Lagerung von markenrechtsverletzender Ware im Rahmen des „Versand durch Amazon“-Programms keine Benutzungshandlung seitens Amazon i. S. d. Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV

In seinem Urteil vom 02.04.2020 hat der EuGH (Az. C-567/18) festgestellt, dass allein die Lagerung markenverletzender Waren durch Amazon für Dritte im Rahmen des Programms „Versand durch Amazon“ keine markenrechtliche Benutzungshandlung i. S. d. Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV darstellt, sofern Amazon keine Kenntnis von der Markenverletzung hat.

Sachverhalt

Dem Urteil des EuGH lag ein Vorabentscheidungsersuchen des BGH (Beschluss vom 26.07.2018, Az. I ZR 20/17) nach Art. 267 AEUV zugrunde, welches die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001 (nachfolgend: UMV) sowie der Vorgängervorschrift nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 betraf.

Parteien des dem Vorabentscheidungsersuchen zugrundeliegenden Verfahrens vor dem BGH ist die Coty Germany GmbH als Klägerin sowie die zwei Amazon-Gesellschaften Amazon Services Europe Sàrl und Amazon FC Graben GmbH als Beklagte.

Coty ist Vertreiberin von Parfums und Lizenznehmerin der Unionsmarke DAVIDOFF“, UM 876 874, die u. a. für die Waren „Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege“ in Klasse 3 eingetragen ist.

Die Amazon Services Europe Sàrl bietet Dritten auf der Webseite www.amazon.de mit dem Bereich „Amazon-Marketplace“ eine Plattform, über welche diese für Waren Verkaufsangebote einstellen können. Die über „Amazon-Marketplace“ abgeschlossenen Kaufverträge kommen dabei ausschließlich zwischen dem Drittanbieter und dem Käufer zustande. Jedoch haben die Drittanbieter die Möglichkeit, an dem Programm „Versand durch Amazon“ teilzunehmen, bei dem die Waren durch Unternehmen des Amazon-Konzerns, darunter auch Amazon FC Graben, die ein Lager betreibt, gelagert werden. Der Versand der Waren erfolgt dann wiederum über externe Dienstleister.

Ein Testkäufer der Klägerin erwarb im Mai 2014 über die Website www.amazon.de einen Flakon des Parfums „Davidoff Hot Water EdT 60 ml“, der von einem Drittanbieter angeboten und im Rahmen des Programms „Versand durch Amazon“ versandt wurde. Nachdem die Klägerin den Drittanbieter abgemahnt und dieser eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte, forderte sie die Amazon Services Europe im Juni 2014 schriftlich dazu auf, ihr alle mit der in Rede stehenden Marke versehenen Parfums, die für den Drittanbieter gelagert wurden, herauszugeben. Amazon Services Europe kam dieser Aufforderung nach und übersandte der Klägerin ein Paket mit 30 Parfumflakons. Nachdem ein anderes zum Amazon-Konzern gehörendes Unternehmen der Klägerin mitgeteilt hatte, dass 11 der übersandten 30 Flakons aus dem Lagerbestand eines anderen Drittanbieters stammten, forderte die Klägerin die Amazon Services Europe auf, Name und Anschrift dieses anderen Verkäufers zu nennen, da bei 29 der 30 Flakons keine Erschöpfung der Rechte an der Klagemarke eingetreten seien. Die Amazon Services Europe erwiderte hierauf, dass sie nicht in der Lage sei, dieser Aufforderung nachzukommen.

Die Klägerin war der Ansicht, dass das Verhalten der beiden Beklagten eine Verletzung der in Rede stehenden Klagemarke darstelle. Sie machte daher im Wege einer Klage u. a. markenrechtliche Unterlassungs- und Auskunftsansprüche insbesondere gegen die beiden Beklagten beim LG München I geltend. Nachdem die Klage in erster Instanz abgewiesen worden war, legte die Klägerin Berufung beim OLG München ein. Jedoch blieb auch diese ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren vor dem BGH weiter.

Der BGH war im Rahmen des Revisionsverfahrens der Auffassung, dass der Erfolg der Revision, nach der Amazon FC Graben als Verursacherin der Markenrechtsverletzung hafte, von der Auslegung des Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV abhängig sei.

Mit seiner Vorlagefrage wollte der BGH daher wissen, ob insbesondere Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV dahin auszulegen sei, dass eine Person, die für einen Dritten markenrechtsverletzende Waren lagert, ohne Kenntnis von der Markenrechtsverletzung zu haben, so anzusehen ist, dass sie diese Waren zum Zweck des Anbietens oder Inverkehrbringens im Sinne dieser Bestimmung besitzt, wenn sie selbst nicht diese Zwecke verfolgt.

[Anmerkung:

Art. 9 Abs. 2 UMV regelt die Rechte aus der Unionsmarke im Falle der Doppelidentität nach Buchst. a, der Verwechslungsgefahr nach Buchst. b sowie der bekannten Marke nach Buchst. c.

Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV lautet:

Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,

[…]

b) unter dem Zeichen Waren anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen; […]“.

Der im Oktober 2017 außer Kraft getretene Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 (GMV) verwies entsprechend auf seinen Absatz 1, der nunmehr Art. 9 Abs. 2 UMV entspricht, und war im Übrigen gleichlautend zu dem seitdem geltenden Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV.]

Entscheidung

Der EuGH stellt in seinem Urteil fest, dass Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV dahin auszulegen sei, dass eine Person, die für einen Dritten markenrechtsverletzende Waren lagere, ohne Kenntnis von der Markenrechtsverletzung zu haben, so anzusehen sei, dass sie diese Waren nicht zum Zweck des Anbietens oder Inverkehrbringens im Sinne dieser Bestimmung besitzt, wenn sie selbst nicht diese Zwecke verfolge.

Der Gerichtshof macht deutlich, dass Art. 9 Abs. 3 UMV eine nicht erschöpfende Aufzählung von Benutzungsformen aufweise, die der Markeninhaber nach Art. 9 Abs. 1, 2 UMV verbieten könne. Hierzu zähle gemäß Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV auch die Handlung, Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen.

Da die Beklagten vorliegend die Waren lediglich gelagert hätten, ohne diese selbst zum Verkauf angeboten, in den Verkehr gebracht oder beabsichtigt zu haben, diese Waren zum Kauf anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, sei zu prüfen, ob ein solches Lagern als eine „Benutzung“ der Marke i. S. v. Art. 9 Abs. 2 UMV und insbesondere als „Besitzen“ dieser Waren zum Zwecke des Angebots oder Inverkehrbringens i. S. v. Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV zu qualifizieren sei.

In Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung weist der EuGH darauf hin, dass „Benutzung“ ein aktives Verhalten und eine unmittelbare oder mittelbare Herrschaft über die Benutzungshandlung voraussetze. Maßgeblich sei daher eine aktive Handlung des Dritten. Zudem ziele die in Rede stehende Bestimmung darauf ab, dem Markeninhaber ein rechtliches Instrument zur Verfügung zu stellen, welches ihm ermögliche, jegliche Benutzung seiner Marke durch einen Dritten ohne seine Zustimmung zu verbieten und somit zu beenden. Allerdings sei nur ein Dritter, der unmittelbar oder mittelbar die Herrschaft über die Benutzungshandlung habe, in der Lage, die Benutzung zu beenden und sich damit an das Verbot zu halten. Ferner setze eine Markenbenutzung voraus, dass der Dritte das Zeichen im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommunikation benutze.

In diesem Zusammenhang verweist der EuGH darauf, dass er bereits hinsichtlich des Betriebs einer Online-Handelsplattform konstatiert habe, dass die Benutzung von mit einer geschützten Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichen in Verkaufsangeboten, die auf einem Online-Marktplatz angezeigt werden, durch die als Verkäufer auftretenden Kunden des Betreibers dieses Marktplatzes, nicht aber durch diesen Betreiber selbst erfolge.

Er führt zudem aus, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der Waren, die mit der Marke eines Dritten versehen seien, zum Zweck ihres Inverkehrbringens einführe oder einem Lagerinhaber aushändige, ein mit dieser Marke identisches Zeichen „benutze“. Jedoch sei dies nicht ohne Weiteres auf den Lagerinhaber zu übertragen, der ausschließlich eine Dienstleistung der Lagerung von mit der Marke eines anderen versehenen Waren erbringe.

Überdies sei dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 Buchst. b UMV zu entnehmen, dass diese Regelung gezielt das Anbieten von Waren, ihr Inverkehrbringen, ihren Besitz „zu den genannten Zwecken“ oder auch die Erbringung von Dienstleistungen unter dem betreffenden Zeichen erfasse. Demzufolge könne die Lagerung von Waren, die mit einem mit einer Marke identischen oder dieser ähnlichen Zeichen versehen seien, lediglich dann als „Benutzung“ dieses Zeichens beurteilt werden, wenn der diese Lagerung vornehmende Wirtschaftsteilnehmer selbst den mit dieser Regelung verfolgten Zweck des Anbietens von Waren oder ihres Inverkehrbringens verfolge.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die beiden beklagten Amazon-Gesellschaften das in Rede stehende Zeichen nicht selbst im Rahmen ihrer eigenen kommerziellen Kommunikation benutzt hätten, da die Beklagten die betreffenden Waren weder selbst zum Verkauf angeboten noch selbst in den Verkehr gebracht und darüber hinaus auch keine entsprechende Absicht hierfür gehegt hätten.

Abschließend weist der EuGH noch darauf hin, dass jedoch in Betracht kommen könne, dass die Beklagten das Zeichen selbst für Parfumflakons benutzten, die sie gegebenenfalls nicht für Dritte, sondern für eigene Zwecke besitzen oder die, wenn sie den Drittanbieter nicht identifizieren können, eventuell von ihnen selbst angeboten oder in den Verkehr gebracht würden. Zudem merkt er an, dass die Handlung eines Wirtschaftsteilnehmers, der einem anderen die Benutzung einer Marke eines Dritten ermögliche, auch nach anderen Rechtsvorschriften relevant sein könne, so beispielsweise nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG (Richtlinie über den elektronischen Rechtsverkehr) oder Art. 11 Satz 1 der Richtlinie 2004/48/EG (Durchsetzungs-/Enforcement-Richtlinie).

Quelle: EuGH, Urteil vom 02.04.2020, Az. C-567/18