Hat der Architekt eine Aufklärungspflicht über etwaige Vorstrafen vor Vertragsschluss?

Ja! Das KG Berlin traf mit Urteil v. 13.01.2023, 21 U 50/22 eine Entscheidung hinsichtlich der Pflicht zur Aufklärung über frühere Verurteilungen von Personen, die an der Vertragsdurchführung beteiligt sind.

Sachverhalt

Die Auftragnehmerin (AN) ist eine Architekten- und Ingenieurgesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter Herr G ist. Herr G war zuvor als Prokurist und Bereichsleiter in einem anderen Unternehmen tätigt. In seiner Funktion hatte er Nachtragsforderungen zugunsten eines von ihm zu überwachenden Bauunternehmers in Millionenhöhe für Bauleistungen ohne vorherige Prüfung erwirkt. Für diese Tat wurde er im September 2017 wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Die AN wurde in den Jahren 2018-2019 von der Auftraggeberin (AG) mit der Planung der technischen Gebäudeausrüstung beauftragt. Die Vertragsverhandlungen für die AN wurden von Herrn G geführt. Darüber hinaus war Herr G für die Durchführung des Vertrages aufseiten der AN verantwortlich. Die Parteien gerieten 2019 in Streit, woraufhin es im August 2019 zur Kündigung des Vertrages durch die AG kam. Die AN erhob daraufhin Klage auf Sicherheitsleistung und auf Kündigungsvergütung gegen ihre Vertragspartnerin. Im November 2020 erfuhrt der Geschäftsführer der AG von der Vorstrafe des Herrn G und erklärte daraufhin die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung.

Entscheidung

Die AG hat den Architektenvertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten, sodass der AN die mit der Klage beanspruchte Sicherheitsleistung aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zusteht.

Grundsätzlich besteht keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen.

Eine solche Pflicht kann sich jedoch dann ergeben, wenn es sich um eine Tatsache handelt, die für die Willensbildung der anderen Seite offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dies ist insbesondere bei Tatsachen der Fall, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können.

Bei der Vorstrafe einer in die Vertragserfüllung einbezogenen Person handelt es sich nur unter folgenden Voraussetzungen um eine aufklärungspflichtige Tatsache:

  1. Es handelt sich um eine Vorstrafe der Vertragspartei selbst oder einer Person, die in einer Weise in die Vertragserfüllung einbezogen sein wird, dass sie maßgeblichen Einfluss hierauf haben wird.
  2. In der Vorstrafe muss ein Eignungsdefizit in einem Persönlichkeits- oder Anforderungsbereich zum Ausdruck kommen, das auch für den in Rede stehenden Vertrag von Bedeutung ist.
  3. Bei einer Vorstrafe einer Person, die nicht selbst Vertragspartei ist, darf der Vertragspartei die Aufklärung über die Vorstrafe nicht tatsächlich oder rechtlich unmöglich sein.
  4. Eine Aufklärungspflicht besteht nicht, wenn der Verurteilte die Vorstrafe nach § 53 Abs. 1 BZRG nicht mehr offenbaren muss.

Hier bestand eine Aufklärungspflicht der AN, da Herr G maßgeblichen Einfluss auf die Erfüllung des Vertrages hatte. Er hat die Verträge aufseiten der AN ausgehandelt und war für die Durchführung und Umsetzung hauptverantwortlich tätig. Da sich die AN in dem Planungsvertrag u. a. zu den Leistungen der Leistungsphase 7 nach HOAI verpflichtet hat, war die Vorstrafe des Herrn G auch unmittelbar einschlägig. Denn damit hatte der Vertrag gerade Aufgaben zum Gegenstand, bei denen es für die AG von entscheidender Bedeutung ist, sich in vermögensrechtlichen Fragen und bei evtl. Interessenwidersprüchen gegenüber anderen Baubeteiligten uneingeschränkt auf die Zuverlässigkeit der AN verlassen zu können.

Praxis

Das Urteil des KG Berlin macht deutlich, dass es unter Umständen geboten sein kann, vor Vertragsschluss eine umfassende Prüfung hinsichtlich etwaig bestehender Aufklärungspflichten zu erörtern – insbesondere, wenn frühere Verurteilungen bekannt sind.

Zur Aufklärung der Frage, ob in Ihrem Fall eine Aufklärungspflicht besteht, unterstützen wir Sie gerne.