Kunst oder Kommerz, das ist hier die Frage! Die neue europäische Beihilfenpolitik im Kulturbereich

Die staatliche Kulturförderung in Deutschland erreicht Milliardenbeträge. Sie umfasst eine Vielzahl von Aktivitäten des Bundes, der Länder sowie der Kommunen zu Gunsten von Museen, Archiven, Bibliotheken, Kunst- und Kulturzentren, Theatern, Konzerthäusern, archäologischen Stätten, Denkmälern, traditionellem Brauchtum und Handwerk, Festivals und Ausstellungen, sowie Tätigkeiten im Bereich der kulturellen und künstlerischen Bildung. Die Finanzierung all dieser Aktivitäten aus öffentlichen Mitteln steht bereits seit vielen Jahren im Fokus des EU-Beihilfenrechts. Jetzt will die Europäische Kommission nur noch in der Förderung rein kommerziell motivierter Kulturaktivitäten Beihilfen anerkennen. Die Unterscheidung zwischen „einnahmeschaffenden“ und “nicht-einnahmeschaffenden“ kulturellen Aktivitäten scheint praxisorientiert, wird aber dem beihilfenrechtlichen Unternehmensbegriff nicht gerecht.

Staatliche Kulturpolitik im Fokus des EU-Beihilfenrechts

Lange herrschte Gewissheit, dass auch kulturelle Aktivitäten wirtschaftliche Betätigungen in einem Markt darstellen können, die dem europäischen Beihilfenverbot unterfallen. Im Jahr 1992 wurde die „Kulturklausel“ in Artikel 87 III des EG-Vertrags (jetzt Art. 107 III AEUV) eingefügt. Seitdem konnten staatliche Vorteile für Kulturprojekte gemäß Artikel 108 III AEUV bei der Kommission angemeldet und von ihr genehmigt werden. Zunächst hatte die Kommission ihre Kontrolle allerdings auf wenige zentrale Bereiche wie die Filmförderung oder die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konzentriert. Für die Finanzierung internationaler Kultur- oder Sportevents, für überregional bekannte Orchester und Museen war diese Politik auch stets nachvollziehbar. Wo es einen Markt auf Unternehmens- oder Veranstaltungsebene geben kann, zum Beispiel zwischen Veranstaltern kultureller Großereignisse oder großen Konzertagenturen, oder wenn die geförderten Kulturstätten ausländische Touristen anlocken,  sind auch wettbewerbsverzerrende Effekte mit zwischenstaatlicher Wirkungen nicht auszuschließen. Später wurden jedoch auch rein kommunale Sachverhalte wie u.a. Zuschüsse an eine als Kulturzentrum genutzten Stadthalle, die Restaurierung eines historischen Museumsschiffs sowie die Kulturförderprogramme von Städten und Regionen Gegenstand Brüsseler Entscheidungen.

Befreiung vom Beihilfenverbot im Rahmen der AGVO 2014

Im Jahr 2014 wurde zur Vereinfachung des Genehmigungsprozesses die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (EU) Nr. 651/2014 um eine Freistellung vom Beihilfenverbot für den Bereich Kultur erweitert. Danach können Investitionsbeihilfen von max. 100 Mio. EURO pro Projekt und Betriebsbeihilfen in Höhe von max. 50 Mio. Euro pro Jahr und Unternehmen von der Anmeldepflicht befreit werden. Trotz dieser umfangreichen Freistellungsmöglichkeit legte die Bundesrepublik Deutschland bereits im Jahr 2015 in Brüssel eine „Rahmenregelung Kultur“ vor, die noch höhere Beihilfen für Großprojekte, wie z.B. die Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder der Neubau von kommunalen Theatern, von der Anmeldepflicht in Brüssel befreien sollte. Dieses Freistellungsbegehren wurde notwendig, weil Projekte mit noch höherem Investitions- oder Ausgleichsbedarf absehbar waren, denen der aufwendige Weg einer Einzelanmeldung in Brüssel erspart werden sollte. Das Thema Beihilfenverbot im Kulturbereich ist also höchst virulent.

Die Kommission vollzieht einen Wandel im beihilfenrechtlichen Unternehmensbegriff

Jetzt scheint diese Freistellung vom Durchführungsverbot auf der Rechtfertigungsebene der Beihilfenkontrolle jedoch gar nicht mehr notwendig  zu sein. Die Europäische Kommission will einen großen Teil kultureller Aktivitäten vom Beihilfenbegriff ausnehmen. Gemäß ihrer jüngsten Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV 2016/C 262/01 werden kulturelle Aktivitäten unter Berücksichtigung ihrer besonderen Merkmale regelmäßig auf nichtkommerzielle Art und Weise durchgeführt und seien daher nichtwirtschaftlicher Natur. Die öffentliche Finanzierung solcher Tätigkeiten stelle daher bereits tatbestandlich keine Beihilfen dar, weil es am Merkmal eines Unternehmens fehle. Dies gelte insbesondere für solche  Tätigkeiten, die  objektiv nicht substituierbar sind, wie etwa das Führen öffentlicher Archive, die einzigartige Dokumente umfassen, so dass es keinen echten Markt dafür geben und in Folge dessen auch keine unternehmerische Betätigung im Wettbewerb um diesen Markt geben kann. Die Kommission hält aber auch generell die öffentliche Finanzierung von kulturellen Aktivitäten, die der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich gemacht werden und/oder rein soziale und kulturelle Zwecke erfüllen, für nicht unternehmerischer Natur. In dieser Aussage liegt möglicherweise ein neues Verständnis des Unternehmensbegriffs im beihilfenrechtlichen Sinne. Unternehmerisch war danach stets jede Betätigung in einem Markt unabhängig der mit der Tätigkeit verbundenen Motivation. Die Abgrenzung wirtschaftlicher von nicht-wirtschaftlicher Betätigung sollte also stets rein objektiv anhand der Marktgegebenheiten beurteilt werden und nicht am Selbstverständnis der Kulturschaffenden.

Abgrenzung anhand  „einnahmeschaffenden“ und „nicht-einnahmeschaffenden“ Maßnahmen

Jetzt soll eine Aktivität aber schon bereits dann als nicht-wirtschaftlich gelten, wenn  von den Besuchern einer kulturellen Einrichtung, die der breiten Öffentlichkeit offensteht, zwar ein finanzieller Beitrag erhoben wird, dieser aber tatsächlich „nicht-einnahmeschaffend“ sei, weil er nur einen Bruchteil der tatsächlichen Kosten deckt. Das erhobene Entgelt könne in diesen Fällen nicht als echte Vergütung für eine erbrachte Dienstleistung eines Unternehmens angesehen werden. Der „nicht-einnahmeschaffende“ Charakter der Leistung soll danach wohl das Fehlen eines Marktes indizieren.

Werden hingegen kulturelle Aktivitäten vorwiegend „einnahmeschaffend“ aus Besucher- bzw. Benutzerentgelten oder durch andere kommerzielle Mittel finanziert (wie z.B. kommerzielle Ausstellungen, Kinovorführungen, kommerzielle Musikaufführungen und Festivals sowie vorwiegend aus Studiengebühren finanzierte Kunstschulen), so bleibt es dabei, dass diese Aktivitäten als Tätigkeiten wirtschaftlicher Natur eingestuft werden müssen. Auch kulturelle oder für die Erhaltung des kulturellen Erbes bestimmte Tätigkeiten, die nur bestimmten Unternehmen und nicht der Allgemeinheit zugutekommen (zum Beispiel die Restaurierung eines historischen Gebäudes, das von einem Privatunternehmen genutzt wird)  seien danach in der Regel als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen.

Fazit

Die Finanzierung von kulturellen Aktivitäten, die allgemein zugänglich sind und sich nicht im wesentlichen Umfang aus Nutzerentgelten finanzieren können, also nicht-einnahmeschaffend sind, soll also kein Gegenstand mehr der Europäischen Beihilfenkontrollpolitik sein. Das trifft wohl auf die allermeisten öffentlichen Museen, Theater, Archive, Bibliotheken, Kunst- und Kulturzentren, klassische Konzerthäuser, archäologische Stätten und Denkmäler zu. Im Grunde genommen wäre  danach zu raten – so es die öffentlichen Haushalte hergeben – den nutzerfinanzierten Anteil einer kulturellen Aktivität stets so niedrig wie möglich zu halten oder sogar als kostenfreies Angebot zu gestalten, um den nicht-einnahmenschaffenden Charakter nachweisen zu können. Aber kann das richtig sein?

Fraglich bleibt, ob dem staatlichen Finanzierungsanteil einer Maßnahme tatsächlich eine Aussage über die Unternehmereigenschaft im beihilfenrechtlichen Sinne entnommen werden kann. Das muss verneint werden: Selbst im hochsubventionierten öffentlichen Nahverkehr steht die Unternehmereigenschaft der Betreiber außer Frage. Gemeint ist daher wohl etwas anderes: Überall dort, wo der Finanzierungsbedarf für die Aufrechterhaltung überwiegend öffentlichen Zwecken dienender Einrichtungen in keiner erdenklichen Weise über Nutzerentgelte finanziert werden kann, soll es an der Unternehmenseigenschaft fehlen; das nennt man Marktversagen. Die Feststellung von Marktversagen sollte jedoch eigentlich Aufgabe der Kommission im beihilfenrechtlichen Genehmigungsverfahren sein, wobei es aber nicht um die Unternehmereigenschaft, sondern um die Frage geht, ob aufgrund von Marktversagen staatliche Eingriffe in einen Markt gerechtfertigt sind.

Die Auslegungshilfen in der neuen Kommissionmitteilung zum Beihilfenbegriff sind daher zwar gut gemeint, eine Freistellung von Kulturbeihilfen über eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung – über die dort bereits geltenden Anmeldeschwellen hinaus – wäre daher der rechtssicherere Weg für eine neue Beihilfenpolitik im Kulturbereich gewesen.