„Fliegender Gerichtsstand“ im UWG: Düsseldorfer Kampf um die Lufthoheit geht in die nächste Runde

Erst zwei Monate ist es her, dass ein Beschluss der 8. Kammer für Handelssachen des LG Düsseldorf für Aufsehen sorgte: Die Düsseldorfer Richter bewerteten die seinerzeit noch „taufrische“ Neuregelung des sog. fliegenden Gerichtsstands im UWG als missverständlich und unzweckmäßig und versuchten, den bis dato recht weiten Anwendungsbereich dieses Gerichtsstands mittels einschränkender Gesetzesauslegung zu bewahren. Die Entscheidung forderte inhaltlich und methodisch zum Widerspruch heraus, welchen das OLG Düsseldorf nur einen Monat später in einem Obiter Dictum auch lieferte. Die Antwort des LG folgt nunmehr auf dem Fuße und lässt keinen Zweifel, dass es von seinem Standpunkt vorerst nicht abrücken wird.

Hintergrund

Durch das „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ hat das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) mit Wirkung zum 02.12.2020 eine Neufassung von § 14 UWG erfahren. § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG bestimmt, dass Wettbewerbsverstöße bei jedem Gericht klageweise geltend gemacht werden können, in dessen Bezirk die Zuwiderhandlung begangen wurde/wirkt (sog. fliegender Gerichtsstand). Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG gilt das indes nicht mehr für Zuwiderhandlungen im „elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien“, mithin für den enorm praxisrelevanten Bereich unlauteren Verhaltens im Internet. Damit wurde der Anwendungsbereich des fliegenden Gerichtsstands erheblich eingeschränkt, wofür der Gesetzgeber Kritik aus der Praxis geerntet hat: Bemängelt wurde insbesondere, dass die besondere Expertise und Praxiserfahrung bestimmter Landgerichte (z.B. Hamburg, Köln, Düsseldorf) und die daraus folgende Rechtsprechungskontinuität verloren zu gehen drohe.

Wasser auf die Mühlen eben dieser Kritiker goss dann das LG Düsseldorf mit seinem Beschluss vom 15.01.2021 (38 O – 3/21): Der Ausschlusstatbestand des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG sei, „entgegen seinem (insoweit missverständlichen) Wortlaut“ dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass nur solche Zuwiderhandlungen vom fliegenden Gerichtsstand auszuklammern sind, die zwingend ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in den Telemedien erfordern. Anders gewendet: Der fliegende Gerichtsstand gelte weiterhin für alle Zuwiderhandlungen, die zwar im konkreten Fall durch ein Handeln im Internet erfolgten, die aber genauso gut bei Nutzung eines anderen Kommunikationskanals (z.B. TV-Werbung) hätten erfolgen können. Begründet wurde dies mit Sinn und Zweck der Norm sowie dem eigentlichen Regelungswillen des Gesetzgebers: Dieser habe missbräuchliche Abmahnungen im Online-Handel wegen Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten verhindern wollen; dann müsse es aber genügen, den Ausnahmetatbestand auf solche Fälle zu beschränken. Im digitalisierte Wirtschaftsverkehr käme § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG andernfalls auch kaum eigenständige Bedeutung zu. Alles andere als eine teleologische Einschränkung sei vor diesem Hintergrund „unzweckmäßig und unpraktikabel“ und führe zu „sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnissen“.

Bemerkenswert war dann, dass sich das OLG Düsseldorf als nächsthöhere Instanz desselben Verfahrens zur Äußerung einer Gegenposition veranlasst sah, obwohl die zugrundeliegende sofortige Beschwerde als unstatthaft verworfen wurde. Im Obiter Dictum zum Beschl. v. 16.02.2021 – 20 W 11/21 führte das Gericht aus, weder der eindeutige Wortlaut von § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG noch dessen Sinn und Zweck würden die vom LG vorgenommene Einschränkung rechtfertigen. Auch systematisch zeige der Vergleich zu § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG – der eine engere Formulierung enthält –, dass eine einschränkende Auslegung fehlgehe. Schließlich verbiete sich eine teleologische Reduktion vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber mögliche Einschränkungen im Gesetzgebungsverfahren im Blick hatte, diese jedoch bewusst nicht übernommen hat.

Entscheidung

Hintergrund des neuen LG-Beschlusses (Beschl. vom 26.02.2021 – 38 O 19/21) bildete ein einstweiliges Verfügungsverfahren, in dem die Antragstellerin wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche wegen diverser irreführender Aussagen der Antragsgegnerin in YouTube-Werbespots und auf sonstigen Websites geltend macht. Weil diese Werbeaussagen naturgemäß auch im Landgerichtsbezirk Düsseldorf aufgerufen werden konnten, hat die Kammer ihre Zuständigkeit unter Berufung auf den fliegenden Gerichtsstand gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG angenommen. Die Ausnahme des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG sei – wie schon in LG Düsseldorf, Beschl. v. 15.01.2021 – 38 O 3/21 – infolge teleologischer Reduktion nicht einschlägig. Damit hält das LG Düsseldorf „nach nochmaliger Überprüfung“ ausdrücklich an seiner bisherigen Auslegung fest. Die vom OLG vorgebrachten Bedenken gegen eine teleologische Einschränkung seien nicht überzeugend.

Erstens überschreite eine teleologische Reduktion von § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG nicht die Grenzen zulässiger Gesetzesauslegung. Denn einerseits bilde der Wortlaut einer Norm nicht die Grenze, sondern den Ausgangspunkt der Gesetzesauslegung; andererseits sei bei der Auslegung eben auch zu berücksichtigen, ob eine strikt am Wortlaut haftende Gesetzesanwendung zu sachgerechten Ergebnissen führt. Hinzu komme, dass eine teleologische Einschränkung im vorliegenden Fall nicht objektiv willkürlich in dem Sinne sei, dass sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist. Dies belege schon der Zuspruch, den die Auslegung des LG aus der Literatur erfahren habe.

Zweitens könne aus der engeren Formulierung von § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG nicht zwingend gefolgert werden, dass § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG spiegelbildlich weit auszulegen sein. Dieser Denkansatz des OLG verkenne nämlich den Charakter von § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG als Ausnahmetatbestand. Vor diesem Hintergrund sei es naheliegender, von einem „Redaktionsversehen“ des Gesetzgebers auszugehen.

Drittens stellt das LG vorsorglich fest, dass es sich weder im Interesse einheitlicher Rechtsanwendung noch zum Schutz des Vertrauens des Rechtsverkehrs veranlasst sehe, von seinem kontroversen Standpunkt abzurücken. Der Auslegungsstreit stehe noch am Anfang und die Argumente der Gegenseite bislang wenig überzeugend.

Anmerkung

Dass das Düsseldorfer Landgericht angesichts des Gegenwinds vom OLG nicht einfach die Segel streichen würde, überrascht aus zwei Gründen nicht: Zum einen hat die teleologische Reduktion durchaus Zuspruch aus der Praxis und der Literatur geerntet. Zum anderen ist sich die Kammer, „auf deren Spruchpraxis sich die beteiligten Kreise vielfach einstellen“, ihrer bundesweit anerkannten Expertise im Wettbewerbsrecht durchaus bewusst.

Bemerkenswert ist indes der Duktus, mit welchem die Kammer dem OLG entgegentritt. Zwar zeige man sich offen für sich im Laufe der Diskussion ergebende „bessere Erkenntnisse“. Die bisherigen Argumente des OLG seien indes zirkelschlüssig, wohingegen die eigene Position „unter Heranziehung anerkannter Auslegungsgrundsätze“ entwickelt wurde, was „für den geneigten Leser (auch) erkennbar“ sei. Außerdem lässt es sich die Kammer nicht nehmen, noch einmal unmissverständlich auf die fehlende Bindungswirkung der Auslegung des OLG hinzuweisen: Selbst, wenn das deutsche Recht eine Präjudizienbindung vorsähe – was es nicht tut – wären die Anmerkungen des OLG für deutsche Instanzengerichte nicht bindend, da sie lediglich als Obiter Dictum geäußert wurden. Dies darf man durchaus als implizite Empfehlung an andere Instanzengerichte sehen, sich der Auffassung des Düsseldorfer Landgerichts anzuschließen. Der fliegende Gerichtsstand hat jedenfalls fürs Erste wieder Auftrieb erhalten.

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Dr. Sascha Vander, LL.M.

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