das technische Problem aus dem zu entwickeln, was das Patent tatsächlich leistet (BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 27 – Gelenkanordnung; Urteil vom 15. April 2010 – Xa ZR 28/08, GRUR 2010, 607 Rn. 18 – Fettsäurezusammensetzung). Hieraus ergebe sich aber nicht, dass es abweichend von den oben wiedergegebenen Grundsätzen zulässig wäre, bei der Formulierung des Problems bereits Elemente der unter Schutz gestellten Lösung zu berücksichtigen.

Amtlicher Leitsatz des BGH

Das einer Erfindung zugrunde liegende technische Problem ist so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik insoweit erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt. Insbesondere darf nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Befassung mit einer bestimmten Aufgabenstellung im Stand der Technik nahelag (Bestätigung von BGH Urteil vom 13. Januar 2015 – X ZR 41/13, GRUR 2015, 352 Rn. 16 f. – Quetiapin; BGH, Urteil vom 15. Juli 2021 – X ZR 60/19, GRUR 2022, 67 Rn. 10 – Stereolithographiemaschine).

(BGH, Urteil v. 25.06.2024, Az. X ZR 92/23 – Mirabegron)

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Franziska Anneken

Franziska Anneken

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