BGH: Gegendarstellung darf vom Presseorgan nicht gegen den Willen des Betroffenen in Online-Archiv vorgehalten werden

Der VI. Zivilsenat des BGH hat in einer kürzlich bekannt gewordenen Entscheidung (Urt. v. 28.09.2021, Az. VI ZR 1228/20 = MMR 2022, 212) klargestellt, dass Betroffenen von falscher Berichterstattung ein Anspruch auf Löschung ihrer Gegendarstellung zustehen kann, wenn in der Gegendarstellung durch Bezugnahme auf den Artikel, gegen den sie sich wendet, die darin enthaltenen unwahren Vorwürfe gespiegelt und damit wieder in Erinnerung gerufen werden.

Sachverhalt

Der Kläger nahm die Beklage auf Entfernung einer von ihm selbst erwirkten Gegendarstellung aus deren Onlinearchiv in Anspruch.

Die Beklagte veröffentlichte am 15.01.2016 auf ihrem Onlineportal einen den Kläger identifizierenden Artikel, in welchem über ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren berichtet wurde.

Darin wurde behauptet, gegen den Kläger werde wegen des Verdachts der Zuhälterei ermittelt und dass er einen Großteil der Taten gestanden habe. Auf Verlangen des Klägers veröffentlichte die Beklagte sodann am 24.01.2016 eine mit dem vollen Namen des Klägers gekennzeichnete Gegendarstellung:

„Auf […].de wurde am 15.01. darüber berichtet, dass die Kripo wegen des Verdachts der Zuhälterei gegen mich ermittelt und ich den Großteil der Taten gestanden hätte. Die Behauptungen sind unwahr. Richtig ist, dass ich kein Geständnis abgab und gegen mich auch nicht wegen Zuhälterei ermittelt wird.“

Im November 2017 erging gegen den Kläger ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen.

Der Artikel war auf der Webseite der Beklagten nicht mehr verfügbar. Die Gegendarstellung konnte dagegen weiterhin über die Suchfunktion auf der Webseite der Beklagten abgerufen werden.

Die auf Unterlassung des weiteren Vorhaltens der Gegendarstellung auf der Webseite der Beklagten gerichtete Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.

Entscheidung

Dem Kläger steht ein Löschungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu.

Der Gegendarstellungsanspruch dient seiner Natur nach vorrangig dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Demjenigen, dessen Angelegenheiten in den Medien erörtert werden, werde damit ein Anspruch darauf eingeräumt, an gleicher Stelle mit derselben Publizität und von demselben Forum mit einer eigenen Darstellung zu Wort zu kommen, so der Bundesgerichtshof in seinem Revisionsurteil.

Zur Begründung seiner Entscheidung führt der Senat weiter aus: Die Gegendarstellung bleibe stets an die Erstmitteilung, den veröffentlichten Artikel, gebunden. Der Anspruch sei nach Gegenstand und Umfang durch die Erstmitteilung begrenzt. Der Betroffene könne nur den in der Erstmitteilung enthaltenen Tatsachen widersprechen und müsse dabei einen angemessenen Rahmen wahren, der regelmäßig durch den Umfang des beanstandeten Textes bestimmt werde. Die Gegendarstellung sei damit von der Erstmitteilung abhängig.

Im vorliegenden Fall seien durch die Bezugnahme auf die Erstmitteilung die darin enthaltenen unwahren Vorwürfe in der Gegendarstellung gespiegelt und damit, wenn auch in verneinter und damit für sich genommen zutreffender Form, wieder in Erinnerung gerufen worden. Damit sei reflexartig auch die negative unwahre Berichterstattung der Beklagten über den Kläger wieder in Erinnerung gerufen worden.

Dem Anspruch des Klägers stehe auch nicht entgegen, dass er die Gegendarstellung selbst formuliert und die Beklagte diese nur auf sein Verlangen auf ihrer Webseite eingestellt habe.

Denn der Kläger sei gegendarstellungsrechtlich gehalten gewesen, bei Formulierungen seiner Gegendarstellung an die Erstmitteilung anzuknüpfen, die Erstmitteilung folglich konkret zu bezeichnen und diejenigen Tatsachenbehauptungen, gegen die er sich wenden wollte, konkret und zutreffend wiederzugeben.

Er habe damit die zu beanstandenden Informationen nicht freiwillig selbst offenbart, sondern war dazu im Rahmen der Gegendarstellung gezwungen. Diese Rechtsausübung könne im Umkehrschluss und zeitlich nachgelagert im Verhältnis zur Beklagten nicht gegen ihn gewendet werden.
Diese Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers durch die Gegendarstellung im Onlinearchiv der Beklagten sei auch rechtswidrig. Die im Rahmen der Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs durchzuführende Interessenabwägung falle zugunsten des Klägers aus.
Maßgeblicher Gegenstand dieser Abwägung sei allein der Inhalt der Gegendarstellung einschließlich der redaktionellen Anmerkungen der Beklagten betreffend die beiden unwahren Tatsachenbehauptungen. Nicht zu berücksichtigen sei der nicht mehr abrufbare Artikel.

Auch wenn die Gegendarstellung lediglich wahre Tatsachen enthalte, belaste sie den Kläger durch die zwangsläufige Reaktualisierung der ursprünglichen unwahren Tatsachenbehauptungen in der Erstmitteilung der Beklagten. Zugunsten des Klägers falle insoweit auch erschwerend ins Gewicht, dass es sich bei dem Verdacht der Zuhälterei um einen schwerwiegenden Vorwurf handele.

Irrelevant sei es, dass dem Beitrag keine Breitenwirkung mehr zukomme, insbesondere, weil er bei einer Google-Suche nicht gefunden werden könne, sondern lediglich gefunden werde, wenn auf der Webseite der Beklagten gezielt nach dem Artikel gesucht werde. Es genüge, dass die Gegendarstellung überhaupt noch abrufbar sei.

Aufseiten der Beklagten sei kein schützenswertes Interesse am weiteren Vorhalten der Gegendarstellung ersichtlich.

Zwar liege die Möglichkeit, einmal veröffentlichte Berichte online vollständig zu archivieren und als Spiegel der Zeitgeschichte zu erhalten, grundsätzlich im öffentlichen Interesse und auch im Interesse der Presseverlage. Jedoch könne vorliegend kein solches Interesse angenommen werden, da die Erstmitteilung nicht mehr abrufbar sei.

Werde der Artikel, der die unzulässigen Tatsachenbehauptungen enthält, nicht mehr zum Abruf angeboten, dürfe auch die Gegendarstellung mangels Gegenstück jedenfalls über den Zeitraum des § 20 Abs. 1 Satz 4 des Medienstaatsvertrages hinaus nicht gegen den Willen des Betroffenen im Onlinearchiv des Erstschädigers zum Abruf vorgehalten werden.

Anderenfalls würde der Schutzzweck der Gegendarstellung unterlaufen und im Ergebnis das Instrument der Gegendarstellung, die ihrer Natur nach vorrangig zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen dient, in ihr Gegenteil verkehrt. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass sich die Beklagte in einer abschließenden redaktionellen Anmerkung der Gegendarstellung des Klägers angeschlossen habe und ihr Recht gegeben habe.

Praxishinweis

Durch die Entscheidung werden die Rechte von Personen, die Gegenstand falscher Berichterstattung werden, gestärkt.
Durch sein Urteil verhindert der BGH, dass das Instrument der Gegendarstellung für Betroffene zum „zweischneidigen Schwert“ wird. Betroffene liefen anderenfalls Gefahr, selbst durch ihre eigene Gegendarstellung eine dauerhafte Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts zu schaffen. Dies ist mit dem Sinn und Zweck der Gegendarstellung aber nicht vereinbar.
Betroffene können daher, jedenfalls sofern der belastende Artikel nicht mehr abrufbar ist und der Zeitraum des § 20 Abs. 1 S. 4 Medienstaatsvertrag abgelaufen ist – danach muss die Gegendarstellung, wenn der Artikel nicht mehr abrufbar ist, so lange vorgehalten werden, wie der Artikel abrufbar war -, die Löschung ihrer Gegendarstellung aus dem Onlinearchiv des Presseorgans verlangen.

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Prof. Dr. Markus Ruttig

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