Das KG Berlin hat in seinem Urteil vom 25.02.2022 (Az. 21 U 1099/20) entschieden, dass eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung durch den Auftragnehmer insbesondere dann anzunehmen ist, wenn in ungewöhnlicher Häufigkeit gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen wurde, die Verstöße zu gravierenden Mängeln geführt haben und der Auftraggeber deshalb das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers endgültig verloren hat. In dem zu entscheidenden Fall war es dem Auftraggeber daher möglich, auch ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung einen Kostenvorschuss zur Durchführung einer Ersatzvornahme geltend zu machen.
Sachverhalt
Der Auftraggeber beauftragte den Auftragnehmer mit der Herstellung eines Wärmedämmverbundsystems (WDVS). Der Beauftragung lagen die Regelungen der VOB/B zugrunde. Nach Fertigstellung der Arbeiten zeigten sich gravierende Mängel, sodass der Auftraggeber vom Auftragnehmer die Zahlung eines Kostenvorschusses zur Beseitigung der Mängel verlangte. Dies verweigerte der Auftragnehmer mit der Begründung, der Auftraggeber müsse ihn vor Einleitung einer Ersatzvornahme zunächst zur Mängelbeseitigung nebst Fristsetzung auffordern. Der Auftraggeber verweigerte jedoch eine Nachbesserung durch den Auftragnehmer, weil er ihn wegen der Vielzahl und der Schwere der Mängel für unzuverlässig hält. Er machte seinen Kostenvorschussanspruch in Höhe von 186.300 € daher klageweise geltend.
Entscheidung
Bereits das Landgericht Berlin hatte dem Kläger einen Anspruch auf Kostenvorschuss gemäß § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B, § 637 Abs. 3 BGB in vorgenannter Höhe zugesprochen. Die hiergegen erhobene Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg. Nach Ansicht des KG Berlin konnte vorliegend von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Fristsetzung zur Beseitigung der unstreitig vorhandenen Mängel abgesehen werden. Insgesamt war die Durchführung einer Nacherfüllung durch den Beklagten für den Kläger unzumutbar.
Das Gericht stellte hierbei zunächst heraus, dass die Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs durch den Auftraggeber grundsätzlich eine ordnungsgemäße, fristbeinhaltende Mängelbeseitigungsaufforderung an den Auftragnehmer voraussetzt. Eine Ausnahme hiervon ist jedoch dann anzunehmen, wenn das Verhalten des Auftragnehmers von vornherein zweifelsfrei und endgültig erkennen lässt, dass er eine Aufforderung zur Nacherfüllung nicht nachkommen werde. Einer Nachfristsetzung bedarf es darüber hinaus auch dann nicht, wenn sich der Auftragnehmer im konkreten Vertragsverhältnis bei der Bauausführung nachweislich derart unzuverlässig und nachlässig verhalten hat, dass dem Auftraggeber die Vornahme der Mängelbeseitigung durch den Auftragnehmer nicht mehr zuzumuten ist. Dabei muss die dem Bauvertrag innewohnende und für seine Durchführung erforderliche Vertrauensgrundlage tiefgreifend erschüttert sein, sodass ein objektiver Beobachter zu dem Ergebnis gelangen muss, dass es dem Auftraggeber nicht mehr zumutbar ist, länger am Vertrag festzuhalten. Zwar begründet allein das Vorhandensein einer mangelhaften Leistung in der Regel nicht die Unzumutbarkeit einer Nachbesserung durch den Auftragnehmer. Dies kann allerdings dann der Fall sein, wenn in ungewöhnlicher Häufigkeit gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen wurde und die Verstöße zu gravierenden Mängeln geführt haben und der Auftraggeber deshalb das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers endgültig verloren hat.
Das KG Berlin bejahte im vorliegenden Fall eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung durch den Auftragnehmer und sah das Erfordernis einer Fristsetzung vor Durchführung der Ersatzvornahme als entbehrlich an. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass das vom Beklagten ausgeführte WDVS gleich mehrfach, teilweise auch grob mangelhaft errichtet worden sei. Diese umfangreichen Mängel seien zudem laut Feststellungen des Sachverständigen nur durch einen Abriss und eine Neuherstellung zu beheben. Eine solche Neuherstellung müsse der Kläger nicht von dem Beklagten durchführen lassen, eine solche sei ihm vielmehr nicht zumutbar. Denn es stehe fest, dass der Beklagte nicht nur mangelhaft, sondern derart mangelhaft gearbeitet habe, dass die Häufung von teilweise auch groben Mängeln befürchten lasse, dass dem Beklagten die für eine Neuherstellung notwendige Fachkompetenz fehle. Darüber hinaus verstoße die beabsichtigte Art der Nachbesserung in Form einer sog. Aufdopplung wiederum gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik. Überdies sei zu befürchten, dass durch herabfallende Bauteile Personen geschädigt werden könnten.
Praxishinweis
Nach den Regelungen der § 637 Abs. 3 BGB und § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B kann der Auftraggeber bereits vor Durchführung der Mängelbeseitigung einen Kostenvorschuss für die hierfür erforderlichen Aufwendungen verlangen. Vorab muss er den Auftragnehmer jedoch grundsätzlich zur Behebung der Mängel unter Setzung einer angemessenen Frist auffordern. Von dem Erfordernis einer Fristsetzung kann insbesondere in zwei praktisch bedeutsamen Fällen abgesehen werden. Dies zunächst dann, wenn der Auftragnehmer die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert, §§ 637 Abs. 2 Satz 1, 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Zum anderen ist eine Fristsetzung entbehrlich, wenn die Durchführung einer Nacherfüllung durch den Auftragnehmer für den Auftraggeber unzumutbar ist, § 637 Abs. 2 Halbs. 2 BGB. Wie das KG Berlin zutreffend herausstellt, ist eine Unzumutbarkeit anzunehmen, wenn bereits so viele und gewichtige Mängel vorhanden sind, dass aufgrund der darin zum Ausdruck kommenden Unzuverlässigkeit des Auftragnehmers nicht mit einer ordnungsgemäßen Nacherfüllung zu rechnen ist. Die Besonderheit der vorliegenden Entscheidung lag zudem darin, dass auch die durch den Auftragnehmer vorgeschlagene Nacherfüllung nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprach und sogar mit Personenschäden durch herabfallende Bauteile gerechnet werden musste.
Auch wenn von dem Erfordernis einer Fristsetzung unter bestimmten Umständen abgesehen werden kann, so sind an das Vorliegen der hierzu erforderlichen Umstände strenge und vom Auftraggeber nachzuweisende Voraussetzungen geknüpft. Im Zweifelsfall sollte daher vorsorglich auf eine Fristsetzung vor Einleitung etwaiger Ersatzvornahmen nicht verzichtet werden.