Auswirkungen der BGH-Entscheidung zur Unwirksamkeit des AGB-Änderungsmechanismus der Kreditwirtschaft über Zustimmungsfiktionsklauseln in der Praxis

Mit dem Urteil vom 27.04.2021 hat der BGH (vgl. BGH v. 27.4.2021 – XI ZR 26/20, BKR 2021, 488) entschieden, dass Klauseln in den AGB einer Bank, die ohne inhaltliche Einschränkungen die Zustimmung des Kunden zu Änderungen der AGB und Sonderbedingungen fingieren, unwirksam sind. Damit stellte der XI. Zivilsenat seine jahrzehntelange Rechtsprechung zum AGB-Änderungsmechanismus auf den Kopf und sorgte für einen Paukenschlag in der Rechtspraxis, der im Schrifttum und in der Tagespresse erheblich nachhallte. Als Auslöser für diese grundlegende Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung wird u. a. die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Deniz-Bank“ vom 11.11.2020 (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2020 – C-287/19, BKR 2021, 234) gesehen.

Die beklagte Bank verwendete in ihren AGB mit Verbrauchern Klauseln, die inhaltlich den Nr. 1 Abs. 2 AGB-Banken respektive Nr. 2 Abs. 1 bis 3 AGB-Sparkassen und den Nr. 12 Abs. 5 AGB-Banken bzw. Nr. 17 Abs. 6 AGB-Sparkassen entsprachen. Die zu prüfenden Klauseln waren umfassend und unterwarfen sämtliche Änderungen der aktuellen Geschäftsbedingungen und künftiger „besonderer Bedingungen“ einzelner Geschäftszweige der Zustimmungsfiktionspraxis. Nach höchstrichterlicher Auffassung sind solche Zustimmungsfiktionsklauseln trotz inhaltlicher Übereinstimmung mit dem Wortlaut des 675g BGB am AGB-Recht zu messen und insbesondere daraufhin zu prüfen, ob sie eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners darstellen und damit nach § 307 BGB unwirksam sind. Genau das hat der BGH bejaht.

Durch die Verwendung der angegriffenen Klauseln wurde dem Anwender die Handhabe geboten, jedes Vertragsverhältnis eines jeden Kunden in jeglicher Hinsicht einseitig ändern zu können und damit das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu Lasten des Vertragspartners zu verschieben. Außerdem konnten Banken beliebig Sonderbedingungen einführen und Entgelte erhöhen, solange der Kunde nicht ausdrücklich widersprach – in jedem Fall würde das Schweigen auf die Information nach der bisherigen Praxis ausreichen.

Der BGH sieht darin einen Verstoß gegen den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nach §§ 145 ff. BGB, wonach Schweigen allein keine Annahme begründet. Diese Abweichung vom gesetzlichen Leitbild stellt – unabhängig davon, aus welchem Grund eine Reaktion des Verbrauchers ausbleibt – eine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 BGB dar. Denn für derartig grundlegende vertragliche Änderungen, die die rechtlichen Beziehungen der Parteien vergleichbar mit dem Abschluss eines neuen Vertrages umgestalten, ist nach Auffassung des BGH vielmehr ein Änderungsvertrag notwendig, der den Erfordernissen der §§ 305 Abs. 2, 311 Abs. 1, 145 ff BGB gerecht wird.

Diese Entscheidung hat die Kreditwirtschaft vor zahlreiche Herausforderungen gestellt, sowohl was den Umgang mit der Vergangenheit (Rückforderungsbegehren der Kunden hinsichtlich unwirksam erhöhter Entgelte) als auch mit der Zukunft angeht (Zustimmungserfordernis der Kunden zu neuen Bedingungen).

Deshalb verwundert es nicht, dass sich Kreditinstitute im Nachgang zum BGH-Urteil dazu gezwungen sahen, nach einer alternativen Handhabe zu suchen, um zukünftig Vertragsänderungen auch ohne das Instrument der Zustimmungsfiktionspraxis durchsetzen zu können.

Exemplarisch zu benennen ist die Sachverhaltskonstellation, die der Entscheidung des LG Stuttgart vom 15.02.2022 (vgl. LG Stuttgart vom 15.2.2022 – 34 O 98/21 KfH, GRUR-RS 2022, 5619) zugrunde lag:

Dort hatte eine Genossenschaftsbank, die in der Vergangenheit die Girokonten ihrer Mitglieder kostenfrei führte, ab dem 01.01.2020 auf Grundlage eines in ihren AGB geregelten Preiserhöhungsvorbehalts Kontoführungsgebühren in Höhe von 5,00 € pro Monat erhoben. Im Rahmen eines Kundenschreibens vom 09.07.2021 informierte das beklagte Institut seine Kunden über die Rechtsfolgen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.04.2021 – insbesondere der ihnen obliegenden Rückzahlungsansprüche – verbunden mit einem Angebot der Vertragsfortführung zu den neu eingeführten Entgelten, sofern von einer Rückerstattung der bereits entrichteten Beträge abgesehen werde. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte die Genossenschaftsbank damit, die Geschäftsverbindung zu kündigen.

Die Verbraucherzentrale hatte dies abgemahnt und schließlich Klage erhoben. Entgegen der Auffassung der Klägerin sah das LG Stuttgart in dem Verhalten der Genossenschaftsbank jedoch keine aggressive geschäftliche Handlung im Sinne von § 4a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 UWG und wies die Klage ab. Das Schreiben vom 09.07.2021 sei „klar und eindeutig sowie in sachlichem Ton verfasst, so dass eine Wettbewerbswidrigkeit wegen der ‚Verwendung drohender Formulierungen‘ schon nicht behauptet wird und auch nicht in Betracht kommt“.

In einem weiteren Verfahren erreichte die Verbraucherzentrale ein klagestattgebendes Urteil, nachdem sie eine Sparkasse wegen einer vermeintlich untergeschobenen Zustimmungserklärung abgemahnt hatte: 

Hier erließ das Landgericht Dessau-Roßlau (siehe hierzu : https://www.vzbv.de/urteile/sparkasse-darf-zustimmung-zu-agb-nicht-unterschieben) auf Antrag der Klägerin eine einstweilige Verfügung gegen die in Anspruch genommene Sparkasse, die in ihrem Geschäftsbetrieb Überweisungsträger verwendete, auf denen Verbraucher durch ihre Unterschrift nicht nur der Überweisung, sondern gleichzeitig auch den neuen (aufgrund der o.g. Rechtsprechung des BGH zustimmungsbedürftigen) AGB sowie dem Preis- und Leistungsverzeichnis zustimmten. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass das Unterschreiben der Zustimmungserklärung die Verwender der Überweisungsträger erheblich in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigte und an der Ausübung ihrer Rechte hinderte. Durch die Handhabe der Sparkasse würden sie ungerechtfertigterweise in eine Zwangslage versetzt werden, den Änderungen zustimmen zu müssen, um eine Überweisung tätigen zu können. Dies stellt wiederum eine nicht wettbewerbskonforme aggressive geschäftliche Handlung nach § 4a UWG dar.

Diese beiden Entscheidungen verdeutlichen, wie groß die Herausforderung für die Kreditwirtschaft war und ist, die Einholung der ausdrücklichen Zustimmung zu Vertragsänderungen, insbesondere im Rahmen einer Preisänderung, auf einem rechtlich vertretbaren Weg, kostengünstig und effizient im Massengeschäft zu bewerkstelligen.

Dafür sind in der praktischen Umsetzung mehrere Möglichkeiten denkbar. Für Kunden, die die Online-Banking-Funktion nutzen, kann die Zustimmung zu den aktuell geltenden AGB über eine sog. Klickstrecke im Rahmen des Registrierungs- oder Login-Prozesses erfolgen. Dabei wird die Zustimmung zum aktuellen Vertragsstand eingeholt, welcher dem Kunden beispielsweise über ein verlinktes PDF zum Abruf bereitgestellt wird. Kunden, die ihr Bankkonto auch heute noch analog nutzen und nicht über einen Online-Zugriff verfügen, können postalisch über die Änderungen der Vertragsbedingungen und die Entgeltanpassungen informiert und um schriftliche Zustimmung per Brief oder durch Unterschrift in der Bankfiliale vor Ort gebeten werden. Der analoge Weg ist rechtlich zwar unproblematisch, in der Praxis für die Kreditinstitute allerdings mit einem erheblichen Mehraufwand und kostenträchtiger Bürokratie verbunden. In jedem Fall sollte die Kundenzustimmung durch die Kreditinstitute – nicht zuletzt aus Beweiszwecken – gründlich dokumentiert werden.

Widerspricht der Kunde der angebotenen Vertragsänderung, steht es dem Verwender der Klausel frei, den Vertrag nach Ablauf einer angemessenen Frist ordentlich zu kündigen. (Änderungs-) Kündigungen werden zumindest im unmittelbaren Nachgang zur BGH-Rechtsprechung vom 27.04.2021 gerechtfertigt sein, damit Kreditinstitute in die Lage versetzt werden, den Flickenteppich an kundenspezifisch abweichenden AGB zu beseitigen und den Status Quo an Rechtssicherheit im Massengeschäft durch einheitliche Geschäftsbedingungen wiederherstellen zu können. Banken haben ein schützenswertes Interesse daran, dass im Sinne der Verkehrs- und Rechtssicherheit sämtlichen Geschäftsverbindungen einheitliche AGB zugrunde liegen, um ihre zentralen Aufgaben im Wirtschafts- und Finanzsystem erfüllen zu können. Dieses wird in der Interessenabwägung im Einzelfall auch stets dem Interesse des einzelnen Kunden an einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen zu den bisherigen Konditionen überwiegen.

Besondere Anforderungen an die Kündigungsmöglichkeiten von Zahlungsdienstrahmenverträgen sind indes bei Sparkassen gestellt. Anders als Privat- und Direktbanken sind sie als Anstalt des öffentlichen Rechts an Grundrechte, insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG, und landesrechtliche Kontrahierungspflichten (bspw. § 5 SpkG NRW) gebunden und insoweit nicht berechtigt, das Vertragsverhältnis mit ihren Kunden grundlos ordentlich zu kündigen. Es wird somit vorausgesetzt, dass ein sachgerechter Grund vorliegt – dies ist dann anzunehmen, wenn die Kündigung von dem Standpunkt eines unvoreingenommenen, vernünftigen Beobachters als nachvollziehbar und der Sache nach als angemessen zu bewerten ist.

Die Entscheidung des BGH vom 27.04.2021 ist mit ihrer auf AGB-rechtliche Erwägungen gestützten Begründung allerdings nicht nur für die Kreditwirtschaft relevant, sondern gilt letztlich für alle Anbieter von Dauerschuldverhältnissen im Massengeschäft, die ihre AGB (und darin geregelte Entgelte!) ändern wollen.

Daher wird derzeit im Beck-Verlag unter Mitherausgeberschaft von CBH-Rechtsanwalt Prof. Dr. Roman Jordans und u.a. den CBH-Rechtsanwälten Paul Assies, Johannes Ristelhuber, Dr. Christoph Naendrup, Dr. Sascha Vander, Britta Lissner und Maximilian Brauer als  weitere Autoren, das „Preishandbuch: Rechtskonformes Pricing im Massengeschäft“ verfasst, das sich mit den betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen an Preissetzung und Preisänderung befasst und noch im Jahr 2023 erscheinen wird.