Co-Living als Wohnnutzung (VGH München, Urt. v. 15.07.2024 – Az. 12 B 23.2195)

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat in seinem Urteil vom 15.07.2024 (Az. 12 B 23.2195) eine richtungsweisende Entscheidung zur rechtlichen Einordnung des sog. „Co-Living“ getroffen. Dabei ging es um die Frage, ob diese Form der Wohnnutzung als „Fremdenbeherbergung“ zu qualifizieren ist – und somit unter das Zweckentfremdungsverbot fällt – oder als reguläre Wohnnutzung zu betrachten ist.

I.             Hintergrund

In vielen deutschen Großstädten herrscht Wohnraummangel. Das Zweckentfremdungsrecht soll sicherstellen, dass bestehender Wohnraum nicht zweckfremd genutzt wird (z. B. für gewerbliche Kurzzeitvermietungen). Der zunehmende Trend des sog. Co-Living, bei dem Menschen für einen begrenzten Zeitraum in einer Art Wohngemeinschaft zusammenleben, hat neue Fragen aufgeworfen, wie moderne Formen des Wohnens in der sog. Sharing Economy rechtlich einzuordnen sind.

II.           Der Fall

Im vorliegenden Fall beruhte die Vermietung auf einem Co-Living-Konzept, bei dem Mieter jeweils ein möbliertes Zimmer bewohnten und Küche sowie Bäder gemeinschaftlich nutzten. Zusätzlich wurden Serviceleistungen, wie die regelmäßige Reinigung der Gemeinschaftsräume, angeboten. Die Mietverträge waren auf unbestimmte Zeit geschlossen.

III.          Die Entscheidung

Der BayVGH entschied, dass das Co-Living in diesem Fall als „Wohnen“ und nicht als „Fremdenbeherbergung“ einzustufen ist. Ausschlaggebend war die private Rückzugsmöglichkeit der Mieter, die durch einen eigenen Rückzugsraum (hier: ein Schlafzimmer) ermöglicht wurde. Die gemeinschaftliche Nutzung von Küche und Bad sei in vielen regulären Wohngemeinschaften üblich und ändere daher nichts an der Wohnnutzung. Auch der Umstand, dass die Nutzung auf einen begrenzten Zeitraum ausgelegt ist, spiele keine Rolle, solange der Mieter – wenn auch nur vorübergehend – seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung habe. Dementsprechend sind befristete Mietverhältnisse – wie sie bei Arbeitnehmern oder Studierenden häufig vorkommen – nach Auffassung des Gerichtshofs ebenfalls als Wohnnutzung anzusehen. Auch die Inanspruchnahme von Dienstleistungen führe nicht automatisch dazu, dass die Nutzung als gewerbliche Fremdenbeherbergung einzustufen sei. Solche Dienstleistungen seien häufig auch in klassischen Mietverhältnissen vorhanden.

Der BayVGH betonte zudem, dass das Zweckentfremdungsrecht in erster Linie den Schutz und Erhalt des Wohnraums bezweckt. Es sei gerade nicht Aufgabe dieses Zweckentfremdungsrechts, bestimmte Wohnformen zu bewerten oder gar festzulegen, welche Wohnformen sozial verträglich oder schädlich seien.

IV.         Bisherige Entscheidungspraxis zum sog. „Co-Living“

Die Entscheidung des BayVGH ist im Kontext der dynamischen Entwicklung in der jüngeren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Zweckentfremdungsrecht zu lesen. Zuvor hatten mehrere Verwaltungsgerichte (VG München, Beschl. v. 12.01.2021 – M 9 S 20.4417; Beschl. v. 15.04.2021 – M 9 S 21.781; Urt. v. 14.07.2021 – M 9 K 20.4088) eine restriktivere Auslegung des Begriffs der „Wohnnutzung“ verfolgt und Co-Living-Konzepte eher als gewerbliche Fremdenbeherbergung eingestuft. Interessanterweise wurde die Frage, ob die Wohnung als temporärer Lebensmittelpunkt diente, dabei weniger intensiv diskutiert. Der BayVGH hat mit seiner Entscheidung nun eine differenziertere Betrachtung vorgenommen, durch die der restriktive Ansatz der bisherigen Rechtsprechung etwas aufgelockert wird. Danach kann das sog. Co-Living als Wohnnutzung gelten, wenn den Mietern hinreichende private Rückzugsmöglichkeiten wie ein eigenes Schlafzimmer zur Verfügung stehen. Dies gelte auch dann, wenn der Aufenthalt nur vorübergehender Natur ist.

V.           Bedeutung für die Praxis – Key Takeaways

Vermieter, ob privat oder gewerblich, sollten vor einer Vermietung ihres Wohnbestands sicherstellen, dass diese nicht gegen das Zweckentfremdungsverbot verstößt. Denn ein solcher Verstoß kann zu Untersagungsverfügungen und Zwangsgeldandrohungen führen. Das Zweckentfremdungsverbot kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn es sich bei der Vermietungstätigkeit um eine relevante Nutzungsänderung handelt. Andernfalls wäre ein behördliches Einschreiten rechtswidrig.

Das Urteil des BayVGH hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Wohnraumnutzung. Indem es für die Bestimmung des Lebensmittelpunktes das Kriterium des Rückzugsortes in den Fokus rückt, stärkt es moderne Wohnformen der Sharing Economy wie das sog. Co-Living und liefert wichtige Leitlinien für die Abgrenzung zwischen Wohnnutzung und Fremdenbeherbergung:

  • Rückzugsort als Abgrenzungskriterium: Eine „Wohnnutzung“ wird angenommen, wenn der Mieter seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung begründet, selbst wenn dies nur vorübergehend geschieht. Maßgeblich ist damit nicht die Mietdauer, sondern der Grad der alltäglichen Nutzung. Ein zentrales Kriterium für die Bestimmung des Lebensmittelpunktes bildet beim sog. Co-Living die private Rückzugsmöglichkeit innerhalb der Gemeinschaft. Sie ist gegeben, wenn jeder Mieter über einen eigenen privaten Rückzugsraum verfügt (z. B. ein Schlafzimmer).
  • Serviceleistungen führen nicht automatisch zu „Fremdenbeherbergung“: Das Anbieten von Dienst- und Serviceleistungen (z. B. regelmäßige Reinigung) führt nicht automatisch zur Einstufung als gewerbliche Fremdenbeherbergung, da solche Leistungen auch in klassischen Mietverhältnissen vorkommen können.

Auch in anderen Bundesländern, die über eigene Zweckentfremdungsvorschriften verfügen, ist mit ähnlichen Auseinandersetzungen zu rechnen. Der Ansatz des BayVGH dürfte daher auch die künftige Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis in anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, beeinflussen.

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Dr. Maximilian Dogs, LL.M.

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