In der Entscheidung des OVG Sachsen-Anhalt (Beschl. v. 11.04.2024 – 2 M 18/24) hat das Gericht sich u. a. mit der Frage der Notwendigkeit einer Betriebswohnung befasst und ferner klargestellt, dass es bei der Einstufung als faktisches Baugebiet auf die tatsächlich vorhandenen Nutzungen und Bebauungen ankommt.
Das OVG Sachsen-Anhalt hat betont, dass für die Bestimmung der Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung gem. § 34 Abs. 1 BauGB bzw. § 34 Abs. 2 BauGB die tatsächlich vorhandene Bebauung bzw. Nutzung als maßgeblich anzusehen ist, unabhängig davon, ob vormals eine den baurechtlichen Vorschriften entsprechende Bebauung oder Nutzung bestand. Das Gericht hat ferner entschieden, dass konkret betriebsbezogene Gründe, die eine Betriebswohnung als notwendig erscheinen lassen, dann vorliegen können, wenn nach Art der Betriebsorganisation eine Flexibilität des Betriebsinhabers und -leiters verlangt ist, die es erfordert, dass dieser für die Abwicklung von Kundenwünschen praktisch jederzeit zur Verfügung steht.
Im konkreten Fall waren die Anforderungen nach Auffassung des OVG nicht erfüllt, sodass die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und die Entscheidung der Vorinstanz im Wesentlichen bestätigt wurde.
Der Fall
Der Antragsteller, der gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn ein Gebäude bewohnte, wandte sich gegen eine Nutzungsuntersagung, die ihm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Fristsetzung bis zum Dezember 2022 untersagte, das Gebäude zu Wohnzwecken zu nutzen. Begründet wurde dies u. a. damit, dass das Grundstück in einem faktischen Gewerbegebiet liege, in welchem eine Wohnnutzung unzulässig sei. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, den das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2023 zurückwies.
Der Antragsteller erhob Klage und stellte zugleich einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Der Antrag wurde mit Beschluss des VG Halle (VG Halle, Beschl. v. 21.12.2023 – 2 B 162/23) abgelehnt.
Die Entscheidung
Das OVG Sachsen-Anhalt hat die hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat u. a. eingewandt, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Nutzungsänderung offensichtlich nicht genehmigungsfähig sei. Das Verwaltungsgericht wie auch das OVG haben demgegenüber auf eine fehlende offensichtliche Genehmigungsfähigkeit abgestellt, welche ein Absehen vom Erlass einer Nutzungsuntersagung rechtfertigen könne. Der Antragsteller hatte auf weitere Grundstücke verwiesen, welche zu Wohnzwecken genutzt würden, dies nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht substantiiert dargelegt. Das Absehen vom Erlass einer Nutzungsuntersagung müsse sich vielmehr geradezu aufdrängen. Der Antragsteller habe weder in der Beschwerde noch im erstinstanzlichen Verfahren dargelegt, auf welchen Grundstücken in der näheren Umgebung Wohnnutzung stattfinde, die eine Einstufung der näheren Umgebung als faktisches Gewerbegebiet ausschließe.
Dem Einwand des Antragstellers, dass es für die Einordnung der näheren Umgebung auf die planungsrechtliche Zulässigkeit der dort vorhandenen Gewerbebetriebe ankomme, ist das OVG nicht gefolgt. Danach seien für die Bestimmung des Gebietscharakters bei der Prüfung, ob die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der BauNVO bezeichneten Baugebiet entspricht, allein die in der näheren Umgebung tatsächlich vorhandenen Nutzungen maßgeblich, soweit sie den Charakter des Baugrundstücks prägen würden. Dafür komme es grundsätzlich nicht darauf an, ob diese Nutzungen baurechtlich genehmigt seien oder ohne eine solche Genehmigung ausgeübt würden. Die tatsächlich vorhandenen Bebauungen bzw. Nutzungen seien für die Bestimmung der Zulässigkeit der Nutzungsart i. V. m. § 34 Abs. 1 BauGB bzw. § 34 Abs. 2 BauGB auch unabhängig davon maßgeblich, ob sie vormals in Übereinstimmung mit den baurechtlichen Vorschriften errichtet und genutzt worden seien; im Falle des Bestandsschutzes seien sie in jedem Fall zu berücksichtigen.
Darüber hinaus rügte der Antragsteller, das erstinstanzliche Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der Frage der Zulässigkeit der Wohnnutzung als fortgesetzte Betriebswohnung auseinandergesetzt. Er bzw. seine Familienangehörigen würden in dem Objekt verschiedene Gewerbe betreiben. Die Nutzung der dort befindlichen Wohnung stelle als fortgesetzte Nutzung eine Betriebswohnung dar. Die betriebenen Gewerbe machten eine ständige Anwesenheit im Objekt erforderlich. Das OVG hat auch in diesem Punkt die Auffassung des Verwaltungsgerichtes bestätigt. Zum einen sei nicht ausreichend dargelegt worden, weshalb die Wohnung aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll sei. Das OVG Sachsen-Anhalt hat angeführt, dass dies etwa dann der Fall sein kann, wenn die Art der Betriebsorganisation eine Flexibilität des Betriebsinhabers und -leiters verlange, nach der er praktisch jederzeit für die Abwicklung von Kundenwünschen zur Verfügung stehen müsse. Zudem könne in solchen Fällen der Aspekt der erhöhten Einbruchssicherung dann von Bedeutung sein, wenn Gegenstände von nicht ganz unbedeutendem Wert gelagert würden, wobei nicht jede abstrakte Gefahr eines Diebstahls die Anwesenheit des Betriebsinhabers auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten rechtfertige. Entsprechendes konnte der Antragsteller mit Blick auf den von seiner Familie betriebenen Onlinehandel aus Sicht des OVG nicht darlegen.
Auch mit den weiteren Einwänden konnte der Antragsteller nicht durchdringen, sodass die Beschwerde im Ergebnis zurückgewiesen wurde.
Fazit
Neben der Konkretisierung der Anforderungen an die Notwendigkeit einer Betriebswohnung hat die Entscheidung des OVG Sachsen-Anhalt verdeutlicht, dass es bei der bauplanungsrechtlichen Bewertung der näheren Umgebung im Sinne von § 34 BauGB zur Ermittlung des Gebietscharakters einer dezidierten Untersuchung der tatsächlichen Nutzungen vor Ort und einer darauf bezogenen bauplanungsrechtlichen Beurteilung bedarf.
Quelle: OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 11.04.2024 – 2 M 18/24