Landgericht Düsseldorf und der Versuch einer Rettung des „fliegenden Gerichtsstands“ im UWG

Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) stand in jüngerer Vergangenheit immer wieder im Fokus gesetzgeberischer Maßnahmen. Eine der umstrittensten Änderungen bildete dabei die erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs des sog. fliegenden Gerichtsstands durch das „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ vom 02. Dezember 2020. Das Landgericht Düsseldorf unternimmt einen Rettungsversuch.

Das LG Düsseldorf (Beschl. v. 15.01.2021 – 38 O 3/21) hat sich in einem einstweiligen Verfügungsverfahren intensiv mit der Neuregelung und deren Beschränkungswirkungen beschäftigt. Der Tenor der Entscheidung lässt dabei aufhorchen: Die Düsseldorfer Richter schränken den noch „taufrischen“ Gesetzeswortlaut aus teleologischen Gründen ein und erweitern so maßgeblich den praktischen Anwendungsbereich des fliegenden Gerichtsstands. Motto: Zurück auf Los.

Hintergrund

Nach früherer Rechtslage konnten UWG-Verstöße bei jedem Gericht klageweise geltend gemacht werden, in dessen Bezirk die Zuwiderhandlung begangen wurde bzw. sich die Zuwiderhandlung auswirkte (sog. fliegender Gerichtsstand). Soweit sich unlautere Marktverhalten überall im Lande auswirkten – wie z.B. bei unzulässiger Werbung im Internet –, war de facto die örtliche Zuständigkeit aller Landgerichte in Deutschland eröffnet. Nach Ansicht des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat dies jedoch Anreiz zum Missbrauch geschaffen: Der Kläger könne sich frei für ein Gericht entscheiden, das zu seinen Gunsten entscheide oder für den Beklagten mit hohem Reise- und Kostenaufwand verbunden sei.

In seiner neuen Fassung vom 02. Dezember 2020 schafft § 14 Abs. 2 UWG den fliegenden Gerichtsstand zwar nicht (wie ursprünglich im Regierungsentwurf geplant) vollständig ab (Satz 2). Er klammert aber „Rechtsstreitigkeiten wegen Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ und „in Telemedien“ aus (Satz 3 Nr. 1) – mithin den enorm praxisrelevanten Bereich jeglichen Wettbewerbsverhaltens im Internet. Kritisiert wurde diese Neuerung, weil sich durch den fliegenden Gerichtsstand in den vergangenen Jahren bestimmte Landgerichte mit besonderer Expertise bzw. jedenfalls erheblicher Praxiserfahrung im Wettbewerbsrecht hervorgetan haben (u.a. Hamburg, Köln, Düsseldorf). Diese Kompetenz und die daraus folgende Rechtsprechungskontinuität drohen nun verloren zu gehen. Zudem fehle es schlicht an Daten, welche die vom BMJV behauptete Missbrauchsgefahr untermauern.

Entscheidung

Gegenstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens bildeten diverse irreführende Aussagen auf Internetauftritten und YouTube-Werbespots. Weil diese naturgemäß auch im Landgerichtsbezirk Düsseldorf aufgerufen werden konnten, nahm das LG seine Zuständigkeit unter Berufung auf den fliegenden Gerichtsstand gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG an.

Die Ausnahme des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG für Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr und in Telemedien sei, „entgegen seinem (insoweit missverständlichen) Wortlaut“, nicht einschlägig. Vielmehr sei die Norm einschränkend auszulegen. Vom fliegenden Gerichtsstand seien nur solche Zuwiderhandlungen auszuklammern, die „zwingend ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in den Telemedien erfordern (…) und bei Nutzung eines anderen Kommunikationskanals nicht verwirklicht werden könnten“. Umgekehrt gewendet: Der fliegende Gerichtsstand gelte weiterhin für solche Zuwiderhandlungen, die zwar im konkreten Fall durch ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr/in den Telemedien erfolgten, die aber genauso gut bei Nutzung eines anderen Kommunikationskanals (z.B. im stationären Handel) hätten erfolgen können.

Diese weitreichende Einschränkung des Wortlauts von § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG stützt das LG Düsseldorf insbesondere auf Sinn und Zweck der Norm. Dieser bestehe ausweislich der Gesetzesmaterialien darin, missbräuchliche Abmahnungen im Online-Handel wegen Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten zu verhindern; dann genüge es aber auch, § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG auf solche Fälle zu beschränken. Angesichts der verbreiteten Nutzung von Telemedien im digitalisierten Wirtschaftsverkehr käme § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG sonst kaum noch eine eigenständige Bedeutung zu. Eine andere Auslegung der Norm sei vor diesem Hintergrund „unzweckmäßig und unpraktikabel“ und führe zu „sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnissen“.

Anmerkung

Der Beschluss des LG Düsseldorf, der den neuen Gesetzeswortlaut bereits anderthalb Monate nach der Geburt der neuen Norm einer teleologischen Reduktion unterzieht, liest sich wie eine Grundsatzkritik am UWG-Gesetzgeber. Die Deutlichkeit der Kritik ist dabei recht bemerkenswert, wobei auch zu beachten ist, dass es sich das Landgericht Düsseldorf in der Sache hätte einfach machen können: Unzuständig und erledigt. Diesen Weg hat das Landgericht hingegen nicht beschritten, sondern vielmehr die Türe des fliegenden Gerichtsstandes jedenfalls ein ganzes Stück weit aufgesperrt.

Die Entscheidung des Landgerichts wird die Diskussion um die Neufassung von § 14 UWG und den fliegenden Gerichtsstand sicherlich erheblich befeuern. Gänzlich offen scheint hingegen, ob sich die vom Landgericht verfolgte Auslegung in der Rechtsprechung durchsetzen wird – aus Sicht des Praktikers wäre dies wohl eher zu begrüßen. Dabei ist zu bedenken, dass die Argumente des LG Düsseldorf wohlüberlegt und sauber hergeleitet erscheinen, gleichwohl der Spielraum methodisch noch vertretbarer Auslegung mit Blick auf den recht klaren Wortlaut der Norm zumindest ausgereizt scheint. Die Frage, ob diese Grenze überschritten wurde, wird die Gerichte sicherlich noch beschäftigen.

Bis zu einer abweichenden Entscheidung könnte der Beschluss des Landgerichts durchaus als Einladung verstanden werden: Herzlich willkommen in Düsseldorf.

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Dr. Sascha Vander, LL.M.

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