Wenn die objektivste Behörde der Welt voreingenommen ist

Staatshaftungsansprüche wegen persönlichkeitsrechtsverletzender Äußerungen der Staatsanwaltschaft auf einer Pressekonferenz.

Bereits Ende Januar berichtete die Legal Tribune Online (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/kg-berlin-losta-staatsanwaltschaft-presse-aeusserungen-unzulaessig-vorverurteilung-bordell-betreiber-schadensersatz/) darüber, dass das Kammergericht in einer nun veröffentlichten Entscheidung (Urteil vom 20.12.2022, Az. 9 U 21/21) das Land Berlin verurteilt hat, den beiden Geschäftsführern der Betreibergesellschaft des Bordells „Artemis“ in Berlin jeweils 50.000,00 € Geldentschädigung zu bezahlen.

Die schadensverursachenden Äußerungen des leitenden Oberstaatsanwalts fielen auf einer Pressekonferenz am 14.04.2016, in der die Berliner Staatsanwaltschaft anwesende Medienvertreter über eine groß angelegte Razzia mit Hunderten Polizisten und Zollfahndern im Berliner Bordell „Artemis“ informierte.

Das Landgericht Berlin als Vorinstanz hatte die Klageansprüche abgewiesen. In der Berufungsinstanz sprach das Kammergericht die Geldentschädigungsansprüche zwar nicht in Höhe der beantragten je 100.000,00 € zu, sondern verurteilte das beklagte Land zur Zahlung von je 50.000,00 € wegen einer begangenen Amtspflichtverletzung nach § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art.  34 Satz 1 GG.

Dass auch die Staatsanwaltschaft für persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen haftbar gemacht werden kann, ist zwar nicht neu, aber doch eher selten (vgl. etwa BGH, Urt. v. 17.3.1994 – III ZR 15/93; OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2014 – I-11 U 129/13; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.4.2005 – I-15 U 98/03). Besonders macht die Entscheidung des Kammergerichts jedoch die rekordverdächtige Höhe der zugesprochenen Geldentschädigung für einen immateriellen Schaden und die diesbezüglich ausführliche Begründung des Urteils.

Als besonders schwerwiegend wurde die Rechtsverletzung gleich aus mehreren Gründen eingestuft. Ausgangspunkt ist nach Auffassung des Kammergerichts der schuldhafte und öffentlich geäußerte Vorwurf gegenüber den Klägern zu 1. und 2, ohne hinreichende tatsächliche Ermittlungsgrundlage Straftaten aus dem Bereich der Schwerstkriminalität begangen zu haben. Durch die unzutreffende Zuweisung in die Ebene der organisierten Kriminalität sei ein zusätzliches schwerwiegendes gesellschaftliches Unwerturteil erfolgt. Die Äußerungen der Staatsanwaltschaft auf der Pressekonferenz hätten danach den fundamentalen und durch die Verfassung und übervefassungsrechtlich geschützten rechtsstaatlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung verletzt. Bei der Intensität der Rechtsverletzung sei außerdem zu berücksichtigen, dass die Verletzung nicht durch privatrechtliche Träger, sondern durch den Staat selbst erfolgt sei. Schmerzensgelderhöhend habe sich auch ausgewirkt, dass die Äußerungen der Staatsanwaltschaft als von einer besonders zuverlässigen Quelle stammend in dem Sinne gelten, dass die ihre Meldung übernehmenden Medien ausnahmsweise einer eigenen umfassenden Nachrecherche entbunden seien.

Weiterhin habe erschwerend gewirkt, dass den Klägern auch im laufenden zivilprozessualen Entschädigungsverfahren mit eigener Medienöffentlichkeit wiederholt Ehre und guter Ruf abgesprochen worden sein und keinerlei Distanzierung erfolgte. Dabei wäre, so das Kammergericht in der Begründung weiter, im vorliegenden Fall ausnahmsweise sogar die Staatsanwaltschaft zu einer späteren Mitteilung über die Unrichtigkeit des geäußerten Verdachts verpflichtet gewesen, weil das Kammergericht im Strafverfahren gegen die Kläger in Ermangelung eines dringenden Tatverdachtes hinsichtlich einer objektiven Tatbestandsverwirklichung die Haftbefehle aufgehoben und das Landgericht die Eröffnung der Hauptverhandlung gegen die Kläger des Schmerzensgeldprozesses abgelehnt hatte.

Bemerkenswert ist, dass das Kammergericht die Ansprüche nicht deshalb ausgeschlossen hat, weil die Namen der Kläger in der Pressekonferenz überhaupt nicht genannt worden waren. Die Kläger selbst waren also unmittelbar nicht zu identifizieren. Das Kammergericht ging aber davon aus, dass aufgrund der Schilderungen der Umstände, insbesondere des über die Grenzen von Berlin hinaus bekannten Bordells leicht zu ermitteln gewesen sei, von wem dieses betrieben wurde. Auch bei der Bemessung der Höhe der Geldentschädigung wurde dieser Umstand allenfalls am Rande als entlastend gewürdigt. Den Einwand der Berliner Staatsanwaltschaft, dass „vorbestrafte Bordellbesitzer mit Beziehungen in das Rockermilieu“ überhaupt gar keinen Reputationsverlust erleiden könnten, wies das Kammergericht ebenfalls zurück. Es zeuge von einem unzureichenden und verfassungswidrigen Rechtsverständnis, vorbestraften Menschen oder Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit dem Betrieb bordellartiger Betriebe verdienen, einen guten Ruf oder eine Ehre generell abzusprechen.