Aufmerksamkeit bei der Ausgestaltung von Wertpapierkrediten erforderlich

OLG Schleswig zum Margin Call wegen überzogenem Wertpapierkredit

Sachverhalt

Der Kläger hatte bei der beklagten Bank ein Wertpapierdepot. Hierzu wurde ein Wertpapierkreditvertrag mit einem Rahmen von 100.000,00 € geschlossen. In dem Vertrag lautete die Klausel „Sicherheiten“:

„Als Sicherheit erhält … die Bank … die Verpfändung von Guthaben auf Verrechnungskonten/Girokonten, Wertpapierdepots und Wertpapierkreditkonten. Einzelheiten, insbesondere der Sicherungszweck, werden im Rahmen der anliegenden Verpfändungsvereinbarung geregelt. Der Kreditnehmer ist zur Stellung weiterer gleichwertiger Sicherheiten verpflichtet, wenn die vereinbarten Deckungsrelationen nicht nur vorübergehend nicht eingehalten werden oder ein sonstiger unerwarteter Wegfall bzw. wesentliche Minderung des Wertes der genannten Sicherheiten gegeben ist. Für die Verstärkung der Sicherheiten wird … die Bank … dem Kreditnehmer eine angemessene Frist einräumen. Die Bank darf den Wertpapierkredit fristlos kündigen, wenn die Verpflichtung zur Verstärkung der Sicherheiten nicht innerhalb der von der Bank gesetzten Frist erfüllt wird.“

„Beleihungswert: Für die Einräumung des Wertpapierkredites sind die Beleihungswerte für die verschiedenen Wertpapiergattungen maßgeblich. Die aktuellen Beleihungswerte entnehmen Sie bitte unserer Website. Die Bank ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, zur Wiederherstellung der vereinbarten Deckungsrelationen Depotwerte zu veräußern. Außerdem kann die Bank anderweitige Sicherheiten verlangen, um die vereinbarte Sicherungsquote wiederherzustellen.“

Gleichlautende Regelungen enthalten die Allgemeinen und Produktbezogenen Geschäftsbedingungen der Beklagten für den Wertpapierkredit.

Zudem schlossen die Parteien eine Vereinbarung über die Verpfändung von Guthaben und Wertpapierdepots. Dort lautet die Klausel

„2. Sicherungszweck

Die Verpfändung dient zur Sicherung aller bestehenden, künftigen, auch bedingten Ansprüche, die der Bank gegen den Verpfänder aus der Gewährung von Wertpapierkrediten zustehen.“

„4. Verwertungsrecht der Bank

  1. Die Bank ist berechtigt, die Pfandgegenstände zu verwerten, wenn der Verpfänder mit fälligen Zahlungen auf die durch diese Verpfändungen gesicherten Forderungen in Verzug ist. Diese Maßnahme darf die Bank nur ergreifen, als es zur Erfüllung der fälligen Forderungen erforderlich ist.

  2. Die Bank wird dem Verpfänder die Verwertung der Pfandgegenstände unter Fristsetzung schriftlich androhen. Sofern der Abschluss dieses Vertrages für den Verpfänder ein Handelsgeschäft darstellt, beträgt diese Frist mindestens eine Woche. In allen übrigen Fällen einen Monat.“

Im März 2020 befanden sich im Depot des Klägers 20.673 Aktien der Deutsche Bank AG, die er für 16,93 € pro Aktie erworben hatte. Den Wertpapierkredit hatte der Kläger in voller Höhe – insgesamt in Höhe von 100.005,94 € – in Anspruch genommen. Ab Dezember 2019 waren die Aktienkurse flächendeckend eingebrochen, so auch der Kurs der Aktien der Deutsche Bank AG. Mit Schreiben vom 11. März 2020 schrieb die Beklagte an den Kläger, dass eine Unterdeckung von 14.865,35 € vorliege und er die vertraglich vereinbarten Deckungsrelationen wiederherstellen sowie die Inanspruchnahme des Wertpapierkredites bis 18.03.2020 wieder in den Beleihungswert des Depots zurückführen möge. Sofern er die Frist verstreichen lasse, behalte die Bank sich vor, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, Wertpapiere aus dem Depot im erforderlichen Umfang zu veräußern.

Das Schreiben stellte sie am 11. März 2020 in die Postbox des Klägers ein. Dieser öffnete es spätestens am 23. März 2020. Ebenfalls am 23. März 2020 veräußerte die Beklagte insgesamt 12.923 Aktien der Deutsche Bank AG; sie erlöste insgesamt 71.417,89 €. Am 25. März 2020 überwies der Kläger 20.000,00 € und am 27. März 2020 weitere 3.000,00 € auf das Wertpapierkreditkonto.

Die Entscheidung

Das Landgericht hat der auf Einbuchung von 12.923 Aktien der Deutsche Bank AG gegen Zahlung von 71.417,89 € gerichteten Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Bank hin hat das OLG Schleswig (Urteil vom 15.09.2022 – 5 U 132/22, abrufbar unter https://openjur.de/u/2451607.html) dies bestätigt:

Die beklagte Bank ist dem Kläger nach § 280 Abs. 1 BGB nach Auffassung des OLG mit folgender Begründung zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hat die Aktien des Klägers – genauer: seine Miteigentumsanteile am Sammelbestand nach § 6 Abs. 1 Satz 1 DepotG (ggf. i. V. m. § 9b Abs. 1 Satz 1 DepotG) – veräußert, ohne hierzu berechtigt gewesen zu sein. Hierdurch ist dem Kläger ein Schaden entstanden.

Fehlende Berechtigung zur Verwertung aufgrund fehlender Kreditkündigung

Die Beklagte hat die ihr sicherungshalber verpfändeten Aktien verwertet, ohne dass der Sicherungsfall eingetreten war. Der Sicherungsfall setzt die (Teil-)Kündigung des Wertpapierkredits voraus; eine derartige Kündigung hat die Beklagte weder angedroht noch ausgesprochen.

Fehlende Berechtigung zur Verwertung aufgrund nicht eingehaltener Frist

Überdies hat die Beklagte die vertraglich vereinbarte und gesetzlich geregelte Frist zwischen Verkaufsandrohung und Verwertung nicht eingehalten.

Sie verletzte ihre Pflichten aus Ziffer 4.b) der Vereinbarung über die Verpfändung von Guthaben und Wertpapierdepots und aus § 1234 Abs. 2 Satz 1 BGB.

Unwirksamkeit der Verwertungsklausel wegen Verstoß gegen BGB und DepotG

Hinzu kommt, dass Ziff. 12 Abs. 2 Satz 1 unwirksam ist. Hiernach ist die Beklagte berechtigt, zur Wiederherstellung der vereinbarten Deckungsrelation Depotwerte zu veräußern. Diese Klausel regelt zum einen, dass die Beklagte über das Eigentum des Klägers verfügen kann, sie statuiert zum anderen ein Recht der Beklagten, den Kreditrahmen herabzusetzen, und sie berechtigt die Beklagte, den aus der Veräußerung der Aktien erzielten Erlös zu vereinnahmen. Sämtliche drei Regelungen verstoßen gegen rechtliche Bestimmungen. Ziff. 12 Abs. 2 Satz 1 ist aus jedem der nachfolgend genannten Gründe unwirksam ((1) bis (3)), weil sich die Klausel nicht in ihre jeweiligen Regelungsinhalte aufteilen lässt.

(1)
Ziff. 12 Abs. 2 Satz 1 ist formnichtig (§ 125 Satz 1 BGB). Wie bereits erwähnt, räumt die Klausel der Beklagten unter anderem das Recht ein, über die Miteigentumsanteile des Klägers zu verfügen.

Nach § 13 Abs. 1 DepotG muss eine Erklärung, durch die der Verwahrer, hier also die Beklagte ermächtigt wird, sich die anvertrauten Wertpapiere anzueignen (…), für das einzelne Verwahrungsgeschäft ausdrücklich und schriftlich abgegeben werden.

(2)
Das mit Ziff. 12 Abs. 2 Satz 1 einhergehende Recht, den Kreditrahmen herabzusetzen, ist nach § 499 Abs. 1, § 512 BGB und nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.

(3)
Auch das mit Ziff. 12 Abs. 2 Satz 1 einhergehende Recht der Beklagten, den aus der Veräußerung der Aktien erzielten Erlös zu vereinnahmen, ist wegen eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da gegen die Voraussetzung des § 387 BGB verstoßen wird, wonach die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung wirksam und fällig sei muss, was hier nicht der Fall war.

Ein Mitverschulden des Klägers liege nicht vor, so dass die Beklagte zu ungekürztem Schadenersatz und Übernahme der Rechtsanwaltskosten verpflichtet wurde.

Folgen für die Praxis

Dass man bei der Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen tunlichst nicht von gesetzlichen Vorgaben abweichen sollte, dürfte eine Binsenweisheit sein.

Hier hatte die Bank erst kein Glück, weil sie bei der Gestaltung der eigenen AGB von gesetzlichen Vorgaben abgewichen ist und dann kam noch Pech hinzu, weil die eigenen (an der Stelle unwirksamen) AGB nicht einmal eingehalten wurden.

Die Entscheidung des OLG Schleswig ist daher folgerichtig. Während in den Medien schon davon gesprochen wird, dass dieses Urteil das Brokerage und insbesondere den Wertpapierkredite deutlich erschweren wird:

https://finanz-szene.de/digital-banking/margin-call-schlappe-der-comdirect-dieses-urteil-erschwert-das-brokerage/,

ist aus rechtlicher Sicht zu sagen, dass entsprechende Klauseln durchaus an den Vorgaben des Gesetzes orientiert erstellt werden können, wenn auch insbesondere durch § 13 DepotG („für das einzelne Verwahrungsgeschäft ausdrücklich und schriftlich“) der Aufwand erhöht wird und § 1234 BGB (einzuhaltende Frist von einem Monat) den Handlungsspielraum in zeitlicher Hinsicht beschränkt.

Letztlich ist allen Instituten zu raten, die eigenen AGB einer Überprüfung daraufhin zu unterziehen, ob nicht gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen wird. Und (weil sich die Entwicklung der Rechtsprechung naturgemäß nicht vorhersehen lässt) fast noch wichtiger ist, dass die in den eigenen AGB vorgesehene Mechanismen und Zeitabläufe dann auch eingehalten werden.