OVG Lüneburg (Az.: 1 ME 135/18) – Zur Verantwortlichkeit des Bauherrn für Schallreflexionen

Mit Beschluss vom 14.02.2019 entschied das OVG Lüneburg, dass ein Bauherr auch dann gegenüber einem Nachbarn zur Rücksichtnahme verpflichtet ist, wenn sein Bauvorhaben selbst zwar keinen Lärm emittiert, den Lärm des angrenzenden Bahnverkehrs jedoch reflektiert. Damit stellt sich das OVG Lüneburg gegen den VGH München (Beschluss vom 31.07.2006, Az.: 25 CS 06.1705) und das OVG Münster (Beschluss vom 02.05.2018, Az.: 10 B 234/18).

Der Fall

Der Fall betraf eine Bebauung angrenzend an eine lärmintensive Bahntrasse im unbeplanten Innenbereich i. S. v. § 34 Abs. 1 BauGB. In dem Gebiet befand sich eine Bestandsbebauung, die u. a. eine Wohnnutzung vorsah und in deren unmittelbarer Nähe die Bauherrin auf einer bisherigen Freifläche ein größeres Bauwerk für eine Kinder- und Jugendpsychiatrie errichten wollte. Gegen dieses Vorhaben wehrten sich die Nachbarn u. a. mit dem Argument, die zu errichtende Gebäudefassade würde zu Lärmreflexionen des Bahnlärm seitens der Bahntrasse auf ihr Grundstück führen und insbesondere zu dem Grundstücksteil, der für den Außenwohnbereich genutzt wird.

Die Entscheidung

Das Gericht hielt hier im Sinne der Nachbarn das im Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme für verletzt durch die Reflexionen des Bahnlärms. Unter Verweis auf frühere Entscheidungen des Gerichts führt es aus, dass ein Vorhaben auch für die Folgen einzustehen hat, die es als Reflektionsschirm anderweitig erzeugten Lärms bewirkt.

Allein, dass die Lärmquelle die Ausgangsursache für die jetzt zu lösende Sachlage darstelle, entbinde den Bauherrn nicht von seiner aus dem Rücksichtnahmegebot folgenden Verantwortung, mit seinem Bauwerk der besonderen Situation gerecht zu werden, welche er zu seinen Bauabsichten nutzen will.

Gleichzeitig dürfe nicht die Bebaubarkeit des Grundstücks grundsätzlich aus Nachbarschutzgründen ausgeschlossen werden. Auch könne von einem Bauherrn nicht verlangt werden, dass dieser seine Bauabsichten so lange zurückstellt, bis jedwede lärmbedingte Gesundheitsgefahr, die durch Straßen- oder Schienenlärm verursacht wird, gebannt oder gar die Einhaltung der für das Gebiet geltenden Orientierungswerte gesichert ist. Das Gericht stimmt vielmehr dem VG München (Beschluss vom 14.03.2005, Az.: M 11 FN 04.2802, juris Rn. 20) zu. Die Münchner Verwaltungsrichter hatten seinerzeit lediglich verlangt, dass der Bauherr in einer solchen Situation Maßnahmen zur Reduzierung der Lärmreflexion ergreife, beispielsweise durch Aufbringung eines offenporigen Putzes oder Anbringung einer mit schalldämmendem Material hinterfütterten Holzverkleidung.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des Gerichts betrifft eine in der Praxis wohlbekannte Gemengelage bei Bauvorhaben im Innenbereich. Bei der hohen Nachfrage nach Wohnraum in zentralen Innenbereichslagen und der damit einhergehenden zunehmenden Nachverdichtung sind beispielsweise ehemalige Bahngelände und andere Konversionsflächen für Wohnvorhaben interessant. Die dann immer noch vorhandene (Schienen-)Verkehrsinfrastruktur kann über die neue Gebäudefassade zu erheblichen Schallreflexionen und damit Beeinträchtigungen der Nachbarn führen. Die zu bewältigenden Lärmkonflikte mit den Nachbarn bilden sich auch in der vorliegenden Entscheidung ab.

Die Entscheidung des OVG Lüneburg steht dabei konträr zu der Entscheidung des OVG Münster und des VGH München. Das OVG Münster hatte 2018 entschieden, dass einem Bauherrn die Schallreflexionen von Straßenverkehrslärm nicht zuzurechnen sind. Für Straßenlärm sei grundsätzlich nicht der Bauherr, sondern der Straßenbaulastträger verantwortlich, und zwar einschließlich der Schallreflexionen, die an den baulichen Anlagen entlang der Straße auftreten. Gleichzeitig scheint das OVG Lüneburg um einen einzelfallgerechten Interessensausgleich bemüht, wenn es die Verantwortlichkeit der Bauherrin nicht als grenzenlos einordnet, sondern vielmehr beschränkt auf einzelne Maßnahmen.

Bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung gilt es, auch diese Rechtsprechung bei Bauvorhaben im Innenbereich zu beachten.

Rechtsanwalt Marcel Kreutz
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