Verkehrsrechtliche Anordnung von Fahrradstraßen – (K)eine politische Maßnahme

Die verkehrsrechtliche Anordnung von Fahrradstraßen erfreut sich innerhalb der kommunalen Verkehrswegegestaltung seit geraumer Zeit zunehmender Beliebtheit. Leitendes Ziel der Anordnungen ist dabei nicht selten der politisch motivierte Wille zur umweltbegünstigenden Beruhigung der Straßen unter „Verdrängung“ des Kfz-Verkehrs, besonders in Innenstädten.

Eine allein (umwelt-)politisch motivierte Planungsabsicht ist allerdings nicht in der Lage, die verkehrsrechtliche Anordnung von Fahrradstraßen nach den Vorschriften der StVO zu tragen.

„Hintergrund“ einer Fahrradstraße

Die Anordnung einer Fahrstraße erfolgt nach § 41 StVO i. V. m. Anlage 2, Zeichen 244.1, grundsätzlich nicht durch Gefahrzeichen (§ 40 StVO), sondern durch Vorschriftzeichen.

In Fahrradstraßen ist anderer Fahrzeugverkehr als Rad- sowie Elektrokleinstfahrzeugeverkehr grundsätzlich nicht zulässig, es sei denn, dies ist durch Zusatzzeichen erlaubt. Für den Radverkehr selbst gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Der Radverkehr, für den Nebeneinanderfahren zulässig ist, genießt insoweit Vorrang, als er in keinem Fall behindert oder gefährdet werden darf. 

Nach der novellierten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zur StVO kommt die Anordnung einer Fahrradstraße nur auf Straßen mit einer hohen oder zu erwartenden hohen Fahrradverkehrsdichte, einer hohen Netzbedeutung für den Radverkehr oder auf Straßen von lediglich untergeordneter Bedeutung für den Kraftfahrzeugverkehr in Betracht. Eine hohe Fahrradverkehrsdichte, eine hohe Netzbedeutung für den Radverkehr setzen insoweit nicht (mehr, Anm. des Verfassers) voraus, dass der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist.

Diese Erleichterung modifiziert die Rechtsgrundlagen der StVO jedoch nur ermessenslenkend bzw. norminterpretierend (str.), ohne deren weiterhin gefahrenabwehrrechtlich motivierte Anforderungen zu ersetzen. Ein Raum für verkehrsrechtliche Anordnungen, die sich allein darauf stützen, dass der Radverkehr nicht mehr vorherrschend sein muss, besteht mithin nicht.

Rechtliche Voraussetzungen der StVO

Stattdessen fordert § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 9 Satz 1 und 4 Nr. 2 StVO für die Anordnung von Fahrradstraßen das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Abs. 1 Satz 1), darüber hinaus die zwingende Erforderlichkeit einer entsprechenden Anordnung (Abs. 9 Satz 1).

Die materielle Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Fahrradstraße erfüllt sind, trägt die Straßenverkehrsbehörde. Diese muss daher die zugrunde liegenden Umstände vollständig ermitteln, dokumentieren und aktenkundig machen, um die gesetzlich erforderliche Gefahrenlage im Zweifel substantiiert darlegen zu können.

Eine konkrete Gefahr liegt (erst) vor, wenn die individuelle örtliche Situation erwarten lässt, dass bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schadenfall für Personen und Sachen oder die Leichtigkeit des Verkehrs eintreten wird.

Faktoren, die ein erhöhtes und konkretes verkehrliches Unfallrisiko mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Schädigung von Leib, Leben oder Eigentum begründen können, sind etwa – in Kombination – eine geringe Fahrbahnbreite mit gefährlichen und unübersichtlichen Engstellen, festgestellte hohe und überhöhte Durchschnitts- bzw. Spitzengeschwindigkeiten, eine starke Frequentierung, dazu u. U. ein gerader Streckenverlauf als Potenzierung der Geschwindigkeitsgefahr sowie ein (stellenweise) schlechter Ausbauzustand der Fahrbahn. Demgegenüber können ein gerader Streckenverlauf mit hinreichend guten Sichtachsen, die an engeren Stellen ein Warten oder Ausweichen auf Randstreifen ermöglichen, bei unauffälliger Unfallstatistik der vergangenen Jahre auch gegen das Bestehen einer konkreten Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit sprechen.

Im Falle des Bestehens einer derartigen Gefahrenlage muss die Anordnung der Fahrradstraße zwingend erforderlich sein. Diese tatbestandliche Schwelle ist erreicht, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der StVO nicht ausreichen, um die mit der Anordnung bezweckten Wirkungen zu erreichen. Konkretisierend bzw. erweiternd verlangt das VG Hannover sogar, dass sich die Anordnung der Fahrradstraße als unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme darstellt (str. und wohl überspannend).

Jedenfalls auf Ermessensebene sind auch die Folgen, die eine verkehrsrechtliche Anordnung der Fahrradstraße auf die ausgeschlossenen Verkehre hat, nicht unberücksichtigt zu lassen.

Fazit

Verkehrsrechtliche Anordnungen leiden in der Praxis oftmals an dem Defizit fehlender Ermessensausübung, jedenfalls aber am Mangel entsprechender Ermessensdokumentation.

Die Anordnung von Fahrradstraßen darf indes sowohl tatbestands- als auch rechtsfolgenbezogen nur in weiterhin recht engen Grenzen erfolgen.

Hierüber täuscht die zu beobachtende Anordnungspraxis womöglich hinweg. Gerade vor dem Hintergrund amtshaftungsrechtlicher Gesichtspunkte ist jedoch bei der Anordnung von Fahrradstraßen aufgrund der Ausschlusswirkung anderer Verkehre durchaus Vorsicht geboten.

Beispielhafte Quellen:

  • BVerwG, Urt. v. 13.12.1979, 7 C 46/78
  • BVerwG, Beschl. v. 01.09.2017, 3 B 50/16
  • OVG Münster, Beschl. v. 28.03.2018, 8 A 1247/16
  • OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 30.03.2022, 5 MB 4/22
  • VG Karlsruhe, Urt. v. 24.05.2022, 14 K 964/21
  • VG Münster, Urt. v. 11.11.2021, 8 K 3119/18
  • VG Leipzig, Urt. v. 13.10.2021,1 K 1108/20
  • VG Hannover, Urt. v. 13.08.2021, 7 A 5667/19
  • VG Berlin, Urt. v. 05.12.2018, 11 K 298.17