Die Grenzen des Nachbarschutzes

Mit Beschluss vom 04.09.2019, Az. 10 B 1026/19, hatte das Oberverwaltungsgericht Münster sich mit den Grenzen nachbarlicher Rechtsbehelfe gegen Baugenehmigungen zu befassen.

1. Die Entscheidung

Gegenstand der Entscheidung ist eine Beschwerde im Verfahren des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes.

Das Verwaltungsgericht hatte den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (VG Gelsenkirchen, Az. 6 K 2798/19) gegen die den Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung anzuordnen, abgelehnt (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17.07.2019, Az. 6 L 952/19). Die nach § 80a Abs. 3 und Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung falle zulasten der Antragstellerin aus, weil die im Hauptsacheverfahren angefochtene Baugenehmigung für den Neubau eines Zweifamilienhauses bei summarischer Prüfung nicht gegen bauordnungsrechtliche oder bauplanungsrechtliche Vorschriften verstoße, die dem Schutz der Antragstellerin dienten.

Das OVG Münster hat die Beschwerde zurückgewiesen.

Zur Begründung führte das OVG Münster aus, dass allein die geltend gemachte fehlende Beteiligung der Antragstellerin am Baugenehmigungsverfahren keinen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung begründen könne. Hierfür bedürfe es in jedem Fall einer materiellen Rechtsverletzung, und zwar durch das Vorhaben, so wie es Gegenstand der Baugenehmigung sei. Mögliche Abstandsflächenverstöße bei der Umsetzung der Baumaßnahme (in Abweichung von der Baugenehmigung) seien insoweit unerheblich.

Das Vorhaben verletze keine Vorschriften des Bauplanungsrechts, die dem Schutz der Antragstellerin zu dienen bestimmt seien. Die betroffenen Grundstücke lägen im Außenbereich. Daran ändere auch eine Satzung nach § 35 Abs. 6 BauGB nichts. Infolge der Außenbereichslage kämen Ansprüche auf Erhaltung der Gebietsart nicht in Betracht. Abgesehen davon betreffe ein Gebietswahrungsanspruch ohnehin nur die Art und nicht das Maß der baulichen Nutzung. In der Folge sei die Antragstellerin auf das Gebot der Rücksichtnahme zu verweisen. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme könne indes nicht festgestellt werden. Dass das Wohnhaus der Antragstellerin vom Tal aus gesehen von dem genehmigungsgegenständlichen Vorhaben verdeckt werde, vermöge ein Gefühl des „Eingemauertseins“ im Sinne einer erdrückenden Wirkung nicht hervorzurufen. Diese Gegebenheiten bewirkten auch nicht, dass das Grundstück der Antragstellerin vom Vorhaben „dominiert“ werde. Auch Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der erteilten Baugenehmigung bildeten für sich keinen Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen im Sinne des Rücksichtnahmegebots zumutbar seien oder nicht.

2. Kontext der Entscheidung

Dem Erfolg von Rechtsbehelfen von Nachbarn gegen Dritte erteilte Baugenehmigungen sind eine ganze Reihe von rechtlichen Grenzen gesetzt.

Die wesentliche Hürde im baurechtlichen Nachbarverfahren wird in ständiger Rechtsprechung im Kern wie folgt beschrieben:

Ein Rechtsanspruch des Nachbarn auf Aufhebung der Baugenehmigung besteht nicht schon dann, wenn eine baurechtliche Genehmigung objektiv rechtswidrig ist. Hinzukommen muss, dass der Nachbar durch die rechtswidrige Genehmigung zugleich in eigenen Rechten verletzt wird. Dies setzt voraus, dass sie gegen Rechtsnormen verstößt, die nachbarschützenden Charakter haben und der jeweilige Nachbar auch im Hinblick auf seine Nähe zu dem Vorhaben tatsächlich in seinen eigenen Rechten, deren Schutz die Vorschrift zu dienen bestimmt ist, verletzt wird (OVG Münster, Urteil vom 21.09.2018, Az. 2 A 669/17, Rn. 37 f.).

In den Blick zu nehmen ist zudem auch der für die Entscheidung maßgebliche Zeitpunkt. Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung.

3. Folgen für die Praxis

Dreh- und Angelpunkt eines jeden Rechtsbehelfs gegen ein benachbartes Bauvorhaben ist immer die Annahme einer nachbarschützenden Wirkung der bauplanungsrechtlichen bzw. bauordnungsrechtlichen Regelungen, gegen die das jeweilige Vorhaben gegebenenfalls verstößt. Diese Vorgabe hat bislang eine begrenzende Wirkung bei den Erfolgsaussichten etwaiger Klagen gegen benachbarte Bauvorhaben. Die Entscheidung des OVG NRW bestätigt die bisherige Rechtsprechung und führt nicht zur einer Ausweitung des Nachbarschutzes.

Autor: Rechtsanwältin Vera Miller
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