EPG (Zentralkammer München) zur Patentauslegung und Prüfung der erfinderischen Tätigkeit

In der Entscheidung vom 16.07.2024 (UPC 14/2023) hat die Zentralkammer München Auslegungsregeln und Prüfmaßstäbe im Verfahren vor dem EPG bestätigt.

Hintergrund

Das Einheitliche Patentgericht (EPG) hat vor rund einem Jahr seine Arbeit aufgenommen. Seither sind bereits zahlreiche Anordnungen und Entscheidungen ergangen, in denen das Gericht zu Fragen der neuen Verfahrensordnung und zur Patentauslegung Stellung genommen hat.

In einer aktuellen Entscheidung hat die Zentralkammer München zum einen die zuletzt vom Berufungsgericht herausgearbeiteten Auslegungsregeln übernommen und zum anderen zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit im Nichtigkeitsverfahren vor dem EPG Stellung genommen.

Sachverhalt

Gegenstand des Rechtsstreits war eine Klage auf Nichtigerklärung eines als Europäisches Bündelpatent erteilten Streitpatents, das Antigen-bindende Proteine, die an Proprotein-Convertase-Subtilisin-Kexin-Typ 9 („PCKS9“) binden, sowie ein Verfahren zur Verwendung und Herstellung der Antigen-bindenden Proteine betraf.

Die Klägerin hatte u. a. geltend gemacht, das Streitpatent sei unzulässig erweitert und nicht patentfähig. Die Beklagte hatte das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie mit Hilfsansprüchen verteidigt.

Entscheidung der Zentralkammer München

Die Klage hatte Erfolg und führte zur Nichtigerklärung des Streitpatents.

Von allgemeiner Bedeutung sind insbesondere die Leitsätze der Zentralkammer München:

  1. When interpreting a patent claim, the person skilled in the art does not apply a philological understanding, but determines the technical meaning of the terms used with the aid of the description and the drawings. From the function of the individual features in the context of the patent claim as a whole, it must be deduced which technical function these features actually have individually and as a whole. The patent description may represent a patent´s own lexicon.
  2. A claimed invention is to be considered the “same invention” as meant in Article 87 EPC (priority right) if the skilled person can derive the subject-matter of the claim directly and unambiguously, using common general knowledge, from the previous application as a whole.
  3. The assessment of inventive step starts from a realistic starting point in the prior art. There can be several realistic starting points. It is not necessary to identify the “most promising” starting point.
  4. In general, a claimed solution is obvious if the skilled person would be motivated to consider the claimed solution and would implement it as a next step in developing the prior art. It may be relevant whether the skilled person would have expected any particular difficulties in taking any next step(s). The absence of a reasonable expectation of success (or more in general: non-obviousness) does not follow from the mere fact that other ways of solving the underlying problem are also suggested in the prior art and/or (would) have been pursued by others. The decisive question that has to be answered is whether the claimed solution is non-obvious.
  5. For assessing inventive step it is not the question whether the skilled person would inevitably arrive at the same result (falling within the scope of the claim or not). Rather, it is sufficient (but also necessary) for denying inventive step that the skilled person would without inventive contribution arrive at a result which is covered by a claim.
  6. A technical effect or advantage achieved by the claimed subject matter compared to the prior art may be an indication for inventive step. A feature that is selected in an arbitrary way out of several possibilities cannot generally contribute to inventive step.

Praxishinweis

Der erste Leitsatz überrascht nicht, weil das Berufungsgericht die Auslegungsregeln zuletzt in mehreren Entscheidungen herausgearbeitet und zugrunde gelegt hatte.

Erfreulicherweise enthalten auch die übrigen Leitsätze überwiegend Bekanntes.

Bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit hebt die Zentralkammer hervor, dass nicht auf den vielversprechendsten Ausgangspunkt abzustellen ist, sondern einer von mehreren „realistischen“ Ausgangspunkten ausreichen kann. Maßgebend ist, ob die Fachperson dazu motiviert ist, die beanspruchte Lösung in Betracht zu ziehen und sie – ausgehend von dem realistischen Ausgangspunkt – als nächsten Schritt umzusetzen. Für die Verneinung der erfinderischen Tätigkeit ist ausreichend, wenn die Fachperson ohne erfinderische Tätigkeit zu einem Ergebnis gelangen würde, das durch einen Anspruch des Streitpatents abgedeckt ist.

Quelle: EPG (Zentralkammer München), Urteil vom 16.07.2024 – UPC 14/2023 – Regeneron Pharmaceuticals ./. Amgen.

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Niklas Kinting

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