Entscheidung des Monats | Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts

Das OLG Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 21.11.2024 (11 Verg 6/24) seine restriktive Rechtsprechung zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch eine Vergabestelle im Verfahren vor der Vergabekammer bestätigt.

Sachverhalt

Ein großer Landesbetrieb hatte umfangreiche Bauleistungen unionsweit ausgeschrieben. Die Antragstellerin hatte sich an dem Verfahren beteiligt, war aber aus zwingenden formalen Gründen hiervon ausgeschlossen worden. Insbesondere hatte die Antragstellerin die mit dem Angebot einzureichenden Preisangaben entgegen den insofern klaren Anforderungen der Antragsgegnerin in einer unvollständigen GAEB-Datei abgegeben. Die Unvollständigkeit der GAEB-Datei hatte die Antragstellerin zu vertreten. Sie hatte allerdings zusätzlich eine vollständig ausgepreiste PDF-Datei eingereicht und steht auf dem Standpunkt, dass eine Angebotswertung auf dieser Grundlage hätte erfolgen müssen. Das Angebot der Antragstellerin wäre das wirtschaftlichste gewesen.

Die Antragstellerin stellte gegen ihren Wertungsausschluss einen Nachprüfungsantrag, nahm diesen aber später zurück. Im Einstellungsbeschluss befand die Vergabekammer die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragsgegnerin für notwendig. Hiergegen legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein. 

Entscheidungsgründe

Mit Erfolg! Der Senat führte zu den bezüglich § 182 Abs. 4 GWB relevanten Maßstäben aus, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts sei nur dann notwendig, wenn der jeweils einzelne Verfahrensbeteiligte aus der maßgeblichen Ex-ante-Sicht nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage gewesen wäre, den Sachverhalt aufgrund der erkennbaren Tatsachenlage zu erfassen, der im Hinblick auf eine etwaige Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen von Bedeutung sei, daraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung und/oder Verteidigung erforderlichen Schlussfolgerungen zu ziehen und das so Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen. Der Senat betont unter Verweis auf den BGH (Beschluss vom 29.06.2006 – X ZB 14/06), dass hierbei stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei. Neben der Komplexität des jeweiligen Sachverhalts bzw. der zu beurteilenden Rechtsfragen komme es auch auf die sachliche und personelle Ausstattung des die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Rechtsbeistand Beantragenden an. Hiergegen könne, so der Senat, das Vorhandensein einer Rechtsabteilung mit vergaberechtlicher Expertise sprechen, ebenso wie ein kaufmännisch erfahrener Geschäftsführer. Das Gericht lässt auch die von der Antragsgegnerin vorgetragene personelle Überlastung und die sich daraus begründende Notwendigkeit, externen Rat hinzuzuziehen, nicht gelten.

Praktische Konsequenzen

Das OLG Frankfurt bestätigt mit diesem Beschluss seine restriktive Rechtsprechung zur Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten auf der Auftraggeberseite in einem Nachprüfungsverfahren (s. hierzu bereits OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.06.2024 – 11 Verg 2/24). Vollständig überzeugen kann diese Rechtsprechung allerdings nicht. So setzt sich seit Jahren der Trend zu Verrechtlichung und zunehmender Komplexität des gesamten Oberschwellenvergaberechts fort. Mit dieser rasanten Entwicklung können auch größere öffentliche Auftraggeber mit eigenen Rechtsabteilungen oder Rechtsämtern nicht ohne Weiteres Schritt halten. Vor allem kann dort die aufgrund der Vielfalt der sich stellenden Rechtsfragen, auch im Europarecht, erforderliche Spezialisierung nicht ohne Weiteres und vor allem nicht in der erforderlichen fachlichen Breite und Tiefe vorgehalten werden. Es entspricht damit sogar dem Gebot der Wirtschaftlichkeit öffentlicher Verwaltung, dass öffentliche Auftraggeber in komplexen Rechtsfällen externen Rechtsrat einbinden. An die Notwendigkeit im Sinne von § 182 Abs. 4 GWB sollten in diesen Fällen keine überzogenen, realitätsfremden Anforderungen gestellt werden. Interessant wird in diesem Zusammenhang die Positionierung anderer Senate sein. Über eine Divergenzvorlage hätte letztlich der BGH zu entscheiden.

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Dr. Stephan Rabe

Dr. Stephan Rabe

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