Der BGH hat die Maßstäbe eines Auskunftsanspruchs im Online-Bereich gemäß § 21 Abs. 2 TDDDG im äußerungsrechtlichen Kontext mit Beschluss vom 11.03.2025 (Az. VI ZB 79/23) konturiert und einmal mehr deutlich gemacht, dass sowohl bei der Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil als auch bei mehrdeutigen Aussagen für den Äußernden im Zweifel eine äußerungsfreundliche Auslegung zu verfolgen ist.
Sachverhalt
Die Antragstellerin, eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, begehrt eine gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit und die Verpflichtung einer Auskunftserteilung über die Daten eines Nutzers der Beteiligten nach § 21 Abs. 2 Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetz (TDDDG).
Die Beteiligte betreibt eine Arbeitgeberbewertungsplattform im Internet, auf der ein Nutzer eine die Antragstellerin betreffende Bewertung abgab. Unter anderem tätigte der Nutzer folgende, von der Antragstellerin beanstandete Äußerung: „Seine Krönung findet solches Vorgesetztenverhalten darin, dass ausgeschiedene Mitarbeiter ausstehendes Gehalt und sogar die Erteilung von Arbeitszeugnissen gerichtlich durchsetzen müssen“.
Die Antragstellerin macht geltend, mit der von ihr beanstandeten Äußerung werde die unwahre Behauptung aufgestellt, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern ihren Arbeitslohn oder ihr Arbeitszeugnis von der Antragstellerin regelmäßig nur auf dem Klageweg erhielten.
Das Landgericht hat den Antrag auf Gestattung und Verpflichtung der Beteiligten zur Erteilung der begehrten Auskunft über die Bestands- und Nutzungsdaten zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. In Bezug auf den Anspruch auf Auskunft über Bestandsdaten hat es die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Entscheidung
Der 6. Senat des BGH wies die zulässige im Ergebnis als unbegründet zurück.
Das Beschwerdegericht habe einen Anspruch der Antragstellerin auf Auskunft über die Bestandsdaten des Nutzers, der die streitgegenständliche Bewertung verfasst hat, zu Recht verneint.
Nach § 21 Abs. 2 TDDDG ist der Anbieter von digitalen Diensten gegenüber einem Verletzten zur Auskunft verpflichtet und darf im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger audiovisueller Inhalte oder aufgrund von Inhalten, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b, 185 bis 187, 189, 201a, 241 oder 269 StGB erfüllen und nicht gerechtfertigt sind, erforderlich ist.
Diese Voraussetzungen sah der BGH als nicht gegeben an.
Es fehle an einem rechtswidrigen Inhalt im Sinne des § 21 Abs. 2 TDDDG. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung setzten die Gestattung der Auskunftserteilung und die korrespondierende Auskunftsverpflichtung – sofern nicht audiovisuelle Inhalte betroffen seien – voraus, dass der beanstandete Inhalt den Tatbestand einer der in der Bestimmung genannten Strafvorschriften erfülle. Dies entspreche auch dem Verständnis des Begriffs „rechtswidriger Inhalte“ im Sinne der Vorgängerregelungen in § 14 Abs. 3 TMG und § 21 Abs. 2 TTDSG.
Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 185 bis 187 StGB, auf welche die Antragstellerin ihren Auskunftsanspruch stützt, waren nach Ansicht des BGH jedoch nicht erfüllt. Eine Verwirklichung der Tatbestände der §§ 186, 187 StGB scheide aus, da die beanstandete Äußerung nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Werturteil zu qualifizieren sei. Die Äußerung sei entscheidend durch das Element des Dafürhaltens und Meinens geprägt. Soweit sie einen tatsächlichen Gehalt aufweise, sei dieser mit dem wertenden Gehalt der Äußerung untrennbar verbunden.
Der BGH räumte in diesem Kontext ein, dass die Äußerung bei „isolierter Betrachtung“, insbesondere des in der Äußerung verwandten Plurals, dahingehend verstanden werden könne, dass die Antragstellerin der ihr obliegenden Verpflichtung zur Gehaltszahlung und Erteilung eines Arbeitszeugnisses in mehreren Fällen – jedenfalls nicht nur einmal – erst nach einer gerichtlichen Inanspruchnahme nachgekommen sei. Zweifel an einem solchen Verständnis ergäben sich aber bereits daraus, dass der beanstandete Halbsatz nicht in der Vergangenheitsform („durchsetzen mussten“), sondern im Präsens („gerichtlich durchsetzen müssen“) abgefasst sei, was aus Sicht des BGH das Verständnis nahelege, der Nutzer gebe auf der Grundlage seiner Erfahrungen insoweit eine wertende Prognose ab. Aus der Sicht des Durchschnittsrezipienten bringe sie damit in erster Linie die Missbilligung des Führungsverhaltens bei der Antragstellerin durch den Nutzer, mithin eine subjektive Wertung zum Ausdruck. Es erscheine jedenfalls keinesfalls zwingend, dass ein Durchschnittsleser ausgehend von dem allgemeinen Sprachgebrauch allein aufgrund der Verwendung des Plurals in der streitgegenständlichen Äußerung den Schluss ziehe, dass es in der Vergangenheit mehrere entsprechende Fälle gegeben habe.
Auch die Verwirklichung einer Beleidigung gemäß § 185 StGB lehnt der BGH ab. Im Rahmen der Abwägung habe das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin hinter dem Recht auf Meinungsfreiheit des bewertenden Nutzers zurückzutreten. Denn die tatsächlichen Elemente von dessen insgesamt als Meinungsäußerung zu qualifizierender Äußerung seien wahr. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts habe es in der Vergangenheit einen Fall gegeben, in dem ein ausgeschiedener Mitarbeiter ausstehendes Gehalt und die Erteilung eines Arbeitszeugnisses gerichtlich gegen die Antragstellerin durchsetzen musste.
Anmerkung
Die Entscheidung des BGH macht einmal mehr die erhebliche Relevanz der im Einzelfall oftmals schwierigen Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen deutlich. Während bei mehrdeutlichen Tatsachenbehauptungen rechtsverletzende Auslegungsmöglichkeiten – ähnlich wie im lauterkeitsrechtlichen Bereich der irreführenden Werbung – im Zweifel zulasten des Äußernden gehen, verhält sich die Situation bei mehrdeutigen Werturteilen umgekehrt. Dies gilt sowohl für die Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil einzustufen ist, als auch für die Frage mehrdeutiger Äußerungen.
Die wesentlichen Leitlinien fasst der BGH im zweiten und dritten Leitsatz fokussiert zusammen:
Leitsatz 2: Ist die beanstandete Äußerung als Werturteil zu qualifizieren, scheidet eine Verwirklichung der Tatbestände der §§ 186, 187 StGB aus. Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes davon auszugehen, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt.
Leitsatz 3: Steht die Erfüllung eines Straftatbestands in Rede, müssen bei mehrdeutigen Äußerungen andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden, bevor die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde gelegt wird. Wenn eine straflose Bedeutung nicht auszuschließen ist, ist diese der Beurteilung zugrunde zu legen.
Kurzum: Die Entscheidung ist Wasser auf die Mühlen der Meinungsfreiheit, während sie Betroffenen im Falle mehrdeutiger Werturteile im Zweifelsfall Steine statt Brot liefert.