Wie aus einer Scheinselbstständigkeit von Lehrkräften eine selbstständige Tätigkeit werden kann.
Die Ausgangslage
Auf den letzten Metern vor der vorgezogenen Bundestagswahl hat der Gesetzgeber auf ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichtes (BSG) aus dem Jahre 2022 reagiert, das Bildungsanbieter, aber auch andere öffentliche oder private Unternehmen, für die selbstständige Trainer, Lehrkräfte und Referenten als freie Mitarbeiter tätig sind, in helle Aufregung versetzt hatte. Der betroffene Personenkreis ist groß; ausweislich der Daten des Statistischen Bundesamtes übten im Jahre 2023 rund 265.000 Personen eine selbstständige Tätigkeit (Haupt- und Nebenerwerb) in lehrenden und ausbildenden Berufen aus.
Für diesen Personenkreis hatte das BSG seine Rechtsprechung geändert und im Fall einer Musikschullehrerin entschieden, dass die Lehrerin, die laut Vertrag freiberuflich an der Musikschule von Herrenberg tätig war, sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei – sog. „Herrenberg-Urteil“ vom 28.03.2022 – B 12 R 3/20. Das BSG hat diese Einstufung im Wesentlichen mit der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung der Honorarkraft in den Musikunterricht begründet und sah kein für eine selbstständige Tätigkeit sprechendes Unternehmerrisiko bei der Musikschullehrerin. Zahlreiche Bildungsträger beklagten daraufhin, dass diese Rechtsprechung bestehende Bildungsangebote gefährde und große Rechtsunsicherheit bestehe, wie Verträge mit Lehrkräften nach der Neujustierung ausgestaltet sein müssen.
Verschärft wurde diese Rechtsunsicherheit zudem durch ein weiteres Grundsatzurteil, das zurückliegende Zeiträume betrifft. Das LSG Niedersachsen-Bremen hatte zwar am 20.12.2022 in einem Urteil – L 2 BA 47/20 – darauf hingewiesen, dass angesichts der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die bisherige langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung zur sozialrechtlichen Statusbeurteilung von Lehrkräften, die vom BSG mit seinem Urteil vom 28.06.2022 intendierte Neuausrichtung für zurückliegende Zeiträume, nicht zu berücksichtigen sei. Die vom LSG Niedersachsen-Bremen zugelassene und eingelegte Revision wurde vom BSG am 05.11.2024 – B 12 BA 3/23 R – jedoch als unbegründet zurückgewiesen. Das BSG geht davon aus, dass Auftraggeber von Lehrkräften und Dozenten, aber auch von Trainern und Referenten, sich nicht auf Vertrauensschutz berufen können, auch nicht in Fällen, in denen die Tätigkeit bereits vor dem „Herrenberg“-Urteil vom 28.03.2022 beendet worden war. Es bestehe, so der 12. Senat des BSG, keine frühere gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre. Einem Vertrauensschutz stehe schon der Einzelfallcharakter von Statusentscheidungen entgegen. Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit werde nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder vorgenommen. Insbesondere die einen unternehmerischen Spielraum kennzeichnenden Merkmale könnten grundsätzlich nicht unabhängig vom Einzelfall und von Entwicklungen des Arbeitsmarktes festgeschrieben werden. Ein Vertrauensschutz ergebe sich auch nicht aus dem Indiz des Parteiwillens.
Auch die Spitzenverbände der Sozialversicherung gehen nach ihrem Besprechungsergebnis vom 04.05.2023 davon aus, dass die vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung präzisierten Beurteilungsmaßstäbe von Lehrkräften an Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen, Fachschulen, Volkshochschulen, Musikschulen sowie an sonstigen – auch privaten – Bildungseinrichtungen spätestens ab dem 01.07.2023 – auch in laufenden Bestandsfällen – Anwendung finden müssen.
Die neue gesetzliche Regelung ab dem 01.03.2025
Der Gesetzgeber hat schließlich gehandelt, um den weiteren Einsatz selbstständiger Lehrkräfte in einem Übergangszeitraum zu ermöglichen und den Bildungsträgern und Unternehmen in ihrer existenzbedrohenden Lage zu helfen. In seiner Sitzung am 30.01.2025 hat der Bundestag das „Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und zur Änderung weiterer Vorschriften“ beschlossen, das am 14.02.2025 im Bundesrat ratifiziert worden ist. Teil dieses Gesetzes ist eine bis 31.12.2026 geltende Übergangsregelung zum Status von Lehrkräften.
Der neue § 127 SGB IV sieht eine „fingierte Selbstständigkeit“ vor, und zwar auch dann, wenn bei einer Statusprüfung eine abhängige Beschäftigung festgestellt wird. Voraussetzung ist, dass
1. die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbstständigen
Tätigkeit ausgegangen sind und
2. die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt, zustimmt.
Eine Lehrtätigkeit ist die Tätigkeit von Lehrkräften i. S. d. § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und umfasst die Vermittlung von Wissen und die Unterweisung von praktischen Tätigkeiten. Der Begriff ist weit auszulegen und erfasst auch Fitnesstrainer, Sportlehrer oder Yogalehrer, aber auch Trainer im Personalbereich oder anderen Unternehmensbereichen und Referenten an Akademien oder anderen Fortbildungseinrichtungen. Eine Lehrtätigkeit unterscheidet sich allerdings von der eines Beraters. Während Lehrer eher generelles Wissen vermitteln, das die Lernenden aufnehmen und rezipieren sollen, gehen Berater regelmäßig auf individuelle Probleme des jeweils Ratsuchenden konkret helfend ein, so BSG vom 23.04.2015 – B 5 RE 23/14 R.
Wird im Rahmen eines in § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB IV genannten Verfahrens (Betriebsprüfungs- und Statusfeststellungsverfahren) festgestellt, dass eine Lehrtätigkeit in abhängiger Beschäftigung vorliegt, besteht Versicherungspflicht aufgrund dieser Beschäftigung erst ab dem 01.01.2027, wenn die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbstständigen Lehrtätigkeit ausgegangen sind, also gerade keinen Arbeitsvertrag geschlossen haben, und die Lehrkraft zustimmt. Auch ohne die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung in einem der in Satz 1 genannten Verfahren tritt nach § 127 Abs. 1 Satz 2 SGB IV bei Erfüllung der vorgenannten Voraussetzungen bis zum 31.12.2026 keine Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung ein.
Sind die Voraussetzungen nach § 127 Abs. 1 SGB IV also erfüllt, gelten die Lehrkräfte zeitlich befristet bis zum 31.12.2026 als Selbstständige i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB VI oder des KSVG, so dass mangels Versicherungspflicht für Zeiten vor dem 01.01.2027 auch entsprechende Beitragsforderungen der Sozialversicherungsträger nicht erhoben werden.
Die Übergangsregelung des § 127 Abs. 1 SGB IV hat für Arbeitgeber allerdings den „Haken“, dass die Lehrkräfte nach Abs. 1 einer selbstständigen Tätigkeit zustimmen müssen. Stimmen sie nicht zu und sind die Voraussetzungen der Übergangsregelung nicht erfüllt, besteht nach den allgemeinen Vorschriften Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB IV auch im Zeitraum vor 2027. Unter Beachtung der Verjährungsvorschriften können in diesem Fall daher Pflichtbeiträge vom Arbeitgeber auch für Zeiträume vor 2027 nachgefordert werden.
Für die betroffenen Lehrkräfte hat die Übergangsregelung in § 127 SGB IV den „Haken“, dass § 127 Abs. 2 Satz 1 SGB IV zwingend vorsieht, dass die Lehrkräfte ab Inkrafttreten der Regelung am 01.03.2025 in der gesetzlichen Rentenversicherung zeitlich befristet bis zum 31.12.2026 als selbstständige Lehrkräfte gelten, sodass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzung – keine regelmäßige Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers – nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI die selbstständigen Lehrkräfte für den Zeitraum vom 01.01.2025 bis 31.12.2026 selbst Rentenversicherungsbeiträge i. H. v. derzeit 18.6% zu zahlen haben.
Soweit die betroffene Lehrkraft in der Vergangenheit in der Annahme, eine selbstständige Tätigkeit nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI auszuüben, Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entsprechend der für selbstständige Lehrer anwendbaren Vorschriften gezahlt hat, gelten diese Beiträge als zu Recht entrichtet (§ 127 Abs. 3 SGB IV) und werden nicht nach § 26 SGB IV unter Minderung von Rentenansprüchen an die betroffenen Lehrkräfte zurückerstattet. Eine Nachforderung von Rentenbeiträgen für die vor dem 01.03.2025 liegenden Zeiträume erfolgt nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 20/14744, S. 30) jedoch nicht.
§ 127 Abs. 4 SGB IV stellt sicher, dass Personen, die von Selbstständigkeit ausgegangen sind und ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nach § 28a SGB III begründet haben, weiterhin in diesem verbleiben können. Auch hier gelten die gezahlten Beiträge als zu Recht entrichtet und erworbene Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung als zu Recht erworben.
Allerdings bleiben leider bei der gesetzlichen Regelung in § 127 SGB IV noch viele Fragen offen. Zunächst geben weder der Gesetzestext des § 127 SGB IV noch die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 20/14744, S. 28 ff.) darüber Auskunft, welche Anforderungen an die Zustimmungserklärung zu stellen sind, ob sie ausdrücklich Bezug auf die neue Regelung in § 127 SGB IV nehmen muss, ob sie widerrufen werden kann und ob die Zustimmung nicht schon möglicherweise darin gesehen werden kann, dass die Lehrkraft beim Abschluss des Vertrages einen Vertrag unterzeichnet hat, der als „Vertrag über freie Mitarbeit“ bezeichnet war. Inhaltlich ist wohl davon auszugehen, dass die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt, gegenüber dem Vertragspartner zustimmen muss, dass bis zum 31.12.2026 keine Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund einer Beschäftigung eintritt. Damit stellt sich aber die weitere Frage, ob der Lehrkraft auch bewusst sein muss, dass sie im Falle einer selbstständigen Dozententätigkeit der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unterliegt und selbst 18,6% Rentenversicherungsbeiträge – neben den ohnehin als selbstständig Versicherter zu tragenden Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung – zu zahlen hat.
Noch unklar ist auch, ob ggf. eine Hinweispflicht des Auftraggebers anzunehmen ist. Ist bereits ein Bescheid über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ergangen (§ 127 Abs. 1 Satz 1 SGB IV), ist davon auszugehen, dass die Zustimmung der Lehrkraft nur gegenüber der Deutschen Rentenversicherung erfolgen kann und nicht gegenüber dem Auftraggeber.
Offen bleibt zudem, ob und inwieweit die Fiktionswirkung in die Vergangenheit reicht. Ausgehend von dem in der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 20/14744, S. 29) dargestellten Gesetzeszweck – „aufgrund der besonderen Situation und der herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung des Bildungsbereiches ausnahmsweise für einen begrenzten Zeitraum von einer ansonsten zwingenden Nachforderung von Sozialbeiträgen abzusehen und zum anderen Bildungseinrichtungen und Lehrkräften ausreichend Zeit zu geben, um die notwendigen Umstellungen der Organisations- und Geschäftsmodelle vorzunehmen, damit Lehrtätigkeiten auch unter den veränderten Rahmenbedingungen weiterhin in abhängiger Beschäftigung als auch selbstständig ausgeübt werden können“ – spricht dafür, dass grundsätzlich alle Zeiten vor dem 01.01.2027 erfasst werden sollen.
Das Fazit
§ 127 SGB IV gibt den im Bildungsbereich tätigen Unternehmen und Institutionen bis Ende 2026 Zeit, die Einsatzmodelle von Lehrkräften, Trainern, Dozenten und Referenten, rechtlich zu überprüfen. Unter Berücksichtigung laufender Reformbestrebungen im Bereich der freien Mitarbeit sollte das Ziel von Unternehmen sein, bis zum Ablauf der Übergangsregelung am 31.12.2026 eine rechtssichere Gestaltung der Tätigkeit von freien Mitarbeitern im Aus- und Fortbildungsbereich zu finden. Dabei sollen nach dem Gesetzeszweck Lehrtätigkeiten auch unter den veränderten Rahmenbedingungen sowohl selbstständig als auch in abhängiger Beschäftigung ausgeübt werden können.
Sofern im Zeitraum bis zum 31.12.2026 dieser Personenkreis selbstständig tätig wird, empfehlen wir, in der Vertragsgestaltung klar und eindeutig zu regeln, dass von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen wird. Es sollte stets eine schriftliche Zustimmungserklärung der Lehrkräfte eingeholt werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Formulierung zu legen ist.