LG Köln – YouTube-Beschwerdeverfahren bei Urheberrechtsverletzung kompensiert Notwendigkeit einer formalen Abmahnung nicht

Das LG Köln hat mit Urteil vom 22.07.2024 (Az. 14 O 192/24) entschieden, dass die Einreichung einer Beschwerde wegen Urheberrechtsverletzung eines Rechtsinhabers bei YouTube (sog. „Strike“) und die Reaktion darauf durch den für den Inhalt verantwortlichen YouTube-Nutzer (sog. „Counter Notification“) eine Abmahnung gem. § 97a Abs. 1 UrhG grundsätzlich nicht entbehrlich macht und dieser grundsätzlich nicht gleichstehe.

Sachverhalt

Die Parteien stritten im Rahmen eines Verfügungsverfahrens über die öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Inhalte auf YouTube. Nachdem die Beklagte den Verfügungsantrag unter Verwahrung gegen die Kostenlast anerkannt hatte, stritten die Parteien nur noch über die Tragung der Kosten des Rechtsstreits.

Die Verfügungsklägerin vertrat die Ansicht, sie habe den Verfügungsbeklagten angesichts eines sog. „Strikes“ nicht abmahnen müssen. Unter einem „Strike“ versteht man die bei YouTube vorgesehen Möglichkeit zur Einreichung einer Beschwerde wegen Urheberrechtsverletzung durch einen Rechtsinhaber. Dem Verfügungsbeklagten sei aus der ihm zugeleiteten Meldung der Urheberrechtsverletzung durch die Verfügungsklägerin ganz genau bekannt und bewusst gewesen, welcher Vorwurf ihm konkret gemacht wird und welches Verhalten er konkret zu unterlassen habe. Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass der Verfügungsbeklagte durch seine Gegendarstellung seine Verweigerungshaltung deutlich gemacht habe. Diese Gegendarstellung erblickte die Verfügungsklägerin in einer sog. „Counter Notification“, einer ebenfalls auf YouTube vorgesehen Mitteilung eines Betroffenen, der sich mit einem „Strike“ konfrontiert sieht. In dieser Konstellation habe die Verfügungsklägerin auf eine Abmahnung verzichten können und dürfen, da diese eine reine „Förmelei“ dargestellt hätte.

Der Verfügungsbeklagte vertrat die Ansicht, dass die Verfügungsklägerin es entgegen § 97a UrhG unterlassen habe, den Antragsgegner abzumahnen. Eine Abmahnung sei nicht entbehrlich, weil die Verfügungsklägerin einen „Strike“ auf YouTube gesetzt und der Verfügungsbeklagte darauf mit einer „Counter Notification“ reagierte habe. Denn der „Strike“ habe nicht den Voraussetzungen des Art. 16 Digital Services Act entsprochen.

Entscheidung

Das LG Köln vertrat die Ansicht, dass ein „Strike“ grundsätzlich nicht einer urheberrechtlichen Abmahnung im Sinne von § 97a UrhG gleichsteht und diese auch grundsätzlich nicht entbehrlich macht. Zwar möge dies in gegebenen Einzelfällen möglich sein, jedoch sei der hiesige Einzelfall jedenfalls nicht geeignet, durch den „Strike“ die urheberrechtliche Abmahnung obsolet zu machen. Auch die „Counter Notification“ des Verfügungsbeklagten führe nicht zur Annahme, dass der Verfügungsbeklagte hinreichend Veranlassung zur Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gegen ihn gegeben hat.

Zunächst ging die Kammer davon aus, dass eine Abmahnung vor der Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens wegen Urheberrechtsverletzungen grundsätzlich notwendig ist, um die Kostenfolge des § 93 ZPO abzuwenden.

Das System von „Strikes“ und „Counter Notifications“, das den gesetzlichen Anforderungen etwa von § 14 UrhDaG bzw. §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 UrhDaG oder Art. 16 DSA entspreche, habe einen gänzlich anderen Sinn und Zweck als das grundsätzliche Abmahnerfordernis. Deshalb sei die Beschwerdemöglichkeit von Rechteinhabern nach Ansicht der Kammer grundsätzlich nicht gleichwertig oder sogar vorrangig zu einer Abmahnung. Denn die oben genannten Normen betreffen Anforderungen an Plattformen, mit denen sie etwa im Fall des UrhDaG eine eigene urheberrechtliche Haftung für die auf ihren Diensten sich ereignenden Urheberrechtsverletzungen abwenden können. Das System diene sicherlich auch der Unterbindung von Rechtsverletzungen im Interesse der Rechtsinhaber. Jedoch seien die Plattformbetreiber kein Ersatz- oder Spezialgericht für Rechtsverletzungen im Internet.

Das Beschwerdeverfahren von Online-Plattformen stehe auch deshalb nicht der Abmahnung gleich, weil die „Strikes“ nicht darauf gerichtet seien, dass die Plattformnutzer (hier der Verfügungsbeklagte) eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben. Damit werde der Plattformnutzer und vermeintliche Urheberrechtsverletzer aber auch nicht in eine Situation versetzt, in der er ohne weitere rechtliche Hilfe die rechtlich gebotene Handlung zur Abwendung eines gerichtlichen Verfahrens vornehmen kann.

Im konkreten Fall sei sodann zu beachten, dass die Verfügungsklägerin nicht den konkreten Wortlaut des „Strikes“ vorgelegt habe, sondern nur das grundsätzliche Vorgehen der Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht habe. Vor diesem Hintergrund möge zwar der Streitgegenstand hinreichend konkretisiert sein, die oben dargestellte notwendige Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ließen sich hieraus aber nicht entnehmen. Demnach komme der „Counter Notification“ auch keine gleiche Wirkung zu wie der ausdrücklichen Zurückweisung von Unterlassungsansprüchen nach einer Abmahnung. Eine Abmahnung, insbesondere auch durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin, eröffne eine weitere Eskalationsstufe, auf die der Abgemahnte ggf. anders reagiert als auf die bloße Beschwerde über eine Plattform. Letztere steht eher dem Austausch von divergierenden Rechtsansichten gleich, die noch keine Veranlassung zur Klageerhebung gibt.

Anmerkung

Soweit ersichtlich ist die Rechtsfrage, ob ein „Strike“ auf YouTube einer Abmahnung gleichsteht oder diese entbehrlich macht, noch nicht entschieden worden. Insoweit betrat das LG Köln mit seinen Überlegungen Neuland in einem in der Praxis höchst relevanten Bereich.

Im Ergebnis erweist sich die Begründung des LG Köln, wonach ein sog. „Strike“ eine formale Abmahnung nicht entbehrlich macht, als interessengerecht und belastbar begründet. Insbesondere der Hinweis des LG Köln auf die grundverschiedene Ausrichtung von „Strike“ und Abmahnung überzeugt. Das auf YouTube eröffnete Verfahren dient im Kern der Ermöglichung eines vorgeschalteten Konfliktverfahrens. Wenn – so im Regelfall – im Kontext eines „Strikes“ keine den Anforderungen an eine Abmahnung erforderlichen Inhalte kommuniziert werden, insbesondere also die Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung, bleibt dem Rechtsinhaber nichts Anderes übrig, als im Nachgang zu einem nicht erfolgreichen „Strike“ ins formale Verfahren zu wechseln und auf dem Abmahnweg vorzugehen. Unterlässt er eine formale Abmahnung droht jedenfalls ein sofortiges Anerkenntnis mit der Folge der Kostenlast des Anspruchstellers.

Auch wenn das LG Köln mit seinen „grundsätzlichen“ Ausführungen Spielraum für eine abweichende Entscheidung im Einzelfall zulässt, dürften Rechteinhaber gut beraten sein, die möglichen Grenzen ggf. hinreichender „Strikes“ nicht auszutesten und sich nicht auf eine Abmahnwirkung eines „Strikes“ zu verlassen. Insbesondere im Kosteninteresse dürfte es angezeigt sein, eine formale Abmahnung im Vorgriff auf ein etwaiges gerichtliches Verfahren auszusprechen.

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Dr. Sascha Vander, LL.M.

Dr. Sascha Vander, LL.M.

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