BGH zur Sperrung von Nutzerkonten und Löschung von Beiträgen auf Facebook

Der BGH hat in zwei Urteilen vom 29. Juli 2021 (III ZR 179/20 und III ZR 192/20) entschieden, dass Geschäftsbedingungen von Facebook zur Löschung von Nutzerbeiträgen und Kontensperrung bei Verstößen gegen die in den Bedingungen festgelegten Kommunikationsstandards unwirksam sind. Dies gelte jedenfalls, da sich Facebook nicht gleichzeitig dazu verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung einzuräumen.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer vorübergehenden Teilsperrung der Facebook-Benutzerkonten der Kläger und der Löschung ihrer Kommentare durch die Beklagte.

Die Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für ein von Facebook betriebenes weltweites soziales Netzwerk, dessen Anbieterin und Vertragspartnerin für Nutzer mit Sitz in Deutschland die Beklagte ist. Sie nehmen die Beklagte auf Freischaltung der von ihnen in dem Netzwerk veröffentlichten und von der Beklagten gelöschten Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Sperre ihrer Nutzerkonten und Löschung ihrer Beiträge in Anspruch.

Nach den Nutzungsbedingungen des Netzwerks in der seit dem 19. April 2018 geltenden Fassung darf nicht gegen die „Gemeinschaftsstandards“ verstoßen werden. Diese verbieten eine – dort näher definierte – „Hassrede“.

In dem Verfahren III ZR 179/20 stellte die Klägerin folgenden Beitrag ein:

„Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert’s! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen.“

In dem Verfahren III ZR 192/20 kommentierte der Kläger den Beitrag eines Dritten, der ein Video beinhaltet, in dem eine Person mit Migrationshintergrund es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu werden, wie folgt:

Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt … keine Achtung unserer Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN.

Die Beklagte löschte diese Äußerungen im August 2018, da sie gegen das Verbot der „Hassrede“ verstießen. Sie sperrte vorübergehend die Nutzerkonten, so dass die Kläger in dieser Zeit nichts posten, nichts kommentieren und auch die Messenger-Funktion nicht nutzen konnten. Mit ihren Klagen machen die Kläger geltend, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ihre Beiträge zu löschen und ihre Nutzerkonten zu sperren.

Verfahrensgang

Im Verfahren III ZR 179/20 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Im Verfahren III ZR 192/20 hat das Landgericht die Beklagte dazu verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des betroffenen Textes erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich der Beitrag auf Personen bezieht, die sich der Anweisung einer Polizistin mit dem Argument widersetzen, dass sie sich von einer Frau nichts sagen ließen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Mit den vom Oberlandesgericht – beschränkt – zugelassenen Revisionen verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Freischaltung der gelöschten Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Kontosperre und Löschung der Beiträge sowie – im Verfahren III ZR 192/20 – auf Auskunft über ein mit der Durchführung der Kontosperre beauftragtes Unternehmen weiter.

Entscheidung

Der BGH hat die Berufungsurteile teilweise aufgehoben und – im Verfahren III ZR 192/20 unter Zurückweisung der Revision im Übrigen – die Beklagte verurteilt, die von ihr gelöschten Beiträge der Kläger wieder freizuschalten. Darüber hinaus hat der BGH die Beklagte im Verfahren III ZR 179/20 verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin für das Einstellen ihres Beitrags erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen.

Die Beklagte war nach Ansicht des BGH nicht aufgrund ihrer Nutzungsbestimmungen und Gemeinschaftsstandards zur Löschung der Beiträge der Kläger und Sperrung ihrer Nutzerkonten berechtigt. Zwar seien die geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten in der Fassung vom 19. April 2018 wirksam in das Vertragsverhältnis der Parteien einbezogen worden. Die in den geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten eingeräumten Vorbehalte betreffend die Entfernung von Nutzerbeiträgen und die Sperrung von Nutzerkonten seien jedoch gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil dadurch die Nutzer des Netzwerks entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt würden.

Bei der Prüfung, ob eine Klausel unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, bedürfe es einer umfassenden Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen. Dabei seien die kollidierenden Grundrechte der Parteien – auf Seiten der Nutzer die Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, auf Seiten der Beklagten vor allem die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG – zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Diese Abwägung führe dazu, dass die Beklagte grundsätzlich berechtigt sei, den Nutzern ihres Netzwerks die Einhaltung bestimmter Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben (z.B. Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung) hinausgehen. Sie dürfe sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Beiträge zu entfernen und das betreffende Nutzerkonto zu sperren. Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechte und damit die Wahrung der Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sei es jedoch erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anzuschließen habe.

Diesen Anforderungen würden die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den Geschäftsbedingungen der Beklagten nach Ansicht nicht gerecht. Die Beklagte sei daher nicht berechtigt, die Beiträge der Kläger zu löschen und ihre Nutzerkonten zu sperren. Sie müsse die Beiträge wiederherstellen und habe eine Sperrung der Nutzerkonten und Löschung der Beiträge bei deren erneuter Einstellung zu unterlassen.

Anmerkung

Der BGH setzt mit seiner Entscheidung der Gestaltungsfreiheit der Anbieter sozialer Netzwerke Grenzen. Zwar erkennt der BGH es grundsätzlich an, dass Betreiber sozialer Netzwerk für ihre eigenen Angebote Kommunikationsstandards vorgeben und auch durchsetzen können. Ein anderes Ergebnis hätte hier wohl auch stark überrascht, da ein Plattformbetreiber zunächst grundsätzlich frei darin ist, die „Spielregeln“ für seine Plattform und die Plattform-seitig vorgesehenen Kommunikationsinhalte und Kommunikationsgepflogenheiten zu gestalten. Dabei ist auch zu beachten, dass die Betreiber Sozialer Medien entsprechende Standards und Vorgaben regelmäßig mit der Zielrichtung treffen, rechtswidrige oder anstößige Inhalte zu vermeiden, um etwaigen Beanstandungen vorzubeugen.

Die Brisanz der Entscheidung liegt dann jedoch in der konkreten Ausprägung der Vorgaben für eine Durchsetzung der Kommunikationsstandards. Während strafrechtlich relevante Kommunikationsinhalte unmittelbar entfernt werden dürfen (und wohl auch müssen), stellt sich der BGH auf den Standpunkt, dass bei nicht strafrechtlich relevanten Verstößen jedenfalls ein internes Beschwerde- bzw. Gegenäußerungsverfahren etabliert werden müsse. Der Betreiber eines sozialen Netzwerks kann einen Nutzer danach im Falle eines nicht strafrechtlich relevanten Verhaltens also nicht ohne weiteres vor die Türe setzen, sondern hat eine beabsichtige Sperrung mit Begründung anzukündigen und dem betroffenen Nutzer die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen. Entsprechendes gilt für die Löschung von Beiträgen, wobei der Betreiber eines Sozialen Netzwerks zumindest zur einer vorläufigen Entfernung berechtigt sein soll, den Nutzer aber im Nachgang zu einer Löschung zu informieren und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung hinzuweisen hat.

Einmal mehr wird Betreibern Sozialer Medien damit die Rolle einer Bewertungsinstanz zugewiesen, wobei die Betreiber diesmal nicht Drittstreitigkeiten zu bewerten, sondern sich mit eigenen Kommunikationsvorgaben zu befassen haben. Damit wird die Entfernung von Inhalten, die Kommunikationsstandards zuwiderlaufen, formal erschwert, jedenfalls aber mit weiterem Aufwand verbunden, da jede begründete Information über eine erfolgte Löschung oder beabsichtigte Sperre ebenso mit Aufwand verbunden ist wie die anschließende Befassung mit einer Gegenäußerung. Ob mit einem solchen Verfahren viel gewonnen ist, erscheint fraglich. Willkürliche Kontosperrungen und Beitragslöschungen dürften mit Blick auf den Begründungszwang sicherlich begrenzt werden. Diese Fälle sind aber kaum diejenigen, die in der Praxis eine Rolle spielen.

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs, Mitteilung Nr. 149/2021 vom 29.07.2021

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Dr. Sascha Vander, LL.M.

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