Das OLG Stuttgart hat mit Urteil vom 16.05.2024 (2 U 146/22) klargestellt, dass Kalkulationsirrtümer bei Bauverträgen stets unanfechtbar sind und zwar nicht nur nach Abschluss eines Bauvertrags, sondern bereits bei der Vertragsanbahnung im Vergabeverfahren.
Sachverhalt
Eine Gemeinde schrieb Gewerke für den Bau eines Regenüberlaufbeckens mit dem Preis als einzigem Zuschlagskriterium aus. Die Ausschreibung der Leistung erfolgte nach Tonnen und es sollte ein VOB/B-Einheitspreisvertrag geschlossen werden. Die Klägerin hatte den niedrigsten Preis. Sie wurde wegen den auffallend niedrigeren Einheitspreisen zur Aufklärung im Hinblick auf die Auskömmlichkeit der Einheitspreise gebeten. Die Klägerin teilte mit, dass ihr ein kalkulatorischer Fehler unterlaufen sei. Im Rahmen der Kalkulation mit vorgefertigten Kalkulationsbausteinen hätte sie versehentlich einen Kilopreis anstatt eines Tonnenpreises angeboten. Da das Angebot in seiner Gesamtheit auskömmlich sei, stehe sie zu den abgegebenen Preisen.
Die Gemeinde schloss die Klägerin vom Vergabeverfahren aus und erteilte den Zuschlag an eine andere Bieterin. Die Klägerin klagte den entgangenen Gewinn als Schadenersatzanspruch ein und bekam in der ersten Instanz Recht.
Entscheidung
Das OLG Stuttgart bestätigte das erstinstanzliche Urteil; die Berufung wurde zurückgewiesen. Die Klägerin hätte nicht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden dürfen, denn das Angebot der Klägerin war entgegen der Auffassung der beklagten Gemeinde nicht wegen eines Erklärungsirrtums anfechtbar. Das Gericht stellte klar:
„Auf dieser Grundlage ist festzustellen, dass der Irrtum bereits im Vorfeld des Gebots entstanden ist, nämlich bei der Kalkulation der Einheitspreise, nicht erst bei der Übertragung der Kalkulation in das Formular. Als Irrtum im Beweggrund (Motiv) ist er unbeachtlich, denn die Klägerin trägt das Risiko für die Richtigkeit der Kalkulation des Einzelpreises. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von der seitens der Beklagten herangezogenen Entscheidung des OLG Karlsruhe, in der das Gericht davon ausgegangen ist, dass der Irrtum bei der Abgabe der Erklärung selbst geschehen sei (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 15 Verg 11/11, BeckRS 2014, 14634).“
Praxishinweis
Das Urteil zeigt, dass Kalkulationsirrtümer bei Bauverträgen sowohl in der Phase der Vertragsanbahnung als auch nach Vertragsschluss unanfechtbar sind. Eine sorgfältige Berechnung und Angebotserstellung ist daher geboten. Ist ein Einheitspreisvertrag bereits abgeschlossen, kann der Auftragnehmer den Bauvertrag nicht mit Verweis auf einen Kalkulationsirrtum anfechten oder ohne Weiteres mit höheren Einheitspreisen abrechnen.