Rechtsprechung stärkt Bauwirtschaft: kein Nachbarschutz vor Einsichtnahme auf Grundstück

Mit Urteil vom 14. Juli 2020, Az. 2 K 4000/19, hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden, dass ein Eigentümer oder Nutzer eines Grundstücks nicht für sich beanspruchen kann, dass ihm ein vor Blicken Dritter geschützter Bereich verbleibt. Ein solcher Anspruch lässt sich auch nicht aus einem Recht auf Privatsphäre herleiten.

Der Fall

Anlass des gerichtlichen Verfahrens bildete eine von der Beklagten an die Beigeladene erteilte Baugenehmigung für die Errichtung von drei Mehrfamilienhäusern. Seine gegen die Baugenehmigung erhobene Klage begründete der Kläger im Wesentlichen damit, dass sich das geplante Vorhaben der Beigeladenen nicht in die Umgebungsbebauung einfüge und gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße. Eines der Mehrfamilienhäuser verschatte seinen Garten und mache diesen dadurch wertlos. Des Weiteren sei er durch den Neubau Einblicken ausgesetzt, die er bisher nicht habe hinnehmen müssen.

In diesem Zusammenhang hatte das Verwaltungsgericht Köln in der Vergangenheit entschieden, dass den von Einblicken Dritter betroffenen Eigentümern bzw. Nutzern von Grundstücken ein Rückzugsgebiet verbleiben müsse. Dieser Ansicht hat das Oberverwaltungsgericht NRW zwischenzeitlich mit Urteil vom 8. April 2020, Az. 10 A 352/19, die Grundlage entzogen. Danach verstößt die Ausrichtung von Fenstern, Balkonen oder Terrassen eines Neubaus, auch wenn diese die Möglichkeiten eröffnen, auf das Grundstück eines Nachbarn zu blicken, nicht aus sich heraus gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die Nachbarn müssen in einem dicht bebauten Wohngebiet hinnehmen, dass ein Grundstück innerhalb des rechtlich vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt wird und es dadurch zu Einsichtsmöglichkeiten kommen kann. Schließlich hat sich das Verwaltungsgericht Köln nunmehr in seiner Entscheidung vom 14. Juli 2020 der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts angeschlossen.

Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln

Kernstück der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln bilden die Ausführungen zum Gebot der Rücksichtnahme. Danach ist es in bebauten Gebieten üblich und daher hinzunehmen, wenn infolge einer Neubebauung erstmals oder zusätzlich Einsichtsmöglichkeiten auf ein Nachbargrundstück entstehen. Ein Grundstückseigentümer oder Grundstücksnutzer kann nicht beanspruchen, dass ihm auf den Freiflächen seines Grundstücks ein den Blicken Dritter entzogener Bereich verbleibt. Wäre jeder Bauherr verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Öffnungen, Balkone und Freisitze des geplanten Gebäudes keine Blicke auf die umliegenden Gebäude eröffnen, würde dies die Bautätigkeit in vielen Fällen erschweren, wenn nicht sogar zum Erliegen bringen. Eine andere Wertung ist auch nicht aus dem Recht auf Privatsphäre herzuleiten.

Zudem betonte das Gericht, dass ein Bauvorhaben unter den Gesichtspunkten, die Regelungsziele der Abstandsvorschriften sind, dann nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, wenn das landesrechtliche Abstandsflächenrecht eingehalten ist. Hintergrund dieser Regelvermutung ist, dass in den Vorschriften über die Abstandsflächen schon das Gebot der Rücksichtnahme konkretisiert ist. Dies gilt umso mehr angesichts der gesetzlichen Zielvorgabe, einer Nachverdichtung im Innenbereich den Vorzug vor einer Inanspruchnahme von bisher unbebauten Flächen zu geben (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 3, § 1a Abs. 2 Satz 1 BauGB).

Folgen für die Praxis

Das Urteil greift die vom Gesetzgeber in den § 1 Abs. 5 Satz 3, § 1a Abs. 2 Satz 1, §§ 34 ff. BauGB zum Ausdruck gebrachte Zielsetzung auf, der Nachverdichtung des Innenbereichs gegenüber der Inanspruchnahme von unberührten Freiflächen den Vorzug zu geben. Neben dieser Zielsetzung ist auch angesichts des stetig steigenden Bedarfs an Wohnraum mit einer anhaltenden Nachverdichtung zu rechnen. Dies führt regelmäßig zu Spannungen zwischen Bestand und Vorhaben. Vor diesem Hintergrund schafft die Entscheidung weitere Klarheit, dass das Interesse betroffener Grundstückseigentümer, eine Nachverdichtung im Innenbereich zu verhindern, durch die Entscheidung des Bundesgesetzgebers weniger schutzwürdig geworden ist.