BGH: Keine Organhaftung nach § 64 GmbHG bei neutralem Sicherheitentausch

Wird auf ein debitorisches Konto einer GmbH eine zur Sicherheit an die Bank abgetretene Forderung eingezogen, die erst nach Insolvenzreife entstanden oder werthaltig geworden ist, kann es an einer masseschmälernden Zahlung im Sinne von § 64 Satz 1 GmbHG gleichwohl fehlen, wenn die als Gegenleistung an den Forderungsschuldner gelieferte Ware im Sicherungseigentum der Bank stand. Der BGH schränkt damit die Organhaftung nach § 64 GmbHG weiter ein, indem er eine Masseschmälerung im Falle eines Austauschs der eingeräumten Sicherheiten ablehnt.
(BGH, Urteil vom 08. Dezember 2015, Az.: II ZR 68/14)

Der Fall

Im Rahmen seines Urteils setzt sich der BGH mit der Frage auseinander welche Anforderungen an eine Masseschmälerung als Voraussetzung der Organhaftung nach § 64 GmbHG zu stellen sind.

Der Beklagte war Geschäftsführer einer in Insolvenz geratenen GmbH. Im Zeitraum vom 15. Dezember 2010 bis zum 22. Februar 2011 – vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens – gingen Zahlungen in Höhe von ca. 60 TEUR auf das debitorische Konto der GmbH ein und verringerten den Debet-Saldo. Die gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen der betreffenden Bank waren seit 2007 durch Abschluss eines Globalabtretungsvertrag unter Beachtung etwaig entgegenstehender verlängerter Eigentumsvorbehalte Dritter abgesichert. Des Weiteren räumte die GmbH der Bank in 2009 Sicherheitseigentum hinsichtlich ihres gesamten Warenlagers mit wechselndem Bestand ein.

Am 01.Juli 2011 wurde über das Vermögen der GmbH ein Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter war der Auffassung, dass die GmbH schon seit Mitte 2010 zahlungsunfähig gewesen sei und erhob sodann vor dem Landgericht Heidelberg Klage, die er auf die Verletzung der Massesicherungspflicht nach § 64 GmbHG stützte.

Das Landgericht Heidelberg wies die Klage des Insolvenzgerichts ab. Ebenso wurde die Berufung durch das Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Der BGH befand, dass das Berufungsurteil der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten standhält, hob das betreffende Urteil auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.
Zunächst wurde im Rahmen des Revisionsurteil festgehalten, dass der Einzug von Forderungen einer insolvenzreifen GmbH grundsätzlich als Masseschmälerung im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG anzusehen sind. Zudem stimmte der BGH dem Berufungsgericht zu, dass ein Globalabtretungsvertrag der Annahme einer solchen Masseschmälerung entgegenstehen kann. Letztere Ausnahme ist allerdings nur dann einschlägig, sofern die abgetretenen Forderungen der Gesellschaft auch vor Insolvenzreife entstanden und werthaltig sind.

Selbst in diesem Fall hätte zwar der Einzug auf ein Konto einer anderen Bank auch das Erlöschen der Forderung der Gläubigerin der Globalzession zur Folge. Im Falle eines Einzuges einer vor Insolvenzreife abgetretenen Forderung, die erst nach Insolvenzreife entstanden bzw. werthaltig wird, ist daher der betreffende Geschäftsführer grundsätzlich nach § 64 GmbHG zur Verantwortung zu ziehen, wenn er die Entstehung der Forderung oder deren Werthaltigkeit hätte verhindern können. Allerdings ist nach Auffassung des BGH der Einzug auf das debitorische Konto bei der betreffenden Gläubigerin im entschiedenen Einzelfall mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbare Zahlung anzusehen, § 64 Satz 2 GmbHG und führt nicht zu einer Organhaftung.
Da das Berufungsgericht diese Rückausnahme nicht berücksichtigte und diese Aspekte nicht überprüfte, war die Sache noch nicht entscheidungsreif. Der BGH wies das Berufungsgericht betreffend seine erneute Befassung in dieser Sache u.a. auf nachfolgende Wertungen hin:

  • Für den Fall, dass Zahlungen nach Insolvenzreife auf das debitorische Konto der Gesellschaft erfolgen, liegt keine Massenschmälerung im Sinne des § 64 Satz 1 GmbHG vor, sofern es sich um eine Gegenleistung für die Lieferungen aus dem Warenlager handelt, hinsichtlich dessen der Gläubigerbank Sicherungseigentum eingeräumt wurde. Dies gilt unabhängig davon, ob zunächst die durch Globalzession abgetretene Forderung entsteht bzw. werthaltig wird oder die sicherheitsübereignete Ware geliefert wird (neutraler Sicherheitentausch).
  • Falls jedoch die insolvenzreife GmbH die monetäre Leistung erbringen muss, darf diese nicht durch masseschmälernde Barzahlung erfolgen, da der erworbene Gegenstand selbst nicht der Masse, sondern der Sicherungsnehmerin zustünde. Demgegenüber liegt bei einer Überweisung von dem debitorischen Konto lediglich ein unschädlicher Gläubigertausch vor.

Folgen für die Praxis

Durch diese Entscheidung wird die Haftungsfalle des § 64 S. 1 GmbHG weiter abgemildert. Dennoch wird durch den BGH deutlich gemacht, dass geringfügige Abweichungen des Einzelfalles eine Rückausnahme darstellen und eine schädliche Masseschmälerung begründen können. Daher sollte bei Sicherungsabtretungen seitens einer insolvenzreifen Gesellschaft vor Leistungserbringung umfassend geprüft werden, ob das Entstehen oder Werthaltigwerden einer Forderung zu Gunsten eines Sicherungsgläubigers verhindert werden kann, wenn damit eine Masseschmälerung verbunden ist (also weder ein neutraler Sicherheitentausch, noch ein unschädlicher Gläubigertausch) vorliegen. In diesen Fällen sollte auch in Erwägung gezogen werden, den Kontokorrentvertrag betreffend das debitorische Konto zu kündigen.

Katharina Stertz
Rechtsanwältin

Cornelius Bartenbach Haesemann & Partner
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