Mindestsätze der HOAI 2013 zwischen Privaten verbindlich

EU Vorgaben haben keine unmittelbare Wirkung auf Privatpersonen, sondern sind eine Anweisung an die Mitgliedstaaten.

Einleitung

Die HOAI enthielt bis zu ihrer Fassung 2013 einen verbindlichen Preisrahmen aus Mindest- und Höchstsätzen. Mit Urteil vom 04.07.2019 (C-377/17 – Kommission/Deutschland) hat der Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in einem Vertragsverletzungsverfahren entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen hat, indem sie verbindlich Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieure beibehalten hat.

In der Folge entstand in der Rechtsprechung ein Meinungsstreit darüber, ob die in § 7 HOAI 2013 statuierten verbindlichen Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatleuten weiter Anwendung finden oder die Vorschriften der Dienstleistungsrichtlinie dem entgegenstehen.

Der BGH hat nun in seiner aktuellen Entscheidung vom 02.06.2022 – VII ZR 174/19 abschließend zu Gunsten der Architekten und Ingenieure entschieden. Die HOAI-Mindestsätze beanspruchen in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen trotz Unionsrechtswidrigkeit weiterhin Geltung.

Sachverhalt

Der Kläger, der ein Ingenieurbüro betreibt, wird im Jahre 2016 von der Beklagten mit Fachplanungsleistungen zu einem Pauschalhonorar von 55.025,00 € beauftragt. Nachdem der Kläger den Ingenieurvertrag im Jahre 2017 gekündigt hatte, rechnete er seine erbrachten Leistungen in einer Honorarschlussrechnung auf Grundlage der Mindestsätze gem. §§ 55, 56 HOAI ab. Mit seiner Klage hat er eine offene Restforderung in Höhe von 102.934,59 € geltend gemacht.

Landgericht und Oberlandesgericht verurteilten die Beklagte zur Zahlung von rd. 97.000,00 € gem. § 631 Abs. 1 BGB i. V. m. § 7 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5, §§ 55, 56 HOAI. In seinem Berufungsurteil führte das Oberlandesgericht u. a. aus, die im Vertrag getroffene Pauschalhonorarvereinbarung sei nach nationalem Recht wegen Verstoßes gegen den Mindestpreischarakter der HOAI als zwingendes Preisrecht unwirksam. Entgegen dem Urteil des EuGH vom 04.07.2019 sei der verbindliche Preisrahmen des § 7 Abs. 1 HOAI weiterhin im Verhältnis zwischen Privaten anwendbar.

Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Karlsruher Richter legten mit Vorlagebeschluss vom 14.05.2020 dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen mehrere Fragen zur Unionsrechtswidrigkeit des verbindlichen Preisrechts der HOAI 2013 vor. Grundlage des sodann ergangenen BGH-Urteils ist die im Vorabentscheidungsverfahren getroffene Entscheidung des EuGH vom 18.01.2022 (C-261/20 – Thelen Technopark Berlin).

Zunächst könne eine Unverbindlichkeit der Mindestsätze der HOAI und die Wirksamkeit einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung im Verhältnis zwischen Privaten nicht mit einer richtlinienkonformen Auslegung begründet werden. Dies ergebe sich nicht nur aus dem klaren Wortlaut des § 7 HOAI, sondern auch aus dem mit den Mindestsätzen seitens des Gesetzgebers verfolgten Sinn und Zweck, durch Mindestpreise Umfang und Qualität von Architekten- und Ingenieurleistungen zu gewährleisten und einen ungezügelten Preiswettbewerb zu vermeiden. Vornehmliches Ziel der Mindestpreisregelung sei die Sicherung eines hohen Qualitätsstandards. Eine richtlinienkonforme Auslegung stünde daher abschließend in klarem Widerspruch zu dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers und wäre als Auslegung contra legem des nationalen Rechts einzuordnen.

Nach dem im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Urteil des EuGH stehe weiter fest, dass der BGH im Streitfall nicht aufgrund Unionsrechts verpflichtet ist, das verbindliche Mindestsatzrecht der HOAI unangewendet zu lassen. Der Dienstleistungsrichtlinie komme eine unmittelbare Wirkung in einem Rechtsstreit zwischen Privaten nicht zu. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH könne eine Richtlinie grundsätzlich nicht selbst Verpflichtungen für einen Unionsbürger begründen, so dass sie auch nicht in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt werden könne, um die Anwendung der Regelung eines Mitgliedstaats, die gegen die Richtlinie verstößt, auszuschließen. Es bestehe kein Anwendungsvorrang der Richtlinie gegenüber den unionsrechtswidrigen Regelungen der HOAI. Auch das im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ergangene Urteil des EuGH aus dem Jahre 2019 ändere nichts an der Anwendbarkeit der maßgeblichen Bestimmungen der HOAI zum Mindestpreischarakter, da jenes Urteil nur den Mitgliedstaat binde, der nach eigenem Ermessen die geeigneten Maßnahmen ergreifen müsse, um den europarechtswidrigen Zustand zu beseitigen.

Die Bestimmungen des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Form der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUG, des freien Dienstleistungsverkehrs gem. Art. 56 AEUV oder sonstiger allgemeiner Grundsätze stünden der Anwendung der national verbindlich geregelten Mindestsätze ebenfalls nicht entgegen. Insoweit entfalten die Bestimmungen des AEUV auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale – wie hier – nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen, grundsätzlich keine Anwendung.

Praxishinweis

Der Gesetzgeber hat reagiert. Seit dem 01.01.2021 gilt eine neue HOAI, die statt vorgeschriebenen Mindest- und Höchstsätzen nur noch Empfehlungen vorgibt. Ob durch den Wegfall der Verbindlichkeit ein Preiskampf bis hin zum Dumping und einem damit einhergehenden Qualitätsverlust droht, bleibt abzuwarten. Jedenfalls gilt das Preisrecht für Altverträge vor Geltung der neuen HOAI weiter. Architekten und Ingenieure können daher für vor 2021 abgeschlossene Verträge Nachforderungen verlangen, wenn die vereinbarte Pauschalhonorare mit Kunden unter den damals geltenden Mindestsätzen lagen.

Rechtsanwältin Viktoria Rother
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