AKTUELLE RECHTSPRECHUNG ZUM SCHUTZ VON GESCHÄFTSGEHEIMNISSEN

In zwei aktuellen instanzgerichtlichen Entscheidungen sind erste Grenzziehungen zu wichtigen Grundvoraussetzungen eines wirksamen und angemessenen Schutzes von Geschäftsgeheimnissen erfolgt.

ÜBERBLICK

Mit Inkrafttreten des Geschäftsgeheimnisgesetzes (GeschGehG) im April 2019 wurden die Regelungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen modernisiert. Diese waren zuvor lediglich durch die §§ 17, 18, 19 UWG a. F., §§ 823, 826 BGB und §§ 201 ff. StGB geschützt.

Der § 2 Abs. 1 GeschGehG definiert ein Geschäftsgeheimnis als „eine Information,

a) die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und

b) die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und

c) bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.“

Daher muss der rechtmäßige Inhaber „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ hinsichtlich einer Information ergriffen haben, damit diese den Schutz eines Geschäftsgeheimnisses im Sinne des GeschGehG erfährt. Zur Klärung der Frage, was unter „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ zu verstehen ist, bedarf es der Einordnung durch die Rechtsprechung.

AKTUELLE ENTSCHEIDUNGEN

Zur Angemessenheit von Geheimhaltungsmaßnahmen

Das OLG Hamm hat in einer jüngst getroffenen Entscheidung klargestellt, dass die Angemessenheit ein dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit folgendes, flexibles und offenes Tatbestandsmerkmal ist, welches sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls bestimmt. Erforderlich sind keine Geheimhaltungsmaßnahmen, die optimalen Schutz gewährleisten, da dies den Geheimhaltungsbegriff zu stark einschränken würde. Insofern ist kein absoluter, sondern ein relativer und dynamischer Maßstab anzulegen. Maßgebliche Sichtweise für die rechtliche Bewertung ist die eines objektiven, verständigen Betrachters aus den jeweiligen branchenspezifischen (Fach-)Kreisen.

Weiter führt das OLG folgende bei Bestimmung der Angemessenheit zu berücksichtigende Wertungskriterien auf:

  • Art und wirtschaftlicher Wert des Geheimnisses; die Kosten der Geheimhaltungsmaßnahme müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum Wert des Geschäftsgeheimnisses stehen (jedoch ohne Annahme eines starren Kosten-Wert-Verhältnisses),
  • Wirtschaftsbranche & branchenübliche Sicherheitsmaßnahmen,
  • Grad des Wettbewerbsvorteils durch die Geheimhaltung,
  • Schwierigkeiten der Geheimhaltung & konkrete Gefährdungslage,
  • Unternehmensgröße & Leistungsfähigkeit eines Unternehmens
  • Hintergrund der Entscheidung war der Fall, dass ein weltweit agierendes Unternehmen, das über Jahrzehnte eine marktbeherrschende Stellung innehatte, versäumt hatte, Verstößen gegen die Geheimhaltung nachzugehen und einzelne Dateien des Unternehmens sogar ohne Geheimhaltungsmaßnahmen frei zugänglich waren. Das OLG Hamm betrachtete die vom Unternehmen ergriffenen Maßnahmen daher als nicht angemessen.

(Quelle: OLG Hamm, Urteil vom 15.09.2020 – 4 U 177/19 – [Flüsteraggregat])

Zu den Mindeststandards beim Schutz von Geschäftsgeheimnissen

Das OLG Stuttgart hat in einer aktuellen Entscheidung zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen als Mindeststandard hergeleitet, dass „relevante Informationen nur Personen anvertraut werden dürfen, die die Informationen zur Durchführung ihrer Aufgabe (potentiell) benötigen und die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind“ und dass diese Personen von ihrer Verschwiegenheitsverpflichtung in Bezug auf die konkrete Information Kenntnis haben müssen.

Darüber hinaus hält das OLG die Ergreifung weiterer Maßnahmen unter Gesamtbetrachtung der Umstände für geboten und weist darauf hin, dass ein in Kauf genommenes „Datenleck“ zum Verlust eines angemessenen Schutzniveaus führen kann. Als beispielsweise äußerst kritisch stellt sich der Fall des zugelassenen Speicherns von Dateien mit Geschäftsgeheimnissen auf privaten Datenträgern dar, insbesondere bei unverschlüsselter Speicherung.

(Quelle: OLG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2020 – 2 U 575/19 – [Schaumstoffsysteme])

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Prof. Dr. Ingo Jung

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