Schadensersatz für den Erhalt von Spam-Mails? Ein neues Geschäftsmodell?

Das Amtsgericht Pfaffenhofen hat mit einer Entscheidung vom 09.09.2021 (Az. 2 C 133 /21) einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von EUR 300,00 wegen der Zusendung einer unerwünschten E-Mail-Werbung zuerkannt. Den Anspruch begründete das Gericht wegen mehrfacher Verstöße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen und einem „unguten Gefühl“ des Werbeadressaten.

Sachverhalt

Am 25.01.2021 erhielt der Kläger von der Beklagten eine Werbe-E-Mail, unstreitig ohne dass der Kläger zuvor eine Anfrage an die Beklagte gerichtet hatte. Die E-Mail war überschrieben mit „Ihre Anfrage zu Kinder FFP 2 NR Masken“ und bewarb ein „Vorteilspaket FFP 2 Masken für Kinder und Erwachsene“.
Der Kläger bat daraufhin mit Antwort-E-Mail die Beklagte um Mitteilung, wann sie seine Adresse gespeichert habe und woher sie diese erhalten habe, sowie um Übersendung einer Unterlassungserklärung verbunden mit einem Vertragsstrafeversprechen.

Die Beklagte gab die vom Kläger erbetene Unterlassungsverpflichtung ab.

Der Kläger machte nach schleppender Auskunftserteilung durch die Klägerin geltend, dass es einer gerichtlichen Klärung bedürfte, da der Kläger ein besonderes Interesse habe, dass die anwaltlich genutzte Adresse nicht missbräuchlich angesprochen werde, da diese unter anderem für den Kontakt mit besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) verwendet werde und alle eingehenden E-Mails mit besonderer Sorgfalt zu bearbeiten seien.

Mit seiner Klage machte der Kläger neben Auskunftsansprüchen einen Anspruch auf Schmerzensgeld geltend, welches EUR 100,00 nicht unterschreiten dürfe.
Im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch führte der Kläger aus, dass gemäß Art. 82 DS-GVO immaterieller Schadenersatz zu zahlen sei. Durch die rechtswidrige Werbung auf die Kanzlei-Adresse habe sich der Kläger nicht nur mit der Frage der Abwehr der Werbung auseinandersetzen müssen, sondern auch damit wie die Beklagte an die Adresse kam. Die Werbeansprache sei daher nicht nur lästig oder ärgerlich gewesen, sondern habe den Kläger beschäftigt und belastet. Auch die Nichterteilung der Auskünfte sei ein Verstoß gegen den Datenschutz, insbesondere Artikel 15 DS-GVO. Dies sei ausreichend für die Festsetzung eines Schmerzensgeldes.

Entscheidung

Das Amtsgericht hat entschieden, dass dem Kläger gem. Art. 82 DS-GVO ein Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens zustehe, den das Gericht auf EUR 300,00 bezifferte.
Die Beklagte habe gegen Bestimmungen der DS-GVO verstoßen. Die Verstöße hätten nach dem unwidersprochen gebliebenen und damit zugestandenen Vorbringen des Klägers kausal zu einem immateriellen Schaden geführt.

Die Beklagte habe zum einen die E-Mail-Adresse des Klägers ohne Rechtfertigung verarbeitet, zum anderen dem Kläger verspätet bzw. zunächst nicht vollständig Auskunft erteilt. Jedenfalls hinsichtlich der Herkunft der Daten habe die Beklagte auf entsprechende Aufforderung des Klägers außergerichtlich keine Auskunft erteilt.
Im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch schickte das Amtsgericht voraus, dass es dahinstehen können, ob eine Haftung gem. Art. 82 DS-GVO von vornherein als verschuldensunabhängig zu sehen ist oder von einer Verschuldensvermutung oder Beweislastumkehr auszugehen sei. Es sei jedenfalls schon nichts vorgetragen oder ersichtlich, was gegen ein Verschulden der Beklagten spräche.

Die gerügten Datenschutz-Verstöße hätten unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens zu einem immateriellen Schaden des Klägers geführt. Entgegen der Ansicht des Klägers liege ein solcher allerdings nicht in dem Verstoß allein, sondern der Verstoß müsse – dies auch kausal – zu einem Schaden geführt haben. Gegenteiliges sei auch einer Entscheidung des BVerfG nicht zu entnehmen, welches letztlich beanstandet habe, dass die Vorinstanz auf eine „Erheblichkeit“ abgestellt hatte, jedoch nicht vorgegeben habe, dass ein kausaler Schaden als solcher gar nicht mehr vorliegen bzw. festgestellt werden müsste.

Auf eine „Erheblichkeitsschwelle“ komme es nicht an, da eine solche in der DS-GVO nicht erkennbar werde und für einen weiten Schadensbegriff auch die Zielsetzung der DS-GVO spreche. Verstöße müssten wirksam sanktioniert werden, damit die DS-GVO wirken könne. Die Schwere des immateriellen Schadens sei daher zutreffend für die Begründung der Haftung nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO irrelevant und wirke sich nur noch bei der Höhe des Anspruchs aus.

Der Schaden könne auch bereits etwa in dem unguten Gefühl liegen, dass personenbezogene Daten Unbefugten bekannt geworden sind, insbesondere wenn nicht ausgeschlossen sei, dass die Daten unbefugt weiterverwendet werden, auch bereits in der Ungewissheit, ob personenbezogene Daten an Unbefugte gelangt sind. Unbefugte Datenverarbeitungen könnten zu einem Gefühl des Beobachtetwerdens und der Hilfslosigkeit führen, was die betroffenen Personen letztlich zu einem reinen Objekt der Datenverarbeitung degradiere. Den Kontrollverlust nenne Erwägungsgrund 75 der DS-GVO ausdrücklich als „insbesondere“ zu erwartenden Schaden. Des Weiteren kämen etwa Ängste, Stress, Komfort- und Zeiteinbußen in Betracht.

Die Höhe des Anspruchs sei dabei nicht willkürlich, sondern auf der Grundlage der inhaltlichen Schwere und Dauer der Rechtsverletzung zu beurteilen, unter Berücksichtigung des Kontexts, der Umstände eines Verstoßes. Genugtuungs- und Vorbeugungsfunktion könnten bei der Bezifferung eine Rolle spielen. Einerseits dürfe die Höhe des Schadensersatzes keine Strafwirkung entfalten. Andererseits reiche ein künstlich niedrig bezifferter Betrag mit symbolischer Wirkung nicht aus, um die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen.

Das Gericht berücksichtigte, dass der Kläger (der selbst zunächst von der Beklagten 300,00 € gefordert hatte, im Rahmen der prozessualen Geltendmachung dann einen Bereich von nicht unter 100,00 € für angemessen hielt) nicht nur von einem, sondern von mehreren Verstößen der Beklagten gegen Vorschriften der DS-GVO betroffen war.

Andererseits seien die Auswirkungen für den Kläger im „eigenen Bereich“ des Klägers geblieben. Es sei kein Bereich tangiert worden, der Beziehungen des Klägers zu anderen Dritten betraf und etwa die Gefahr einer Schädigung seines Ansehens, seiner Kreditwürdigkeit o.ä. geboten habe. Die erkennbaren Auswirkungen hätten vielmehr darin gelegen, dass der Kläger sich mit der Abwehr der von ihm unerwünschten Werbung und der Herkunft der Daten auseinandersetzen musste. Gerade letzteres – zumal unter Berücksichtigung der Dauer des Verstoßes und der zunächst nicht ansatzweise zielführend erfolgten Auskunftserteilung – sei geeignet, zu einem durchaus belastenden Eindruck des Kontrollverlusts zu führen, zumal dies auch die Auseinandersetzung mit dem Verstoß und auch die Abwehr ggf. drohender anderweitiger Verstöße erschwere.

Vor diesem Hintergrund sei insbesondere die bestenfalls als zögerlich zu bezeichnende Information durch die Beklagte (die insoweit auch im Prozess recht vage blieb, wenn auch der Kläger dies nicht mehr weiter verfolgte) im Interesse einer effektiven Abschreckung als schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen.

Anmerkung

Die Entscheidung des AG Pfaffenhoffen ist zwar vergleichsweise ausführlich begründet, erscheint aber gerade in Bezug auf die wesentliche Frage nach einem infolge Datenschutzverletzung eingetretenen Schadens recht dünn und ausgesprochen großzügig. Das mag allerdings dem Umstand geschuldet sein, dass die Beklagte offenbar gerade in Bezug auf einen vermeintlich kausalen Schaden nicht zielführend vorgetragen zu haben sein.

Ob gleichwohl ein diffuses „ungutes Gefühl“ des Empfängers unerwünschter E-Mail-Werbung tatsächlich ausreichen sollte, um einen immateriellen Schadensersatzanspruch geltend machen zu können, erscheint jedenfalls fraglich. Gerade für den Fall, dass – wie wohl im vorliegenden Fall – öffentlich verfügbare E-Mail-Kontaktdaten betroffen sind, handelt es sich nicht um sensible Informationen, deren Verbreitung dem Empfänger tatsächlich ein „ungutes Gefühl“ vermitteln sollte. Dass unerwünschte E-Mail-Werbung nervt, steht außer Frage. Auch dass Schmerzensgeldansprüche für den Fall des Erhalts von Spam-Mails sicherlich ein taugliches Mittel zur Begrenzung unerwünschter Werbung wären, liegt auf der Hand. Der Fokus beim Schadensersatzanspruch dürfte aber nicht primär von Abschreckungsgesichtspunkten geprägt werden. Im Zentrum dürfte vielmehr die Frage der tatsächlichen Auswirkungen beim Betroffenen zu stehen haben, wobei ein „ungutes Gefühl“ die Anforderungen an einen ersatzpflichtigen immateriellen Schaden im vorliegenden Fall kaum erreichen dürfte.

Mit Blick auf laufende Vorlageverfahren vor dem EuGH wird dieser hoffentlich in näherer Zukunft die Reichweite und auch die Grenzen eines immateriellen Schadensersatzanspruchs im Kontext von Datenschutzverletzungen konkretisieren. Dabei bleibt zu hoffen, dass der EuGH hier klare und angemessene Leitlinien entwickeln und den Rechtsanwender nicht – um die Worte des Amtsgerichts aufzugreifen – mit einem „unguten Gefühl“ zurücklassen wird.

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Dr. Sascha Vander, LL.M.

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