LG Hamburg: Presserechtlicher Gegendarstellungsanspruch im Falle der falschen Beschreibung des Aussehens des Betroffenen

Das Landgericht Hamburg hat in einem aktuellen Urteil (vom 06.05.2022, Az. 324 O 485/21) entschieden, dass ein presserechtlicher Gegendarstellungsanspruch auch bestehen könne, wenn unzutreffend über das Aussehen des Bartes des Betroffenen oder darüber, wie weit geöffnet er sein Hemd für gewöhnlich trage, berichtet wird.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über den Bestand einer einstweiligen Verfügung. Der Antragsteller ist Medienrechtsanwalt. Die Antragsgegnerin ist Herausgeberin einer Wirtschaftszeitschrift.

In einer Ausgabe veröffentlichte die Antragsgegnerin einen Bericht, der sich mit der Tätigkeit von Medienrechtsanwälten befasst. In dem Artikel hieß es über den Antragsteller u. a.:

„Beim Anspruch […] liegt der Anwalt mit der schwarz gefassten Brille, den gegelten Haaren, dem kurz getrimmten Walter-Ulbricht-Bart und den gelegentlich erst ab dem vierten Knopf geschlossenen Hemden mittlerweile weit vorn.“

[Hervorhebungen diesseits]

Der Antragsteller forderte die Antragsgegnerin zur Unterlassung der Verbreitung der Äußerung, dass er einen „Walter-Ulbricht-Bart“ trage und „seine Hemden gelegentlich erst ab dem vierten Knopf schließe“, sowie zur Abgabe einer entsprechenden Unterlassungserklärung auf. Die Antragsgegnerin wies dies zurück. Daraufhin verlangte der Antragsteller von der Antragsgegnerin den Abdruck einer Gegendarstellung, was die Antragsgegnerin auch ablehnte. Auf Antrag des Antragstellers erließ das Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung, worin der Antragsgegnerin gemäß § 11 des Hamburgischen Pressegesetzes auferlegt wurde, eine Gegendarstellung des Antragstellers abzudrucken. Die Antragsgegnerin veröffentlichte daraufhin in einer Folgeausgabe die folgende Gegendarstellung des Antragstellers:

„GEGENDARSTELLUNG:

[Inhalt der angegriffenen Berichterstattung]

Hierzu stelle ich fest:

Ich trage einen Vollbart. Zudem ist mein Hemd immer nur bis zum zweiten Knopf geöffnet

Die Antragsgegnerin legte gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch ein. Sie ist der Ansicht, dass es eine Meinungsäußerung darstelle, dass der Antragsteller einen Walter-Ulbricht-Bart trage. Selbiges gelte dafür, dass er seine Hemden gelegentlich erst ab dem vierten Knopf schließe. Die Gegendarstellung sei zudem irreführend, da der Antragsteller über mehrere Jahre unstreitig einen Walter-Ulbricht-Bart getragen habe. Das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers sei zudem nicht nennenswert beeinträchtigt.

Die Entscheidung

Das Gericht bestätigte die einstweilige Verfügung. Dem Antragsteller stehe der Anspruch auf Gegendarstellung gemäß § 11 des Hamburgischen Pressegesetzes zu. Denn sowohl bei der Mitteilung, dass der Antragsteller einen Walter-Ulbricht-Bart trage als auch bei der Aussage, dass er seine Hemden oftmals erst ab dem vierten Knopf schließe, handele es sich um Tatsachenaussagen.

Von Tatsachenbehauptungen ist dann auszugehen, wenn der Gehalt der Äußerung nach dem Verständnis des Durchschnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis offensteht. Um eine Meinungsäußerung handelt es sich dagegen dann, wenn die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens oder des Meinens geprägt ist.

Zwar könne nicht trennscharf definiert werden, was genau ein „Walter-Ulbricht-Bart“ sei. Dies sei insbesondere darin begründet, dass es grundsätzlich Schwierigkeiten bereite, das Aussehen eines Menschen treffend zu beschreiben. Bereits aus diesem Grund erscheine es dem Gericht naheliegend, bei der Beschreibung des Aussehens bestimmter Merkmale eines Menschen einen Vergleich zu dem Aussehen markanter Merkmale von berühmten Personen zu ziehen. Dies könne beispielsweise das Aussehen eines bestimmten Barts sein, das als „Kaiser-Franz-Josef-Bart“, „Salvador-Dali-Bart“, „Horst-Lichter-Bart“ oder „ZZ-Top-Bart“ beschrieben werden könne.

Die Bezeichnung eines Barts als „Walter-Ulbricht-Bart“ verstehe der durchschnittliche und verständige Verbraucher in der Weise, dass es sich um einen Bart handele, der eine Kombination aus einem Schnurr- und Kinnbart darstelle und der dem Bart ähnele, den Walter Ulbricht getragen habe. Daher handele es sich um eine nachprüfbare Tatsachenaussage.

Diese Gegendarstellung sei auch nicht irreführend. Ein Missbrauch des Gegendarstellungsrechts liege erst dann vor, wenn mit der Gegendarstellung Behauptungen aufgestellt würden, die zwar nicht unwahr seien, dem Leser aber Schlussfolgerungen aufzwingen würden, die mit der Wahrheit nicht in Einklang stünden. Dies sei vorliegend aber nicht der Fall, auch wenn der Antragsteller unstreitig über mehrere Jahre einen „Walter-Ulbricht-Bart“ getragen habe, da er nun seit über drei Jahren einen Vollbart trage. Außerdem sei die Äußerung „Ich trage einen Vollbart“ in der Gegendarstellung, die im Präsens gehalten ist, erkennbar auf den jetzigen Zeitpunkt bezogen und lasse daher offen, ob der Antragsteller zu einem früheren Zeitpunkt einen anderen Bart getragen habe.

Der Antragsteller habe auch ein berechtigtes Interesse an der Erwiderung zum Aussehen seines Bartes. Dem komme schon deswegen eine herausgehobene Bedeutung zu, weil es schlicht ungewöhnlich und dadurch bereits auffallend erscheine, dass das Aussehen des Antragstellers als Medienanwalt überhaupt thematisiert werde. Selbiges gelte auch für die Aussage, dass er sein Hemd oftmals erst ab dem vierten Knopf schließe, was ebenfalls eine Tatsachenbehauptung darstelle. Es sei auch persönlichkeitsrelevant, ob es sich im gesellschaftlich Üblichen halte, wie weit geöffnet der Antragsteller seine Hemden für gewöhnlich trage.

Praxishinweis

Da die Antragsgegnerin Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat, wird sich das OLG Hamburg (bereits anhängig, Az. 7 U 27/22) weiter mit dem Erscheinungsbild des Antragstellers beschäftigen. Die Entscheidung, die einen eher „untypischen“ Sachverhalt zum Gegenstand hat, ist zwar unterhaltsam, kann aber durchaus kritisch gesehen werden. Denn das Gericht unterstellt, dass der angesprochene Verkehrskreis unter einem „Walter-Ulbricht-Bart“ die Kombination aus einem Schnurr- und Kinnbart verstehe, weswegen die Aussage eine Tatsachenbehauptung sei. Dies kann aber durchaus bezweifelt werden – schließlich ist Walter Ulbricht vor bald 50 Jahren verstorben. Es ist daher gut vorstellbar, dass nicht wenige Leser keine konkrete Vorstellung mehr von einem Walter-Ulbricht-Bart haben. Insoweit bleibt die Entscheidung des OLG Hamburg mit Spannung abzuwarten.

 

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Prof. Dr. Markus Ruttig

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