Mit Urteil vom 6. Juni 2024 hat der EuGH festgestellt, dass die europäische Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (89/665/EWG) die Mitgliedstaaten verpflichtet, demjenigen Schadensersatz zu leisten, der durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht betreffend die Vergabe öffentlicher Aufträge geschädigt worden ist (EuGH, C-547/22 vom 6.6.2024).
Insbesondere unterscheide die Richtlinie nicht zwischen verschiedenen Schadenskategorien und erfasse daher jede Art eines diesen Personen entstandenen Schadens. Dies schließt den Schaden ein, der sich aus dem Verlust der Chance ergibt, an dem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags teilzunehmen. Der EuGH stellt klar, dass sich der Schaden zwar daraus ergeben kann, dass ein Unternehmen keinen öffentlichen Auftrag erhält, und den entgangenen Gewinn geltend machen kann. Das Gericht führt zudem aus, dass auch ein Bieter, der rechtswidrig von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde, einen gesonderten Schaden erleiden kann, der der entgangenen Möglichkeit entspricht, sich an dem betreffenden Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu beteiligen, um den betreffenden Auftrag zu erhalten.
Die Entscheidung erging im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichts der Slowakischen Republik. Hintergrund dieses den slowakischen Fußballverband betreffenden Verfahrens ist der Ausschluss einer Bietergemeinschaft, der das slowakische Bauunternehmen INGSTEEL angehörte, von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Rekonstruktion, Modernisierung und den Bau mehrerer Fußballstadien. Zur Begründung des Ausschlusses hatte der Fußballverband angeführt, die Bietergemeinschaft erfülle nicht die Anforderungen der Bekanntmachung, insbesondere hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit. In der Zwischenzeit wurde das betreffende Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags durch den Abschluss eines Rahmenvertrags mit dem einzigen noch im Verfahren verbliebenen Bieter beendet. INGSTEEL erhob daraufhin Klage auf Ersatz des Schadens, der dem Unternehmen durch den Ausschluss der Bietergemeinschaft von diesem Verfahren entstanden ist. Damit hat der EuGH klargestellt, dass das EU-Recht einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, nach der es grundsätzlich nicht möglich ist, dass ein rechtswidrig von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausgeschlossener Bieter für den Schaden entschädigt wird, der ihm durch den Verlust der Chance entstanden ist, an einem Verfahren teilzunehmen, um den betreffenden Auftrag zu erhalten.