Selbstreinigung im Vergabeverfahren – Aktive Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber erforderlich?

In dem Vorabentscheidungsverfahren „Vossloh Laeis“ (Rs. C-124/17) zu den Anforderungen einer erfolgreichen Selbstreinigung hat der Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona am 16.05.2018 seine Schlussanträge vorgelegt: Für die Selbstreinigung bedarf es keiner aktiven Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber, wenn bereits aktiv mit der untersuchenden Wettbewerbsbehörde zusammengearbeitet und die Umstände umfassend geklärt wurden. Anders kann es aussehen, wenn es um rechtswidrige Verhaltensweisen geht, bei denen der öffentliche Auftraggeber selbst die betreffenden Tatsachen und Umstände feststellen muss.

Die Vorlage

Zugrunde liegt dem Vorabentscheidungsverfahren eine Vorlage der VK Südbayern (Beschluss vom 07.03.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16). In dem dortigen Nachprüfungsverfahren streiten die Parteien um die Voraussetzungen einer erfolgreichen Selbstreinigung nach der rechtswidrigen Kartellbeteiligung eines Bieters. Die Vergabestelle (Stadtwerke München) bemängelt die fehlende aktive Zusammenarbeit mit ihr als Auftraggeberin zur zielgerichteten Aufklärung der Beteiligung am Kartell sowie des entstandenen Schadens.

Die Vergabekammer hat dem EuGH daraufhin die Frage vorgelegt, ob es mit europäischem Recht vereinbar ist, für eine erfolgreiche Selbstreinigung die aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und mit dem öffentlichen Auftraggeber zu verlangen. Die Richtlinie 2014/24/EU spricht in Art. 57 Abs. 6 lediglich von „Ermittlungsbehörden“.

Weiterhin möchte sie wissen, ob für den Beginn der Ausschlussfrist des § 126 GWB die Verwirklichung des Ausschlusstatbestandes durch das Unternehmen oder der Zeitpunkt einer gesicherten und belastbaren Kenntnis des Auftraggebers über das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes maßgeblich ist.

Die Schlussanträge

Der Generalanwalt unterscheidet in seinen Schlussanträgen die folgenden Szenarien:

Seiner Ansicht nach ist es nicht mit den Richtlinienvorgaben vereinbar, über die aktive Zusammenarbeit mit der Wettbewerbsbehörde hinaus eine weitere aktive Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber zu fordern, wenn eine umfassende Klärung durch die Wettbewerbsbehörde mit anschließender Ahndung erfolgt ist.

Dagegen können die Mitgliedsstaaten vorsehen, dass im Falle von rechtswidrigen Verhaltensweisen, zu denen der öffentliche Auftraggeber selbst die relevanten Tatsachen und Umstände feststellen muss, eine Pflicht zur Zusammenarbeit auch mit dem Auftraggeber besteht.

Diese Differenzierung wird zum einen damit begründet, dass dem Auftraggeber keine aktiven Ermittlungstätigkeiten, sondern nur die passive Aufgabe der Beweiswürdigung zukomme und er daher nicht als „Ermittlungsbehörde“ im Sinne der Richtlinie einzuordnen sei. Zudem sei gerade bei wettbewerbsbeschränkenden Abreden, bei denen der Auftraggeber möglicherweise zum Kreis der Kartellgeschädigten gehört, seine Neutralität zweifelhaft.

Zum anderen sei es zwar möglich, national strengere Anforderungen für den Nachweis der Selbstreinigung vorzusehen, so dass grundsätzlich auch eine Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber verlangt werden könne. Diese Zusammenarbeit dürfe aber nicht denselben Gegenstand haben wie diejenige, die gegenüber der Wettbewerbsbehörde gefordert wird. Darin läge eine unzulässige Verdoppelung der Verpflichtungen der Unternehmen. Es kann daher nur um Verhaltensweisen gehen, deren Einstufung als Ausschlussgrund der Auftraggeber selber beurteilen muss.

Zu der Ausschlussfrist äußert sich der Generalanwalt dahingehend, dass für den Fristbeginn der Zeitpunkt der juristischen Einstufung des Verhaltens als wettbewerbsbeschränkend maßgeblich sei.

Fazit

Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie der EuGH entscheiden wird.

Folgt er den Anträgen des Generalanwalts, können Unternehmen nicht pauschal zur aktiven Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber verpflichtet werden. Tatsächlich bestehen bei wettbewerbsbeschränkenden Abreden Zweifel, inwieweit ein Auftraggeber unvoreingenommen entscheiden kann, wenn er möglicherweise selbst Kartellgeschädigter ist und Schadenersatzansprüche im Raum stehen. Es erscheint daher folgerichtig, hier nur die Wettbewerbsbehörden als „Ermittlungsbehören“ einzustufen, da sie mit der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen betraut sind.

Auf der anderen Seite ist es ist konsequent, eine Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber zuzulassen, soweit es um Umstände geht, die die Wettbewerbsbehörde noch nicht geklärt hat und die der Auftraggeber für seine Prognoseentscheidung zur zukünftigen Zuverlässigkeit des Unternehmens benötigt.

Quelle: Schlussanträge des Generalanwalts vom 16.05.2018, C-124/17, Celex-Nr. 62017CC0124