Ukrainekrieg und weiterhin steigende Baumaterialpreise – Bundesregierung reagiert! Anspruch auf Preisanpassung in Verträgen? Teil 2

Die stetige Zuspitzung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine und das damit verbundene täglich neu entstehende Leid für die dort lebenden Menschen oder der bereits Geflüchteten verursacht auch hierzulande ein Unbehagen und ein Mitgefühl auf ganz neuem Niveau. Kaum jemanden lassen die tagesaktuellen Bilder und Geschehnisse kalt. Neben der anhaltenden berechtigten Solidarität steigen allerdings auch stetig die Sorgen vor den Folgen des Krieges hierzulande. Preisschocks sind in nahezu allen Bereichen wiederzufinden. Gerade den ohnehin aufgeheizten Baustoffmarkt trifft es erneut mit geballter Wucht. Sanktionen gegen Russland, Rohstoffverknappung, Lieferengpässe, steigende Energiekosten und viele weitere Faktoren schlagen sich nahezu unmittelbar auf Baustoffpreise in der deutschen Baubranche durch.

Hierauf reagiert nunmehr das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen mit Erlass vom 25. März 2022 und regelt im Wesentlichen das Folgende:

Um Bundesbaumaßnahmen nicht zu gefährden, sollen neue Verträge für bestimmte Produktgruppen Preisgleitklauseln (zunächst bis zum 30. Juni 2022) vorsehen, ggf. können in Einzelfällen auch in alten Verträgen Preisanpassungen in Frage kommen. Mindestens genauso praxisrelevant sind allerdings auch die Auswirkungen des Erlasses auf die private Bauwirtschaft. Im Einzelnen:

1. Produktgruppe

Es wird empfohlen, insbesondere für die folgenden Produktgruppen Preisgleitklauseln vorzusehen:

  • Stahl und Stahllegierungen
  • Aluminium
  • Kupfer
  • Erdölprodukte (Bitumen, Kunststoffrohre, Folien und Dichtbahnen, Asphaltmischgut),
  • Epoxidharze
  • Zementprodukte
  • Holz
  • Gusseiserne Rohre

2. Stoffpreisgleitklausel

Es wird empfohlen, die Stoffpreisgleitklausel des Vergabehandbuchs für Baumaßnahmen des Bundes (VHB) Formblatt 225 bei öffentlichen Bauverträgen zu verwenden. Bereits mit Erlass (BW I 7 – 70437/9#3) vom 21. Mai 2021 hat das Bundesministerium des Innern seine Behörden auf diese Stoffpreisgleitklausel hingewiesen. Es wurde ausdrücklich betont, dass mit dieser „Stoffpreisgleitklausel ein Instrument zur Verfügung stünde, mit dem auf volatile Preissteigerungen in beispielsweise Vergaberechtsverfahren reagiert werden kann“. Aufgrund der bereits erfolgten Empfehlung dieser Stoffgleitklausel wird diese teilweise von öffentlichen Auftraggebern verwendet und ist unter Bauunternehmen nicht gänzlich unbekannt.

3. Vergabeverfahren

Ausschreibungsreife Gewerke sollen weiterhin vergeben werden, mit Preissteigerungen verbundene Unabwägbarkeiten sollen die Ausschreibung und die Realisierung von Baumaßnahmen nicht hemmen. Die Vergabeunterlagen neuer Vergabeverfahren sollen deshalb mit dem o. g. Formblatt versehen werden. Bei bereits eingeleiteten Vergabeverfahren sollen möglichst Stoffpreisgleitklauseln nachträglich einbezogen werden. Ausführungsfristen sollen an die aktuelle Situation angepasst werden, Vertragsstrafen in begründeten Ausnahmefällen vereinbart werden.

4. Anpassung in bestehenden Verträgen

4.1 Verlängerung Ausführungsfristen

Ausführungsfristen nach § 6 VOB/B verlängern sich, sofern nachweisbar die o. g. Produkte nicht beschafft werden können, es wird ein Fall höherer Gewalt bzw. ein Fall eines anders nicht abwendbaren Ereignisses nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B angenommen. Dies könnte z. B. dann der Fall sein, wenn Stahlprodukte o. Ä. kriegsbedingt nicht aus der Ukraine ausgeführt werden können und sodann alternativ beispielsweise nur mit erheblichen Verzögerungen aus anderen Ländern beschaffbar sind.

4.2 Störung der Geschäftsgrundlage

Liegt in der Preiserhöhung von bestimmten Materialen nach Vertragsschluss ein Fall der Änderung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit der Folge eines Preisanpassungsanspruchs? Ein klares „Nein“ enthält der Erlass an dieser Stelle nicht. Ob ein Festhalten an den ursprünglich vereinbarten Preisen unzumutbar sei, müsse für jeden Einzelfall gesondert beantwortet werden. Insbesondere eine Gesamtbetrachtung aller Umstände sei entscheidend und nicht der Preisanstieg einzelner Leistungspositionen. Jedenfalls gäbe es keine feste Grenze, deren Überschreiten einen Fall von § 313 BGB begründen würde. Dies wird einmal mehr dadurch untermauert, da in der Rechtsprechung eine Unzumutbarkeit im Rahmen von § 2 Abs. 7 VOB/B (Änderung im Pauschalvertrag) bei sehr unterschiedlichen Werten bezüglich Mengen- und Preissteigerungen angenommen würde. Jedenfalls eine bloße Aufzehrung des Gewinns durch gestiegene Preise sei nicht ausreichend, um eine Unzumutbarkeit zu begründen.

5. Auswirkung auf die private Bauwirtschaft

Der Erlass hat zwar keine unmittelbare Auswirkung auf private Bauverträge. Dennoch enthält er eine Reihe wichtiger Hinweise und Handlungsempfehlungen, die auch für den privatvertraglichen Umgang mit der aktuellen Situation von Bedeutung sind. Die zwei wichtigsten im Erlass thematisierten Aspekte, Verlängerung von Ausführungsfristen sowie Preisanpassungsbegehren, betreffen private Baubeteiligte nämlich gleichermaßen.

5.1 Verlängerung Ausführungsfristen

Soweit die VOB/B vereinbart wurde, können nachgewiesene Verzögerungen einen Anspruch auf Verlängerung der Bauausführungsfristen – um die Dauer der Nichtlieferbarkeit des Roh- bzw. Baustoffes – nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) VOB/B begründen. Bauverträge, in denen nicht die Regelungen der VOB/B einbezogen sind, enthalten häufig eine vergleichbare Regelung, aus der sich ein solcher Anspruch ableiten lässt. Sollte entsprechendes vertraglich nicht geregelt sein, kann sich ein Anspruch auf Verlängerung der Ausführungsfristen bei einem BGB-Werkvertrag ggf. mittelbar aus §§ 286 Abs. 4, 242 BGB ergeben.

5.2 Störung der Geschäftsgrundlage

Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrages verlangt werden, wenn

  • sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben
  • und die Parteien den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Änderung vorausgesehen hätten,
  • und wenn einem Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Die grundsätzliche Risikoverteilung, wonach der Auftragnehmer das Materialbeschaffungsrisiko und damit auch das Risiko von Preissteigerungen trägt, ist und bleibt der Ausgangspunkt. Materialverteuerungen führen deshalb nicht ohne Weiteres zu einem Anspruch auf Vertragsanpassung, schon gar nicht zu einer Weitergabe der Verteuerung 1:1 an den Auftraggeber. Zudem geht die höchstrichterliche Rechtsprechung ohnehin davon aus, dass die sich aus der Kalkulation ergebenden Einheitspreise keine Geschäftsgrundlage sind. Der Auftragnehmer legt nämlich zum einen seine Kalkulation nicht immer offen, weshalb diese schon denklogisch gar nicht Geschäftsgrundlage werden kann. Selbst wenn er es täte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kalkulationsgrundlage auch zwingend zur Geschäftsgrundlage geworden ist.

Ob unvorhersehbare Produktknappheit und folglich Preissteigerungen von wesentlichen aus der betroffenen Region kommenden Baustoffen (Stahl, Zement- oder Erdölprodukten) eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB darstellen, wird weiterhin eine Frage des Einzelfalls bleiben. Eine pauschale Antwort verbietet sich aufgrund der gesetzlichen Risikoverteilung. Eine Preissteigerung, auch wenn sie noch so exorbitant ist, dürfte diesen Grundsatz nicht aufweichen. Viel entscheidender dürfte in Kombination mit der – im Einzelfall als unzumutbar einzustufenden – Preissteigerung die generelle Unvorhersehbarkeit eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges sowie sanktionsbedingte Verteuerungen von Produkten sein. Dieser Aspekt könnte Gerichte durchaus motivieren, den Anwendungsbereich von § 313 BGB kritisch zu reflektieren und ggf. nicht verallgemeinerungsfähige Einzelfallrechtsprechungen zu generieren. Entscheidend hierfür wird deshalb eben die Argumentation der Parteien im Einzelfall sein.