Europäischer Gerichtshof zur Haftung der Bank bei kontaktloser Zahlung durch Unbefugten – ein Urteil mit weitergehenden Folgen?

Seit einiger Zeit kann mit der Girocard oder der Kreditkarte ein kleinerer Betrag auch gezahlt werden, ohne die Karte in ein Lesegerät einzuführen und die Geheimzahl einzugeben. Es genügt, die Karte an das Lesegerät zu halten. Mittels der sogenannten NFC-Funktion (Near Field Communication) werden die relevanten Daten aus der Karte herausgelesen und die Zahlung autorisiert. Vor dem Hintergrund des unmittelbar ersichtlichen Missbrauchsrisikos bei Verwendung einer gestohlenen oder abhandengekommenen Karte ist für Nutzer und Banken gleichermaßen wichtig zu wissen, wer das Missbrauchsrisiko trägt.

Deutsches Recht

Das deutsche Zahlungsverkehrsrecht (basierend auf der europäischen Zahlungsdiensterichtlinie 2015/2366) sieht in § 675v Abs. 4 BGB vor, dass im Grundsatz die kartenausgebende Bank oder Sparkasse für kontaktlose Zahlungen durch einen Unbefugten haftet. Eine Haftung des Zahlers besteht allerdings ausnahmsweise, wenn er betrügerisch gehandelt oder den Schaden durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der ihm obliegenden Pflichten verursacht hat.

Entscheidung des EuGH

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nun über einen Sachverhalt zu entscheiden, der ihm vom österreichischen Obersten Gerichtshof (OGH) vorgelegt wurde. Hier ging es um AGB einer in Österreich ansässigen Bank, die vom europäischen Zahlungsverkehrsrecht zum Nachteil des Kunden abwichen. Nach Auffassung des EuGH ist die AGB-Regelung wegen Abweichung von den Vorgaben der Zahlungsdiensterichtlinie unwirksam und eine abweichende Haftungsverteilung deshalb nicht vereinbart.

Auswirkungen der EuGH-Entscheidung

Über den konkreten Fall hinaus lässt die weitere Frage aufhorchen, die der EuGH auf Vorlage des OGH beantwortete:

Die AGB der beklagten Bank enthielten eine Klausel, die ähnlich dem in Deutschland bekannten AGB-Änderungsmechanismus vorsah, dass dem Kunden

„Änderungen der AGB für Zahlungskarten spätestens zwei Monate vor dem geplanten Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vorgeschlagen werden und die Zustimmung des Kunden zu diesen Änderungen als erteilt gilt, sofern der Kunde die Änderungen nicht vor diesem Zeitpunkt ausdrücklich ablehnt, wobei der Kunde, der Verbraucher ist, das Recht zur kostenlosen Kündigung hat; hierauf ist in dem Änderungsvorschlag, den die Bank ihm übermittelt, hinzuweisen.“

Der OGH bat um Klärung, ob eine solche Zustimmungsfiktion auch mit einem Verbraucher völlig uneingeschränkt für sämtliche denkbaren Vertragsbedingungen vereinbart werden könne. Die Frage stellt sich unter der Zahlungsdiensterichtlinie (2015/2366) als auch – nach Auffassung des OGH – nach der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (93/13). Der EuGH hat dies dahin gehend beantwortet, dass die Zahlungsdiensterichtlinie keine Beschränkungen hinsichtlich der Eigenschaft des Nutzers oder der Art der Vertragsbedingungen, die Gegenstand einer solchen (oben beschriebenen) Vereinbarung sein können, festlegt.

Hiervon unberührt bleibt jedoch (wenn der Nutzer Verbraucher ist) die Möglichkeit der Prüfung, ob diese Klausel im Lichte der Bestimmungen der Richtlinie 93/13 missbräuchlich ist; insbesondere, da Nr. 1 j) des Anhangs zur Klauselrichtlinie vorsieht, dass

„Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass … der Gewerbetreibende die Vertragsklauseln einseitig ohne triftigen und im Vertrag aufgeführten Grund ändern kann“,

unwirksam sind.

Dies kann auch für die in Deutschland gerade geführte Diskussion, ob der derzeitige AGB-Änderungsmechanismus der Banken ohne weiteres bestehen bleiben kann, Fragen aufwerfen. Dies gerade vor dem Hintergrund, dass der deutsche Gesetzgeber die Klauselrichtlinie 93/13 nicht vollständig umgesetzt hat. Insbesondere wurde der Anhang zur Klauselrichtlinie mit beispielhaft genannten missbräuchlichen Klauseln nicht 1:1 ins deutsches Recht umgesetzt. Der Gesetzgeber ging seinerzeit davon aus, mit der Generalklausel des § 307 BGB einen ausreichenden Schutz zu gewähren. Ob dies Bestand haben wird, bleibt abzuwarten.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11.11.2020, Rs. C-287/19.